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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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höhnen; vergebens prätendirt die keck hervorspringende, doch edel ge¬
bogene Adlernase" einem Gesicht Ausdruck zu verleihen, das, weder
blühend noch blaß, sondern ein frostiges Mirtumcompofitum, seinen
anziehendsten Punkt in einem schönen, doch etwas zusammengedrückten
Mund findet, von dem man eben nicht mit Bestimmtheit behaupten
kann, ob er zu viel, oder zu wenig geküßt ist. Ihr Teint ist unrein
und spielt etwas in das Gelbliche über, doch zeigt er da, wo der
Nacken aus der kleinen Florhülle hervorquillt, Glanz und Gluth.
Kurz sie war weder schön, noch häßlich und schon der Art, daß man
sich mit Hilft einer einigermaßen blühenden Phantasie und starken
Willenskraft recht anständig in sie verlieben konnte. So wenigstens
dachte Richard, nachdem er längere Zeit aus der Ferne den unbemerk¬
ten Beobachter abgegeben hatte, strich sorglich die Falten aus feinen
Glacehandschuhen und ging entschlossen auf das Pfarrhaus zu. Zu¬
fällig machte Manschen gerade in diesem Augenblicke eine Bewegung,
die man bei prosaischen, nichtnovellmfähigen Menschen ,,Deinen" nen¬
nen würde, und neigte hierbei ihr Haupt etwas weit zurück, -- da
bemerkte sie plötzlich den elegant gekleideten fremden Herrn leibhaftig
auf die Pfarre losschreiten. Daß sie zusammenschrak, leicht erröthete,
sich mit einer unglaublichen Wißbegierde in das Buch vertiefte, und
mehr Blätter in einer halben Stunde umschlug, als ein gebildeter
Mensch in zwei Stunden durchlesen kann, -- nun das hielt Dinge,
die keiner ausdrücklichen Erwähnung bedürfen.

Richard's geschmackvollste Complimente blieben anfangs unbemerkt.
Erst durch die Worte: "Sie entschuldigen, mein Fräulein, daß ich so
unhöflich bin, zu stören ---" wurde sie aus ihrem tiefen Sinnen auf¬
gestört, gerieth in eine angemessene Verwirrung, erhob sich Und blickte
Richard erwartungsvoll an. Dieser hatte gerade lange genug in< G<
(mit dieser Chiffre wollen wir das Städtchen bezeichnen) gelebt, um
zu wissen, daß es hier eines stichhaltigen Einlaßgrundes bedürfe; er
erklärte daher, die Absicht seines Kommens sei, dem Herrn Pfarrer
seine Aufwartung zu machen, von dessen wissenschaftlichem Umgänge
er sich einen Genuß verspreche, der sonst in G. nicht geboten würde.
Der würdige Seelsorger war nun zwar unglücklicher oder glücklicher
Weise nicht zu Hause, sondern auf seinem täglichen Spaziergattge be¬
griffen, um sich von den Festtagsstrapazen zu erholen und von dem
Stande der Feldfrüchte zu überzeugen; -- aber es war doch eine mora¬
lische Eintrittsberechtigung da. -- Mit überlegener Gewandtheit wußte
Richard eine Unterhaltung anzuknüpfen, die nicht einen Augenblick an


höhnen; vergebens prätendirt die keck hervorspringende, doch edel ge¬
bogene Adlernase» einem Gesicht Ausdruck zu verleihen, das, weder
blühend noch blaß, sondern ein frostiges Mirtumcompofitum, seinen
anziehendsten Punkt in einem schönen, doch etwas zusammengedrückten
Mund findet, von dem man eben nicht mit Bestimmtheit behaupten
kann, ob er zu viel, oder zu wenig geküßt ist. Ihr Teint ist unrein
und spielt etwas in das Gelbliche über, doch zeigt er da, wo der
Nacken aus der kleinen Florhülle hervorquillt, Glanz und Gluth.
Kurz sie war weder schön, noch häßlich und schon der Art, daß man
sich mit Hilft einer einigermaßen blühenden Phantasie und starken
Willenskraft recht anständig in sie verlieben konnte. So wenigstens
dachte Richard, nachdem er längere Zeit aus der Ferne den unbemerk¬
ten Beobachter abgegeben hatte, strich sorglich die Falten aus feinen
Glacehandschuhen und ging entschlossen auf das Pfarrhaus zu. Zu¬
fällig machte Manschen gerade in diesem Augenblicke eine Bewegung,
die man bei prosaischen, nichtnovellmfähigen Menschen ,,Deinen" nen¬
nen würde, und neigte hierbei ihr Haupt etwas weit zurück, — da
bemerkte sie plötzlich den elegant gekleideten fremden Herrn leibhaftig
auf die Pfarre losschreiten. Daß sie zusammenschrak, leicht erröthete,
sich mit einer unglaublichen Wißbegierde in das Buch vertiefte, und
mehr Blätter in einer halben Stunde umschlug, als ein gebildeter
Mensch in zwei Stunden durchlesen kann, — nun das hielt Dinge,
die keiner ausdrücklichen Erwähnung bedürfen.

Richard's geschmackvollste Complimente blieben anfangs unbemerkt.
Erst durch die Worte: „Sie entschuldigen, mein Fräulein, daß ich so
unhöflich bin, zu stören -—" wurde sie aus ihrem tiefen Sinnen auf¬
gestört, gerieth in eine angemessene Verwirrung, erhob sich Und blickte
Richard erwartungsvoll an. Dieser hatte gerade lange genug in< G<
(mit dieser Chiffre wollen wir das Städtchen bezeichnen) gelebt, um
zu wissen, daß es hier eines stichhaltigen Einlaßgrundes bedürfe; er
erklärte daher, die Absicht seines Kommens sei, dem Herrn Pfarrer
seine Aufwartung zu machen, von dessen wissenschaftlichem Umgänge
er sich einen Genuß verspreche, der sonst in G. nicht geboten würde.
Der würdige Seelsorger war nun zwar unglücklicher oder glücklicher
Weise nicht zu Hause, sondern auf seinem täglichen Spaziergattge be¬
griffen, um sich von den Festtagsstrapazen zu erholen und von dem
Stande der Feldfrüchte zu überzeugen; — aber es war doch eine mora¬
lische Eintrittsberechtigung da. — Mit überlegener Gewandtheit wußte
Richard eine Unterhaltung anzuknüpfen, die nicht einen Augenblick an


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[0306] höhnen; vergebens prätendirt die keck hervorspringende, doch edel ge¬ bogene Adlernase» einem Gesicht Ausdruck zu verleihen, das, weder blühend noch blaß, sondern ein frostiges Mirtumcompofitum, seinen anziehendsten Punkt in einem schönen, doch etwas zusammengedrückten Mund findet, von dem man eben nicht mit Bestimmtheit behaupten kann, ob er zu viel, oder zu wenig geküßt ist. Ihr Teint ist unrein und spielt etwas in das Gelbliche über, doch zeigt er da, wo der Nacken aus der kleinen Florhülle hervorquillt, Glanz und Gluth. Kurz sie war weder schön, noch häßlich und schon der Art, daß man sich mit Hilft einer einigermaßen blühenden Phantasie und starken Willenskraft recht anständig in sie verlieben konnte. So wenigstens dachte Richard, nachdem er längere Zeit aus der Ferne den unbemerk¬ ten Beobachter abgegeben hatte, strich sorglich die Falten aus feinen Glacehandschuhen und ging entschlossen auf das Pfarrhaus zu. Zu¬ fällig machte Manschen gerade in diesem Augenblicke eine Bewegung, die man bei prosaischen, nichtnovellmfähigen Menschen ,,Deinen" nen¬ nen würde, und neigte hierbei ihr Haupt etwas weit zurück, — da bemerkte sie plötzlich den elegant gekleideten fremden Herrn leibhaftig auf die Pfarre losschreiten. Daß sie zusammenschrak, leicht erröthete, sich mit einer unglaublichen Wißbegierde in das Buch vertiefte, und mehr Blätter in einer halben Stunde umschlug, als ein gebildeter Mensch in zwei Stunden durchlesen kann, — nun das hielt Dinge, die keiner ausdrücklichen Erwähnung bedürfen. Richard's geschmackvollste Complimente blieben anfangs unbemerkt. Erst durch die Worte: „Sie entschuldigen, mein Fräulein, daß ich so unhöflich bin, zu stören -—" wurde sie aus ihrem tiefen Sinnen auf¬ gestört, gerieth in eine angemessene Verwirrung, erhob sich Und blickte Richard erwartungsvoll an. Dieser hatte gerade lange genug in< G< (mit dieser Chiffre wollen wir das Städtchen bezeichnen) gelebt, um zu wissen, daß es hier eines stichhaltigen Einlaßgrundes bedürfe; er erklärte daher, die Absicht seines Kommens sei, dem Herrn Pfarrer seine Aufwartung zu machen, von dessen wissenschaftlichem Umgänge er sich einen Genuß verspreche, der sonst in G. nicht geboten würde. Der würdige Seelsorger war nun zwar unglücklicher oder glücklicher Weise nicht zu Hause, sondern auf seinem täglichen Spaziergattge be¬ griffen, um sich von den Festtagsstrapazen zu erholen und von dem Stande der Feldfrüchte zu überzeugen; — aber es war doch eine mora¬ lische Eintrittsberechtigung da. — Mit überlegener Gewandtheit wußte Richard eine Unterhaltung anzuknüpfen, die nicht einen Augenblick an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/306>, abgerufen am 24.11.2024.