Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.tum, um seine Stimme neben der der Andern hören zu lassen, wel¬ tum, um seine Stimme neben der der Andern hören zu lassen, wel¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182453"/> <p xml:id="ID_49" prev="#ID_48" next="#ID_50"> tum, um seine Stimme neben der der Andern hören zu lassen, wel¬<lb/> che ohne Anspruch auf allgemeinere Geltung ihre individuellen Ein¬<lb/> drücke und subjectiver Ansichten vortragen. Er soll nur aufmerksam<lb/> auf Dieses oder Jenes machen, damit es nicht durch die Ungunst der<lb/> Verhältnisse spurlos vorübergehe im wilden Strom der Bücherwasser.<lb/> Aber auch darin hat die Kritik mancherlei Erfahrungen gemacht.- das<lb/> Publicum las und kaufte Bücher, welche sie nicht in den Mund ge¬<lb/> nommen aber verdammt hatte, das Publikum ließ andere gänzlich<lb/> unbeachtet, die sie unter Trompetenschall auf ihr Schild gehoben.<lb/> Wahrlich ein unangenehmes Bewußtsein, wenn man in den Fall ge¬<lb/> setzt ist, auf einige neuere Erscheinungen hinzuweisen und ihren Werth<lb/> zu bestimmen! — Hat doch die Kritik selbst so wenig Einfluß auf<lb/> die ästhetische Produktion in der Literatur gehabt, daß sie es nicht<lb/> vermochte, gewisse einzelne moderne Richtungen, z. B. der Poesie in<lb/> ihrer Weitergestaltung zu finden, wenn sie gleich mit allen möglichen<lb/> Gründen der Theorie nachwies, wie dadurch der wahren und wirkli¬<lb/> chen Poesie das innerste Leben bedroht und der ächte Kern genom¬<lb/> men sei. So mit der politischen Lyrik. Eine ganze große Schaar<lb/> der bedeutendsten Namen stemmten sich ihr entgegen; und dennoch<lb/> lebt sie fort,ist sie sogar vorzugsweise gepflegt und hat sie bereits ihre<lb/> neue Entwickelung als sociale Lyrik gewonnen, seitdem die Politik<lb/> selbst social geworden ist. Merkwürdig, daß gerade in den Dichtern<lb/> österreichischen Stammes diese Elemente, früher das politische vom<lb/> sozialen getrennt, neuerdings auch viele vereint, ihre eifrigsten und<lb/> bedeutensten Vertreter gefunden haben. Es ist nicht nöthig, an Se. Grün,<lb/> Lenau, Bauernfeld nochmals zu erinnern; die neueste Zeit hat uns in<lb/> Meißner, Moritz Hartmann u. A. nicht nur deren Epigonen, sondern auch<lb/> echte Nachkommen vorgeführt. Hermann Rottet will sich nun mit<lb/> einem Theile seiner Gedichtsammlung, welche er „Frühlingsboten aus<lb/> Oesterreich" betitelt, dieser Richtung anschließen. Bereits vor vier Jah¬<lb/> ren war er mit einem Bändchen „Liederkcänze" hervorgetreten, an de¬<lb/> nen man eine hübsche Sprache und leichte Versisication lobend aner¬<lb/> kennen mußte. Sie waren jedoch im Uebrigen nur der Ausdruck einer<lb/> rein subjectiven doch weder originellen noch gerad gefühlsstarken Lyrik.<lb/> Nun erschien seine neue Gedichtsammlung „Freie Klänge." Daraus<lb/> klingt uns, was gerade die Welt bewegt: Geistesfreiheit, bürgerliche<lb/> Freiheit, Proletariat, Pauperismus und was sonst noch dahin Bezug<lb/> hat. Dann folgt ein Abschnitt „Friedliche Stimmen", viel länger als<lb/> der erste und den Gedichten der Liederkranze ziemlich ähnlich. Den<lb/> letzten Abschnitt bilden „Dorfgeschichten." Alle drei Abtheilungen zei¬<lb/> gen mancherlei Gutes, es ist viel Wärme in den einzelnen Gedichten<lb/> ersichtlich und doch suchen wir rings vergebens nach jenem überwälti¬<lb/> genden Aufflammen in Zorn, Liebe und Begeisterung, wie es gerad<lb/> aus Oesterreichs Dichtern so oft erschreckend und erhebend gleichzeitig</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
tum, um seine Stimme neben der der Andern hören zu lassen, wel¬
che ohne Anspruch auf allgemeinere Geltung ihre individuellen Ein¬
drücke und subjectiver Ansichten vortragen. Er soll nur aufmerksam
auf Dieses oder Jenes machen, damit es nicht durch die Ungunst der
Verhältnisse spurlos vorübergehe im wilden Strom der Bücherwasser.
Aber auch darin hat die Kritik mancherlei Erfahrungen gemacht.- das
Publicum las und kaufte Bücher, welche sie nicht in den Mund ge¬
nommen aber verdammt hatte, das Publikum ließ andere gänzlich
unbeachtet, die sie unter Trompetenschall auf ihr Schild gehoben.
Wahrlich ein unangenehmes Bewußtsein, wenn man in den Fall ge¬
setzt ist, auf einige neuere Erscheinungen hinzuweisen und ihren Werth
zu bestimmen! — Hat doch die Kritik selbst so wenig Einfluß auf
die ästhetische Produktion in der Literatur gehabt, daß sie es nicht
vermochte, gewisse einzelne moderne Richtungen, z. B. der Poesie in
ihrer Weitergestaltung zu finden, wenn sie gleich mit allen möglichen
Gründen der Theorie nachwies, wie dadurch der wahren und wirkli¬
chen Poesie das innerste Leben bedroht und der ächte Kern genom¬
men sei. So mit der politischen Lyrik. Eine ganze große Schaar
der bedeutendsten Namen stemmten sich ihr entgegen; und dennoch
lebt sie fort,ist sie sogar vorzugsweise gepflegt und hat sie bereits ihre
neue Entwickelung als sociale Lyrik gewonnen, seitdem die Politik
selbst social geworden ist. Merkwürdig, daß gerade in den Dichtern
österreichischen Stammes diese Elemente, früher das politische vom
sozialen getrennt, neuerdings auch viele vereint, ihre eifrigsten und
bedeutensten Vertreter gefunden haben. Es ist nicht nöthig, an Se. Grün,
Lenau, Bauernfeld nochmals zu erinnern; die neueste Zeit hat uns in
Meißner, Moritz Hartmann u. A. nicht nur deren Epigonen, sondern auch
echte Nachkommen vorgeführt. Hermann Rottet will sich nun mit
einem Theile seiner Gedichtsammlung, welche er „Frühlingsboten aus
Oesterreich" betitelt, dieser Richtung anschließen. Bereits vor vier Jah¬
ren war er mit einem Bändchen „Liederkcänze" hervorgetreten, an de¬
nen man eine hübsche Sprache und leichte Versisication lobend aner¬
kennen mußte. Sie waren jedoch im Uebrigen nur der Ausdruck einer
rein subjectiven doch weder originellen noch gerad gefühlsstarken Lyrik.
Nun erschien seine neue Gedichtsammlung „Freie Klänge." Daraus
klingt uns, was gerade die Welt bewegt: Geistesfreiheit, bürgerliche
Freiheit, Proletariat, Pauperismus und was sonst noch dahin Bezug
hat. Dann folgt ein Abschnitt „Friedliche Stimmen", viel länger als
der erste und den Gedichten der Liederkranze ziemlich ähnlich. Den
letzten Abschnitt bilden „Dorfgeschichten." Alle drei Abtheilungen zei¬
gen mancherlei Gutes, es ist viel Wärme in den einzelnen Gedichten
ersichtlich und doch suchen wir rings vergebens nach jenem überwälti¬
genden Aufflammen in Zorn, Liebe und Begeisterung, wie es gerad
aus Oesterreichs Dichtern so oft erschreckend und erhebend gleichzeitig
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