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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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die Spuren der Ueberreizung, der Nachtwache und jener fieberischer
Glut, die wie ein Verzweifelter kämpft. Es ist eine traurige Nemesis.
Weil Oesterreich in ruhigen Zeiten übermüthig und unklug den treuen
patriotischen aber unabhängigen Federn nicht gestatten will, als Spa¬
ten zu ackern und zu graben, fehlen sie ihm da, wo es sie als Abwehr
und Waffe braucht. Oesterreich ist der bestverleumdetste
Staat in der Welt! ruft der bekannte wiener Correspondent >ör
",'xav"e"co in der Allgemeinen Zeitung aus. Ja beim Himmel und
bei dem Angedenken Josephs II. -- das ist es! Oesterreich ist nicht
halb so schlimm als man es, namentlich in diesem Augenblicke, aufschreit
-- aber auch die bleibende Hälfte ist eine stattliche Portion! Und
warum habt Ihr so lang geschwiegen, wenn Ihr wußtet, daß man
Euch verläumdet? Warum habt Ihr die Vornehmen gespielt? Noch
vor kurzem als Jemand von Hormavers "Anemonen" zu einem be¬
kannten österreichischen hohen Beamten sprach, antwortete dieser: "Bah,
wer liest das Zeug!" Aber dies Zeug und vieles ähnliches Zeug wird
von Jedermann gelesen, und es nützt nichts, wenn Ihr es in Eurem
Staate verbietet, wenn Ihr die Augen zudrückt wie der Strauß, der
seinen Kopf verbirgt und glaubt man sehe ihn deshalb nicht. Mit
Verboten widerlegt man nicht und da draußen leben so und so viele
Millionen Deutsche und so und so viel Engländer, Franzosen:c., denen
Ihr das Lesen nicht verbieten könnt -- und nun könnt Ihr hören wie
es von allen Zweigen pfeift, Ihr könnt hören was man Alles gelesen!

Es ist eine traurige Nemesis! Weil Oesterreich seinen besten
atriotischen Herzen den Mund geknebelt hält in Zeiten der Ruhe,
weil es ihnen verboten ist durch Rath und wohlgemeinten Tadel mit
zu bauen auf dem Wege vaterländischer Entwickelung, so schweigen
sie jetzt, müssen schweigen. Denn, wer würde ihnen glauben, wenn
sie ihre Stimme für Oesterreich erhöben, da sie nie gegen dasselbe
sprechen dürfen? ! Jedes Wort der Rechtfertigung, auch wenn es die
tiefste Ueberzeugung eingibt, würde als Augendienerei ausgelegt, denn
nur der Unabhängige darf für eine Sache sprechen, der Abhängige
erscheint als Schmeichler und Söldling. Oesterreich hat seinen Schrift¬
stellern alle moralische Kraft geraubt, es hat es so weit gebracht, daß
man im Auslande nicht begreift wie Jemand Liebe und Patriotis¬
mus für Oesterreich haben kann, und würden heute die unbescholten¬
sten Charaktere für Oesterreich austreten und würden Grillparzer,
Bauernfeld und der wiener Spaziergänger ein warmes Wort für die
Regierung sprechen, sie würden im Auslande als bezahlt aufgeschrien
werden. Dies ist auch das Unglück, das über den Berichten der Allge¬
meinen Zeitung schwebt. In diesen Berichten ist unstreitig viel Wah¬
res und manches ist mit Beredsamkeit und überzeugender Kraft vor¬
getragen. Aber weil es bloß als eine Stimme der Negierung erscheint,
weil es nicht von dem moralischen Einfluß einer unabhängigen Ueber-


die Spuren der Ueberreizung, der Nachtwache und jener fieberischer
Glut, die wie ein Verzweifelter kämpft. Es ist eine traurige Nemesis.
Weil Oesterreich in ruhigen Zeiten übermüthig und unklug den treuen
patriotischen aber unabhängigen Federn nicht gestatten will, als Spa¬
ten zu ackern und zu graben, fehlen sie ihm da, wo es sie als Abwehr
und Waffe braucht. Oesterreich ist der bestverleumdetste
Staat in der Welt! ruft der bekannte wiener Correspondent >ör
«,'xav»e»co in der Allgemeinen Zeitung aus. Ja beim Himmel und
bei dem Angedenken Josephs II. — das ist es! Oesterreich ist nicht
halb so schlimm als man es, namentlich in diesem Augenblicke, aufschreit
— aber auch die bleibende Hälfte ist eine stattliche Portion! Und
warum habt Ihr so lang geschwiegen, wenn Ihr wußtet, daß man
Euch verläumdet? Warum habt Ihr die Vornehmen gespielt? Noch
vor kurzem als Jemand von Hormavers „Anemonen" zu einem be¬
kannten österreichischen hohen Beamten sprach, antwortete dieser: „Bah,
wer liest das Zeug!" Aber dies Zeug und vieles ähnliches Zeug wird
von Jedermann gelesen, und es nützt nichts, wenn Ihr es in Eurem
Staate verbietet, wenn Ihr die Augen zudrückt wie der Strauß, der
seinen Kopf verbirgt und glaubt man sehe ihn deshalb nicht. Mit
Verboten widerlegt man nicht und da draußen leben so und so viele
Millionen Deutsche und so und so viel Engländer, Franzosen:c., denen
Ihr das Lesen nicht verbieten könnt — und nun könnt Ihr hören wie
es von allen Zweigen pfeift, Ihr könnt hören was man Alles gelesen!

Es ist eine traurige Nemesis! Weil Oesterreich seinen besten
atriotischen Herzen den Mund geknebelt hält in Zeiten der Ruhe,
weil es ihnen verboten ist durch Rath und wohlgemeinten Tadel mit
zu bauen auf dem Wege vaterländischer Entwickelung, so schweigen
sie jetzt, müssen schweigen. Denn, wer würde ihnen glauben, wenn
sie ihre Stimme für Oesterreich erhöben, da sie nie gegen dasselbe
sprechen dürfen? ! Jedes Wort der Rechtfertigung, auch wenn es die
tiefste Ueberzeugung eingibt, würde als Augendienerei ausgelegt, denn
nur der Unabhängige darf für eine Sache sprechen, der Abhängige
erscheint als Schmeichler und Söldling. Oesterreich hat seinen Schrift¬
stellern alle moralische Kraft geraubt, es hat es so weit gebracht, daß
man im Auslande nicht begreift wie Jemand Liebe und Patriotis¬
mus für Oesterreich haben kann, und würden heute die unbescholten¬
sten Charaktere für Oesterreich austreten und würden Grillparzer,
Bauernfeld und der wiener Spaziergänger ein warmes Wort für die
Regierung sprechen, sie würden im Auslande als bezahlt aufgeschrien
werden. Dies ist auch das Unglück, das über den Berichten der Allge¬
meinen Zeitung schwebt. In diesen Berichten ist unstreitig viel Wah¬
res und manches ist mit Beredsamkeit und überzeugender Kraft vor¬
getragen. Aber weil es bloß als eine Stimme der Negierung erscheint,
weil es nicht von dem moralischen Einfluß einer unabhängigen Ueber-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/34>, abgerufen am 24.11.2024.