Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.Weise, wie wenig Aufmerksamkeit sie ihnen schenkte. Ihre Augen glänz¬ Alles auf der Welt erreicht seine Endschaft, auch der Scandal, Die ersten Begrüßungen waren ohne alle Anstandsverletzung ab¬ Weise, wie wenig Aufmerksamkeit sie ihnen schenkte. Ihre Augen glänz¬ Alles auf der Welt erreicht seine Endschaft, auch der Scandal, Die ersten Begrüßungen waren ohne alle Anstandsverletzung ab¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182733"/> <p xml:id="ID_866" prev="#ID_865"> Weise, wie wenig Aufmerksamkeit sie ihnen schenkte. Ihre Augen glänz¬<lb/> ten, ein Strahl von Freude leuchtete über ihr Gesicht, sie beugte das<lb/> Lockenköpfchen den Tönen entgegen: „Ah! eine Polka!" jauchzte sie aus<lb/> der Tiefe der Seele auf, klatschte freudig-entzückt in die niedlichen<lb/> Händchen, ihre Füße bewegten sich unwillkürlich nach dem Tacte, sie<lb/> walzte, alles um sich her vergessend, schnurstracks in die geöffneten<lb/> Mutterarme, welche die gute Frau in stummem Entsetzen weit ausge¬<lb/> breitet hatte, wand sich durch ein musterhaftes Tourn« los und hüpfte<lb/> fröhlich zur Thüre hinaus in das Ankleidezimmer zu ihrem Ball¬<lb/> staate. —</p><lb/> <p xml:id="ID_867"> Alles auf der Welt erreicht seine Endschaft, auch der Scandal,<lb/> den Richard in seinem Stadtviertel erregte, ließ endlich nach, die Ge¬<lb/> müther besänftigten sich, und bald herrschte im ganzen Städtchen wie¬<lb/> der die reinliche Stille, welche den Morgen eines Sonn- und Festtags<lb/> auf dem Lande bezeichnet. Kaum war jedoch der Nachmittagsgottes¬<lb/> dienst vorüber, so war die Scene gänzlich verändert, auf allen Stra¬<lb/> ßen wogte ein lautes, fröhliches Leben. Der Tausendsappermenter,<lb/> eine kleine, glatte Kaufmannsfigur, mit einem etwas voreiligen Gesicht,<lb/> war als Entrepreneur schon im Ballsaale, hatte die Elite der Herren<lb/> um sich versammelt, zündete mit eigner Hand die Lichter an, zierte die<lb/> Wände mit einem Tanzreglement, Placirte die Musik und harrte, mit<lb/> unverkennbarer Zufriedenheit die getroffenen Anordnungen betrachtend,<lb/> der Ankunft der Damen, die er mit wohlgesetzten Redensarten zu<lb/> empfangen gedachte. Diese hatten zwar schon längst hoffnungsreiche<lb/> Toilette gemacht, wußten jedoch, daß es zum guten Tone gehöre, auf<lb/> sich warten zu lassen, und übten sich daher vorerst noch einige Zeit zu<lb/> Hause im Anstande. Kaum aber war „Gottes Wort vom Lande", so<lb/> nannte der G.'sche Humor den solid gebauten Filialwagen des Pfarrers<lb/> von Reichenau, vorbeigerollt, um vor dem Castnohotel seine in sechs<lb/> vollwichtigen Personen und dem entsprechenden Proviante bestehende<lb/> Fracht zu entladen; so war dem „guten Tone" Genüge geleistet, und<lb/> von allen Seiten strömten nun die armen, so lange gefolterten Mäd¬<lb/> chen herbei, mit schneeweißen Gewändern und freudestrahlenden Ge¬<lb/> sichtchen. —</p><lb/> <p xml:id="ID_868" next="#ID_869"> Die ersten Begrüßungen waren ohne alle Anstandsverletzung ab¬<lb/> gelaufen, und dennoch begann die Musik noch nicht aufzuspielen. Im<lb/> ganzen Saale herrschte eine unbegreifliche Stille, die tanzbaren Herren<lb/> steckten die Köpfe zusammen, die Damen flüsterten mit einander und<lb/> bildeten einen Kreis um ihre Freundin Marie, welche ihnen eine inter-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0310]
Weise, wie wenig Aufmerksamkeit sie ihnen schenkte. Ihre Augen glänz¬
ten, ein Strahl von Freude leuchtete über ihr Gesicht, sie beugte das
Lockenköpfchen den Tönen entgegen: „Ah! eine Polka!" jauchzte sie aus
der Tiefe der Seele auf, klatschte freudig-entzückt in die niedlichen
Händchen, ihre Füße bewegten sich unwillkürlich nach dem Tacte, sie
walzte, alles um sich her vergessend, schnurstracks in die geöffneten
Mutterarme, welche die gute Frau in stummem Entsetzen weit ausge¬
breitet hatte, wand sich durch ein musterhaftes Tourn« los und hüpfte
fröhlich zur Thüre hinaus in das Ankleidezimmer zu ihrem Ball¬
staate. —
Alles auf der Welt erreicht seine Endschaft, auch der Scandal,
den Richard in seinem Stadtviertel erregte, ließ endlich nach, die Ge¬
müther besänftigten sich, und bald herrschte im ganzen Städtchen wie¬
der die reinliche Stille, welche den Morgen eines Sonn- und Festtags
auf dem Lande bezeichnet. Kaum war jedoch der Nachmittagsgottes¬
dienst vorüber, so war die Scene gänzlich verändert, auf allen Stra¬
ßen wogte ein lautes, fröhliches Leben. Der Tausendsappermenter,
eine kleine, glatte Kaufmannsfigur, mit einem etwas voreiligen Gesicht,
war als Entrepreneur schon im Ballsaale, hatte die Elite der Herren
um sich versammelt, zündete mit eigner Hand die Lichter an, zierte die
Wände mit einem Tanzreglement, Placirte die Musik und harrte, mit
unverkennbarer Zufriedenheit die getroffenen Anordnungen betrachtend,
der Ankunft der Damen, die er mit wohlgesetzten Redensarten zu
empfangen gedachte. Diese hatten zwar schon längst hoffnungsreiche
Toilette gemacht, wußten jedoch, daß es zum guten Tone gehöre, auf
sich warten zu lassen, und übten sich daher vorerst noch einige Zeit zu
Hause im Anstande. Kaum aber war „Gottes Wort vom Lande", so
nannte der G.'sche Humor den solid gebauten Filialwagen des Pfarrers
von Reichenau, vorbeigerollt, um vor dem Castnohotel seine in sechs
vollwichtigen Personen und dem entsprechenden Proviante bestehende
Fracht zu entladen; so war dem „guten Tone" Genüge geleistet, und
von allen Seiten strömten nun die armen, so lange gefolterten Mäd¬
chen herbei, mit schneeweißen Gewändern und freudestrahlenden Ge¬
sichtchen. —
Die ersten Begrüßungen waren ohne alle Anstandsverletzung ab¬
gelaufen, und dennoch begann die Musik noch nicht aufzuspielen. Im
ganzen Saale herrschte eine unbegreifliche Stille, die tanzbaren Herren
steckten die Köpfe zusammen, die Damen flüsterten mit einander und
bildeten einen Kreis um ihre Freundin Marie, welche ihnen eine inter-
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