Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.Wilhelm Caspar!--eigentlich die Schilderung der Abfahrt eines Wilhelm Caspar!—eigentlich die Schilderung der Abfahrt eines <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182455"/> <p xml:id="ID_52" prev="#ID_51" next="#ID_53"> Wilhelm Caspar!—eigentlich die Schilderung der Abfahrt eines<lb/> mit Auswanderern besetzten Dampfbootes, unter denen sich nur Einer<lb/> befindet, welcher um der Freiheit willen die deutsche Erde verlaßt.<lb/> Dies Gedicht würde, in eine Sammlung aufgenommen, seinen Platz<lb/> ganz würdig ausfüllen; als einzelne Brochüre ist es unbedeutend. —<lb/> Bon diesen Bewegungen unseres nächstgelegenen Lebens werfen die<lb/> „Lieber aus der Ferne" von Julius Altmann (I. Bändchen:<lb/> Episches) den Blick nach dem europäischen Ostsee und Asiens angren¬<lb/> zenden Länder. Sie zerfallen in vier Abtheilungen: Tscherkessenlieder,<lb/> sibirische Lieder, Grirchenlieder und Lieder des Orients. Die äußer¬<lb/> lichen Eigenthümlichkeiten der östlichen Verhältnisse und des Schau¬<lb/> platzes, der jetzt eine literarische Mode geworden, wiederspiegelt sich<lb/> allerdings ganz zierlich in diesen Gedichten; aber von einem tiefern<lb/> Eindringen in das innere Leben der auftretenden Nationalitäten ist nur<lb/> wenig Spur. Es ist darin überhaupt wenig Eigenthümlichkeit vor¬<lb/> handen und wie die Form häusig an russische Vorbilder, vorzüg¬<lb/> lich Puschkin und Marlinski, erinnert, so ist's uns bei Durch¬<lb/> lesung der Gedichte immer zu Muth, als spreche der Dichter die Ge¬<lb/> danken und Empfindungen nur aus zweiter Hand, als seien sie nicht<lb/> unmittelbar und wirklich, sondern angeeignet und gemacht. Dabei<lb/> erscheint die Sprache häusig hart und gezwungen, viel unklare und<lb/> falsche Bilder laufen störend zwischen (z. B. „die Sonne neigte sich,<lb/> wie nach Gekose — den Kelch verschließt die glühe Purpurrose" oder<lb/> „Pallas ist sie nun: die Musen — hangen flüsternd ihr am Busen"),<lb/> kurz, dem ganzen Buche fehlt die letzte Feile oder es ist zu oft übcr-<lb/> feilt und darum wieder verfeilt.— Seitenstück und gewissermaßen auch<lb/> Gegensatz dieser Lieder aus der Ferne bildet „Wladislaw und Disse-<lb/> pli", eine tscherkcssische Erzählung von Z o h. He in r. S i evers. Wo¬<lb/> hin wir auch blicken in den 4 Gesängen dieses Epos: überall Unmit¬<lb/> telbarkeit der Anschauung, Kraft des Gedankens, volle und warme<lb/> Empfindung, plastisch schöne Darstellung. Nur selten wird der Bars<lb/> von sprachlichen Härten verletzt, noch seltener der Gedankenfluß durch<lb/> eben nur ausfüllende Einschiebsel gestört oder nur gedehnt. Wladislaw<lb/> und Dissepli ist ein episches Gedicht, welches auch in seiner innern techni¬<lb/> schen Organisation das vollste Lob verdient. Und ebendarum mochte man<lb/> wohl wünschen, daß es mit dem 14. Abschnitt des 4. Gesangs ab¬<lb/> schlösse: denn der 15. bringt ein durchaus nicht in der Einheit desselben<lb/> bedingtes und nicht in dessen äußerer Abrundung nöthiges Lobgedicht<lb/> aus Schamyl, dessen Name kaum sonstwo in diesem Epos genannt ist.<lb/> Zu diesen verschiedenen Gedichtsammlungen des neuen Jahres ist<lb/> auch „die deutsche Flagge", ein Album herausgegeben von Eduard<lb/> Boas zu fügen. „Der Ertrag ist für die armen Weber im Riesen¬<lb/> gebirge bestimmt" sagt eine Bemerkung des Titelblattes. Derartige<lb/> Anzeigen sind für den Beurtheiler eigentlich immer etwas erschreckend.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
Wilhelm Caspar!—eigentlich die Schilderung der Abfahrt eines
mit Auswanderern besetzten Dampfbootes, unter denen sich nur Einer
befindet, welcher um der Freiheit willen die deutsche Erde verlaßt.
Dies Gedicht würde, in eine Sammlung aufgenommen, seinen Platz
ganz würdig ausfüllen; als einzelne Brochüre ist es unbedeutend. —
Bon diesen Bewegungen unseres nächstgelegenen Lebens werfen die
„Lieber aus der Ferne" von Julius Altmann (I. Bändchen:
Episches) den Blick nach dem europäischen Ostsee und Asiens angren¬
zenden Länder. Sie zerfallen in vier Abtheilungen: Tscherkessenlieder,
sibirische Lieder, Grirchenlieder und Lieder des Orients. Die äußer¬
lichen Eigenthümlichkeiten der östlichen Verhältnisse und des Schau¬
platzes, der jetzt eine literarische Mode geworden, wiederspiegelt sich
allerdings ganz zierlich in diesen Gedichten; aber von einem tiefern
Eindringen in das innere Leben der auftretenden Nationalitäten ist nur
wenig Spur. Es ist darin überhaupt wenig Eigenthümlichkeit vor¬
handen und wie die Form häusig an russische Vorbilder, vorzüg¬
lich Puschkin und Marlinski, erinnert, so ist's uns bei Durch¬
lesung der Gedichte immer zu Muth, als spreche der Dichter die Ge¬
danken und Empfindungen nur aus zweiter Hand, als seien sie nicht
unmittelbar und wirklich, sondern angeeignet und gemacht. Dabei
erscheint die Sprache häusig hart und gezwungen, viel unklare und
falsche Bilder laufen störend zwischen (z. B. „die Sonne neigte sich,
wie nach Gekose — den Kelch verschließt die glühe Purpurrose" oder
„Pallas ist sie nun: die Musen — hangen flüsternd ihr am Busen"),
kurz, dem ganzen Buche fehlt die letzte Feile oder es ist zu oft übcr-
feilt und darum wieder verfeilt.— Seitenstück und gewissermaßen auch
Gegensatz dieser Lieder aus der Ferne bildet „Wladislaw und Disse-
pli", eine tscherkcssische Erzählung von Z o h. He in r. S i evers. Wo¬
hin wir auch blicken in den 4 Gesängen dieses Epos: überall Unmit¬
telbarkeit der Anschauung, Kraft des Gedankens, volle und warme
Empfindung, plastisch schöne Darstellung. Nur selten wird der Bars
von sprachlichen Härten verletzt, noch seltener der Gedankenfluß durch
eben nur ausfüllende Einschiebsel gestört oder nur gedehnt. Wladislaw
und Dissepli ist ein episches Gedicht, welches auch in seiner innern techni¬
schen Organisation das vollste Lob verdient. Und ebendarum mochte man
wohl wünschen, daß es mit dem 14. Abschnitt des 4. Gesangs ab¬
schlösse: denn der 15. bringt ein durchaus nicht in der Einheit desselben
bedingtes und nicht in dessen äußerer Abrundung nöthiges Lobgedicht
aus Schamyl, dessen Name kaum sonstwo in diesem Epos genannt ist.
Zu diesen verschiedenen Gedichtsammlungen des neuen Jahres ist
auch „die deutsche Flagge", ein Album herausgegeben von Eduard
Boas zu fügen. „Der Ertrag ist für die armen Weber im Riesen¬
gebirge bestimmt" sagt eine Bemerkung des Titelblattes. Derartige
Anzeigen sind für den Beurtheiler eigentlich immer etwas erschreckend.
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