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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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zum "Ritt in's alte romantische Land", sie geleiten uns Schritt für
Schritt stromabwärts der Etsch, die Zeugen der Geschichten aus alten
Tagen, die Reste, wo die Handfesten saßen und die Gottgeweihten sitzen
ließen bis zur Burg des guten Rathes, die hier und da auch schlimmen
gab. Auch altdeutsche Kunst taucht hier, wie häufig noch im tieferen
Italien, mit ihrem lebenswarmen Gemüthe an Thürmen und Kirchen, Wand¬
gemälden und Schnitzwerken auf, ergeht es ihr auch leider schlimmer, je wei¬
ter man gegen Süden zieht, an ihre Pflege wird nicht gedacht, ja oft
ist's nur desto schlimmer, wenn sie ihr begegnet. Man hat da zu Lande
zwar Vereine, aber nur zur Aufstöberung vergelbter Urkunden, an die
Erhaltung jener andern ebenso ehrwürdigen Reste der Vorzeit wird nicht
gedacht, als ob diese uns nicht erst dadurch bildlich vor's Auge träte
und aus den Spuren des Lebens wieder erstände. Was wäre da nicht
Alles zu forschen, zu zeichnen und aufzubewahren für Enkel und Urenkel,
bis auch einmal hier erwacht die Lust an der Farbe vergangener Tage?
Oder habt ihr sie je gesehen, dort alle die byzantinischen Thürme mit
den halbrunden Bogenfenstern, die andächtigen Kirchlein mit den altdeut¬
schen Wandgemälden und geschnitzten Heiligenbildern, die Festen mit ihren
Fresken aus den Niebelungcn, Tristan und Isolde und dem Heldenbuche,
und hier die Baumgruppen mit den Weingeländern, die felsigen Riesen-
leiber mit unheimlichen Zinnen, jedes Stück Zoll für Zoll ein fertiges
Kunstwerk? Gewiß, dieser Süden ist ein Buch, worin noch nicht geblät¬
tert wurde, und leider geht manches Blatt davon für immer verloren,
ehe man nur daran denkt, einige zu erhalten. Wie nahe läge der Ge¬
danke an ein Album, für alle diese Memorabilien in Stein und Farbe,
in Sitten und Trachten, Kunst und Natur, ein wahrer Schatz für den
Finder und die Eigner des Bodens!


I".
Aus Berlin,
i.
Zur Charakteristik der Stadt.

Wenn man Berlin nennt, so denkt man auswärts fast immer an
Blasirtheit, philosophische Abstractionssucht, prätentiöse Intelligenz, an
vunne Thee's und Sand und stinkende Rinnsteine. Berlin hat eine
abnorme und doch eine überwiegende Stellung zu unserer deutschen Welt.
strebt nach einer Centralisation, ohne den Widerwillen, ohne die "Zen¬
trifugalkraft des deutschen Lebens überwinden zu können. Es denkt sich
zuweilen das Haupt, aus dem die Minerva mit Schild und Speer her-
ausspringen soll, und sieht sich dann plötzlich von den Füßen verlassen.
Es geräth nicht blos mit dem ganzen Deutschland, sondern selbst mit
den Provinzen in Widerspruch, welchen es sich als Hauptstadt voran¬
stellen will und muß sich dann häusig, indem es sich universal dünkt
mit einer Localwelt begnügen. In Berlin hat sich der Eivilisationsge-
danke mannichfach bis zur Ermüdung, nicht blos zum Zweifel, sondern


zum „Ritt in's alte romantische Land", sie geleiten uns Schritt für
Schritt stromabwärts der Etsch, die Zeugen der Geschichten aus alten
Tagen, die Reste, wo die Handfesten saßen und die Gottgeweihten sitzen
ließen bis zur Burg des guten Rathes, die hier und da auch schlimmen
gab. Auch altdeutsche Kunst taucht hier, wie häufig noch im tieferen
Italien, mit ihrem lebenswarmen Gemüthe an Thürmen und Kirchen, Wand¬
gemälden und Schnitzwerken auf, ergeht es ihr auch leider schlimmer, je wei¬
ter man gegen Süden zieht, an ihre Pflege wird nicht gedacht, ja oft
ist's nur desto schlimmer, wenn sie ihr begegnet. Man hat da zu Lande
zwar Vereine, aber nur zur Aufstöberung vergelbter Urkunden, an die
Erhaltung jener andern ebenso ehrwürdigen Reste der Vorzeit wird nicht
gedacht, als ob diese uns nicht erst dadurch bildlich vor's Auge träte
und aus den Spuren des Lebens wieder erstände. Was wäre da nicht
Alles zu forschen, zu zeichnen und aufzubewahren für Enkel und Urenkel,
bis auch einmal hier erwacht die Lust an der Farbe vergangener Tage?
Oder habt ihr sie je gesehen, dort alle die byzantinischen Thürme mit
den halbrunden Bogenfenstern, die andächtigen Kirchlein mit den altdeut¬
schen Wandgemälden und geschnitzten Heiligenbildern, die Festen mit ihren
Fresken aus den Niebelungcn, Tristan und Isolde und dem Heldenbuche,
und hier die Baumgruppen mit den Weingeländern, die felsigen Riesen-
leiber mit unheimlichen Zinnen, jedes Stück Zoll für Zoll ein fertiges
Kunstwerk? Gewiß, dieser Süden ist ein Buch, worin noch nicht geblät¬
tert wurde, und leider geht manches Blatt davon für immer verloren,
ehe man nur daran denkt, einige zu erhalten. Wie nahe läge der Ge¬
danke an ein Album, für alle diese Memorabilien in Stein und Farbe,
in Sitten und Trachten, Kunst und Natur, ein wahrer Schatz für den
Finder und die Eigner des Bodens!


I».
Aus Berlin,
i.
Zur Charakteristik der Stadt.

Wenn man Berlin nennt, so denkt man auswärts fast immer an
Blasirtheit, philosophische Abstractionssucht, prätentiöse Intelligenz, an
vunne Thee's und Sand und stinkende Rinnsteine. Berlin hat eine
abnorme und doch eine überwiegende Stellung zu unserer deutschen Welt.
strebt nach einer Centralisation, ohne den Widerwillen, ohne die «Zen¬
trifugalkraft des deutschen Lebens überwinden zu können. Es denkt sich
zuweilen das Haupt, aus dem die Minerva mit Schild und Speer her-
ausspringen soll, und sieht sich dann plötzlich von den Füßen verlassen.
Es geräth nicht blos mit dem ganzen Deutschland, sondern selbst mit
den Provinzen in Widerspruch, welchen es sich als Hauptstadt voran¬
stellen will und muß sich dann häusig, indem es sich universal dünkt
mit einer Localwelt begnügen. In Berlin hat sich der Eivilisationsge-
danke mannichfach bis zur Ermüdung, nicht blos zum Zweifel, sondern


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[0359] zum „Ritt in's alte romantische Land", sie geleiten uns Schritt für Schritt stromabwärts der Etsch, die Zeugen der Geschichten aus alten Tagen, die Reste, wo die Handfesten saßen und die Gottgeweihten sitzen ließen bis zur Burg des guten Rathes, die hier und da auch schlimmen gab. Auch altdeutsche Kunst taucht hier, wie häufig noch im tieferen Italien, mit ihrem lebenswarmen Gemüthe an Thürmen und Kirchen, Wand¬ gemälden und Schnitzwerken auf, ergeht es ihr auch leider schlimmer, je wei¬ ter man gegen Süden zieht, an ihre Pflege wird nicht gedacht, ja oft ist's nur desto schlimmer, wenn sie ihr begegnet. Man hat da zu Lande zwar Vereine, aber nur zur Aufstöberung vergelbter Urkunden, an die Erhaltung jener andern ebenso ehrwürdigen Reste der Vorzeit wird nicht gedacht, als ob diese uns nicht erst dadurch bildlich vor's Auge träte und aus den Spuren des Lebens wieder erstände. Was wäre da nicht Alles zu forschen, zu zeichnen und aufzubewahren für Enkel und Urenkel, bis auch einmal hier erwacht die Lust an der Farbe vergangener Tage? Oder habt ihr sie je gesehen, dort alle die byzantinischen Thürme mit den halbrunden Bogenfenstern, die andächtigen Kirchlein mit den altdeut¬ schen Wandgemälden und geschnitzten Heiligenbildern, die Festen mit ihren Fresken aus den Niebelungcn, Tristan und Isolde und dem Heldenbuche, und hier die Baumgruppen mit den Weingeländern, die felsigen Riesen- leiber mit unheimlichen Zinnen, jedes Stück Zoll für Zoll ein fertiges Kunstwerk? Gewiß, dieser Süden ist ein Buch, worin noch nicht geblät¬ tert wurde, und leider geht manches Blatt davon für immer verloren, ehe man nur daran denkt, einige zu erhalten. Wie nahe läge der Ge¬ danke an ein Album, für alle diese Memorabilien in Stein und Farbe, in Sitten und Trachten, Kunst und Natur, ein wahrer Schatz für den Finder und die Eigner des Bodens! I». Aus Berlin, i. Zur Charakteristik der Stadt. Wenn man Berlin nennt, so denkt man auswärts fast immer an Blasirtheit, philosophische Abstractionssucht, prätentiöse Intelligenz, an vunne Thee's und Sand und stinkende Rinnsteine. Berlin hat eine abnorme und doch eine überwiegende Stellung zu unserer deutschen Welt. strebt nach einer Centralisation, ohne den Widerwillen, ohne die «Zen¬ trifugalkraft des deutschen Lebens überwinden zu können. Es denkt sich zuweilen das Haupt, aus dem die Minerva mit Schild und Speer her- ausspringen soll, und sieht sich dann plötzlich von den Füßen verlassen. Es geräth nicht blos mit dem ganzen Deutschland, sondern selbst mit den Provinzen in Widerspruch, welchen es sich als Hauptstadt voran¬ stellen will und muß sich dann häusig, indem es sich universal dünkt mit einer Localwelt begnügen. In Berlin hat sich der Eivilisationsge- danke mannichfach bis zur Ermüdung, nicht blos zum Zweifel, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/359>, abgerufen am 23.07.2024.