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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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essante Neuigkeit mitzutheilen schien, und mit geheimnißvollen Blicken
auf die Thür deutete. Diese öffnete sich und hereintrat, zum nicht ge¬
ringen Erstaunen der Ballgesellschaft, ein schlanker Herr mit vornehmer
Haltung, umgänglichen Lächeln und einem sehr modernen Fracke,--
or. Richard, das dunkle Räthsel, das jetzt auf eine so zuvorkommende
Weise in eigner Person die Auflösung brachte, und allem unersprie߬
licher Kopfzerbrechen mit einem Male ein Ende machte.

Einige verbindliche Worte an den Entrepreneur, an die Frau
Actuarin und Fräulein Tochter, machten einen günstigen vorbereitenden
Eindruck. Marie hatte sich in den dichtesten Kreis ihrer Freundinnen
zurückgezogen, war jedoch schon längst von Richard bemerkt, denn das
Auge der Liebe sieht scharf. Er ging direct auf sie zu; -- das erra¬
thende Mädchen war heut' verführerisch schön mit dem rosabesetzten,
schneeweißen Kleide, den hellen Atlaöschuhen, der frischen Rose im
Haare und dem Frohsinn im leuchtenden Auge. Sie war schön und
erröthete und lächelte und scherzte und schmollte und verzieh gar viel¬
mal an diesem Abende, während sie so am Arme des Herrn Doctor im
neckischen Tanze dahin eilte, oder auf seine oft losen und verfänglichen
Worte lauschte. -- Mit dem ersten Geigenstriche schien Richard's We¬
sen gänzlich verändert, er war bezaubernd, ausgelassen, unersättlich,
mit einem Worte "förmlich toll", -- wie sich die Gesellschaft im Ueber¬
maße von Wohlgefallen gegen ihn ausdrückte, um ihm ein verbindliches
Compliment zu sagen.

War es ihm doch, als wenn alle die alten, theuren Gestalten,
die sich in sein Leben und seine Phantasie verschlangen, und an die er
nur noch wie an Todte, dachte, urplötzlich aus dem Vrabe erstanden
wären, u,et in den lustigsten Pas um ihn herum zu walzen; auch seine
Grillen und Schmerzen hatten corpulente Gestalt angenommen, wirbel¬
ten vor seinen Augen nach dem Tacte, grinzten ihn recht hämisch an,
er selbst sprang mit noch toller, als sie alle. Marie war entzückt und
offenbarte ihm während des Cotillons, daß sie den Sommer über täg¬
lich nach G. in die Nähschule gehen und Abends allein zurückkehren
müsse, was doch gewiß sehr langweilig sei. --

Kes andern Tages waren an der schwarzen Casinotafel die Worte
zu lesen: Herr Dr. Richard meldet sich zur Aufnahme in hiesige
Castnvgesellschaft -- Ballotage auf nächsten Sonntag. -- In den ver¬
trauteren Familienzirkeln jedoch hieß es: Herr Dr. Richard und Fräu¬
lein Marie Seelenacker sind Verlobte.


essante Neuigkeit mitzutheilen schien, und mit geheimnißvollen Blicken
auf die Thür deutete. Diese öffnete sich und hereintrat, zum nicht ge¬
ringen Erstaunen der Ballgesellschaft, ein schlanker Herr mit vornehmer
Haltung, umgänglichen Lächeln und einem sehr modernen Fracke,—
or. Richard, das dunkle Räthsel, das jetzt auf eine so zuvorkommende
Weise in eigner Person die Auflösung brachte, und allem unersprie߬
licher Kopfzerbrechen mit einem Male ein Ende machte.

Einige verbindliche Worte an den Entrepreneur, an die Frau
Actuarin und Fräulein Tochter, machten einen günstigen vorbereitenden
Eindruck. Marie hatte sich in den dichtesten Kreis ihrer Freundinnen
zurückgezogen, war jedoch schon längst von Richard bemerkt, denn das
Auge der Liebe sieht scharf. Er ging direct auf sie zu; — das erra¬
thende Mädchen war heut' verführerisch schön mit dem rosabesetzten,
schneeweißen Kleide, den hellen Atlaöschuhen, der frischen Rose im
Haare und dem Frohsinn im leuchtenden Auge. Sie war schön und
erröthete und lächelte und scherzte und schmollte und verzieh gar viel¬
mal an diesem Abende, während sie so am Arme des Herrn Doctor im
neckischen Tanze dahin eilte, oder auf seine oft losen und verfänglichen
Worte lauschte. — Mit dem ersten Geigenstriche schien Richard's We¬
sen gänzlich verändert, er war bezaubernd, ausgelassen, unersättlich,
mit einem Worte „förmlich toll", — wie sich die Gesellschaft im Ueber¬
maße von Wohlgefallen gegen ihn ausdrückte, um ihm ein verbindliches
Compliment zu sagen.

War es ihm doch, als wenn alle die alten, theuren Gestalten,
die sich in sein Leben und seine Phantasie verschlangen, und an die er
nur noch wie an Todte, dachte, urplötzlich aus dem Vrabe erstanden
wären, u,et in den lustigsten Pas um ihn herum zu walzen; auch seine
Grillen und Schmerzen hatten corpulente Gestalt angenommen, wirbel¬
ten vor seinen Augen nach dem Tacte, grinzten ihn recht hämisch an,
er selbst sprang mit noch toller, als sie alle. Marie war entzückt und
offenbarte ihm während des Cotillons, daß sie den Sommer über täg¬
lich nach G. in die Nähschule gehen und Abends allein zurückkehren
müsse, was doch gewiß sehr langweilig sei. —

Kes andern Tages waren an der schwarzen Casinotafel die Worte
zu lesen: Herr Dr. Richard meldet sich zur Aufnahme in hiesige
Castnvgesellschaft — Ballotage auf nächsten Sonntag. — In den ver¬
trauteren Familienzirkeln jedoch hieß es: Herr Dr. Richard und Fräu¬
lein Marie Seelenacker sind Verlobte.


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[0311] essante Neuigkeit mitzutheilen schien, und mit geheimnißvollen Blicken auf die Thür deutete. Diese öffnete sich und hereintrat, zum nicht ge¬ ringen Erstaunen der Ballgesellschaft, ein schlanker Herr mit vornehmer Haltung, umgänglichen Lächeln und einem sehr modernen Fracke,— or. Richard, das dunkle Räthsel, das jetzt auf eine so zuvorkommende Weise in eigner Person die Auflösung brachte, und allem unersprie߬ licher Kopfzerbrechen mit einem Male ein Ende machte. Einige verbindliche Worte an den Entrepreneur, an die Frau Actuarin und Fräulein Tochter, machten einen günstigen vorbereitenden Eindruck. Marie hatte sich in den dichtesten Kreis ihrer Freundinnen zurückgezogen, war jedoch schon längst von Richard bemerkt, denn das Auge der Liebe sieht scharf. Er ging direct auf sie zu; — das erra¬ thende Mädchen war heut' verführerisch schön mit dem rosabesetzten, schneeweißen Kleide, den hellen Atlaöschuhen, der frischen Rose im Haare und dem Frohsinn im leuchtenden Auge. Sie war schön und erröthete und lächelte und scherzte und schmollte und verzieh gar viel¬ mal an diesem Abende, während sie so am Arme des Herrn Doctor im neckischen Tanze dahin eilte, oder auf seine oft losen und verfänglichen Worte lauschte. — Mit dem ersten Geigenstriche schien Richard's We¬ sen gänzlich verändert, er war bezaubernd, ausgelassen, unersättlich, mit einem Worte „förmlich toll", — wie sich die Gesellschaft im Ueber¬ maße von Wohlgefallen gegen ihn ausdrückte, um ihm ein verbindliches Compliment zu sagen. War es ihm doch, als wenn alle die alten, theuren Gestalten, die sich in sein Leben und seine Phantasie verschlangen, und an die er nur noch wie an Todte, dachte, urplötzlich aus dem Vrabe erstanden wären, u,et in den lustigsten Pas um ihn herum zu walzen; auch seine Grillen und Schmerzen hatten corpulente Gestalt angenommen, wirbel¬ ten vor seinen Augen nach dem Tacte, grinzten ihn recht hämisch an, er selbst sprang mit noch toller, als sie alle. Marie war entzückt und offenbarte ihm während des Cotillons, daß sie den Sommer über täg¬ lich nach G. in die Nähschule gehen und Abends allein zurückkehren müsse, was doch gewiß sehr langweilig sei. — Kes andern Tages waren an der schwarzen Casinotafel die Worte zu lesen: Herr Dr. Richard meldet sich zur Aufnahme in hiesige Castnvgesellschaft — Ballotage auf nächsten Sonntag. — In den ver¬ trauteren Familienzirkeln jedoch hieß es: Herr Dr. Richard und Fräu¬ lein Marie Seelenacker sind Verlobte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/311>, abgerufen am 27.11.2024.