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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Anhänger zählt; die Apostel befehden sich bitterlich, und die Secten
thun das gleiche."

So bleibt denn Ruge nichts Anderes übrig, als alle seine Hoff¬
nungen -- wie dies eben auch alle Religionen thun -- auf die Zu¬
kunft zu setzen. "Sobald die Principien in Frankreich die Höhe der
deutschen Philosophie erreicht haben werden, wird die ganze Neligions-
frage eine Erziehungsfrage; nur durch Bildung befreit man den Men¬
sche", und Frankreich wird den Muth haben, sowohl die religiöse als
die militärische Rohheit zu zerstören, und durch demokratische Organi¬
sation das Commando, durch Volksbildung den religiösen Aberglau¬
ben zu ersetzen." Da haben wir den Propheten.

Man wird fragen, auf welche Elemente der Wirklichkeit stützt
denn Rüge noch immer, nach allen oben erwähnten Erfahrungen,
diese Hoffnung und Prophezeiung? Nun, er klammert sich an einen
Strohhalm. Dieser Strohhalm ist die demokratisch-sociale Partei.
Daß es ein Strohhalm ist, fühlt Rüge selbst, und dennoch greift er
darnach. Er sagt: Louis Blanc wolle eine Socialreform mittelst re¬
publikanischer Institutionen, aber L. Blanc sei sich über diese Reform
selbst nicht klar. Nun also! Und L. Blanc ist, wie Rüge ebenfalls
gesteht, auch nicht im Mindesten gesonnen, sich von Rüge aufklären
zu lassen. Rüge findet eS ganz recht, daß man alle Reformen der
menschlichen Gesellschaft als Reformen des Staats behandelt, und
die sociale Sectirerei zu einer politischen Partei zu erheben
sucht. Doch wirft er sich selbst die gerechte Frage auf: "Wenn Alle
stimmen dürfen, wofür werden sie stimmen, wie weit wird ihre Ein¬
sicht reichen?" Diesen Einwand besänftigt er mit seinem alten Liede:
"Gewinne nur die Partei den nöthigen theoretischen Inhalt und
die geistigen Kräfte, wodurch sich der Mangel der richtigen Theorie
aushebt, so gehört die Zukunft ihr, denn ihr Princip ist ohne
allen Zweifel die Aufgabe der Geschichte."

Betrachten wir denn dieses Princip, hören wir das Glaubens-
bekenntniß der Social- Republikaner, wie es von der ttvlai me publi-
cirt wurde, unterzeichnet von F. Arago, Ledru-Nollin, Joly, Etienne
Arago, Louis Blanc, Victor Schvlcher u. A. "Alle Menschen sind
Brüder. -- Wo die Gleichheit nicht enstirt, ist die Freiheit eine Lüge.
-- Die Gesellschaft könnte nicht bestehen ohne die Ungleichheit der
Fähigkeiten und die Verschiedenheit der Funktionen, aber größere Fä¬
higkeiten dürfen nicht größere Rechte verleihen; sie legen größere
Pflichten auf. -- Dies ist das Princip der Gleichheit; seine noth-


Anhänger zählt; die Apostel befehden sich bitterlich, und die Secten
thun das gleiche."

So bleibt denn Ruge nichts Anderes übrig, als alle seine Hoff¬
nungen — wie dies eben auch alle Religionen thun — auf die Zu¬
kunft zu setzen. „Sobald die Principien in Frankreich die Höhe der
deutschen Philosophie erreicht haben werden, wird die ganze Neligions-
frage eine Erziehungsfrage; nur durch Bildung befreit man den Men¬
sche», und Frankreich wird den Muth haben, sowohl die religiöse als
die militärische Rohheit zu zerstören, und durch demokratische Organi¬
sation das Commando, durch Volksbildung den religiösen Aberglau¬
ben zu ersetzen." Da haben wir den Propheten.

Man wird fragen, auf welche Elemente der Wirklichkeit stützt
denn Rüge noch immer, nach allen oben erwähnten Erfahrungen,
diese Hoffnung und Prophezeiung? Nun, er klammert sich an einen
Strohhalm. Dieser Strohhalm ist die demokratisch-sociale Partei.
Daß es ein Strohhalm ist, fühlt Rüge selbst, und dennoch greift er
darnach. Er sagt: Louis Blanc wolle eine Socialreform mittelst re¬
publikanischer Institutionen, aber L. Blanc sei sich über diese Reform
selbst nicht klar. Nun also! Und L. Blanc ist, wie Rüge ebenfalls
gesteht, auch nicht im Mindesten gesonnen, sich von Rüge aufklären
zu lassen. Rüge findet eS ganz recht, daß man alle Reformen der
menschlichen Gesellschaft als Reformen des Staats behandelt, und
die sociale Sectirerei zu einer politischen Partei zu erheben
sucht. Doch wirft er sich selbst die gerechte Frage auf: „Wenn Alle
stimmen dürfen, wofür werden sie stimmen, wie weit wird ihre Ein¬
sicht reichen?" Diesen Einwand besänftigt er mit seinem alten Liede:
„Gewinne nur die Partei den nöthigen theoretischen Inhalt und
die geistigen Kräfte, wodurch sich der Mangel der richtigen Theorie
aushebt, so gehört die Zukunft ihr, denn ihr Princip ist ohne
allen Zweifel die Aufgabe der Geschichte."

Betrachten wir denn dieses Princip, hören wir das Glaubens-
bekenntniß der Social- Republikaner, wie es von der ttvlai me publi-
cirt wurde, unterzeichnet von F. Arago, Ledru-Nollin, Joly, Etienne
Arago, Louis Blanc, Victor Schvlcher u. A. „Alle Menschen sind
Brüder. — Wo die Gleichheit nicht enstirt, ist die Freiheit eine Lüge.
— Die Gesellschaft könnte nicht bestehen ohne die Ungleichheit der
Fähigkeiten und die Verschiedenheit der Funktionen, aber größere Fä¬
higkeiten dürfen nicht größere Rechte verleihen; sie legen größere
Pflichten auf. — Dies ist das Princip der Gleichheit; seine noth-


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[0296] Anhänger zählt; die Apostel befehden sich bitterlich, und die Secten thun das gleiche." So bleibt denn Ruge nichts Anderes übrig, als alle seine Hoff¬ nungen — wie dies eben auch alle Religionen thun — auf die Zu¬ kunft zu setzen. „Sobald die Principien in Frankreich die Höhe der deutschen Philosophie erreicht haben werden, wird die ganze Neligions- frage eine Erziehungsfrage; nur durch Bildung befreit man den Men¬ sche», und Frankreich wird den Muth haben, sowohl die religiöse als die militärische Rohheit zu zerstören, und durch demokratische Organi¬ sation das Commando, durch Volksbildung den religiösen Aberglau¬ ben zu ersetzen." Da haben wir den Propheten. Man wird fragen, auf welche Elemente der Wirklichkeit stützt denn Rüge noch immer, nach allen oben erwähnten Erfahrungen, diese Hoffnung und Prophezeiung? Nun, er klammert sich an einen Strohhalm. Dieser Strohhalm ist die demokratisch-sociale Partei. Daß es ein Strohhalm ist, fühlt Rüge selbst, und dennoch greift er darnach. Er sagt: Louis Blanc wolle eine Socialreform mittelst re¬ publikanischer Institutionen, aber L. Blanc sei sich über diese Reform selbst nicht klar. Nun also! Und L. Blanc ist, wie Rüge ebenfalls gesteht, auch nicht im Mindesten gesonnen, sich von Rüge aufklären zu lassen. Rüge findet eS ganz recht, daß man alle Reformen der menschlichen Gesellschaft als Reformen des Staats behandelt, und die sociale Sectirerei zu einer politischen Partei zu erheben sucht. Doch wirft er sich selbst die gerechte Frage auf: „Wenn Alle stimmen dürfen, wofür werden sie stimmen, wie weit wird ihre Ein¬ sicht reichen?" Diesen Einwand besänftigt er mit seinem alten Liede: „Gewinne nur die Partei den nöthigen theoretischen Inhalt und die geistigen Kräfte, wodurch sich der Mangel der richtigen Theorie aushebt, so gehört die Zukunft ihr, denn ihr Princip ist ohne allen Zweifel die Aufgabe der Geschichte." Betrachten wir denn dieses Princip, hören wir das Glaubens- bekenntniß der Social- Republikaner, wie es von der ttvlai me publi- cirt wurde, unterzeichnet von F. Arago, Ledru-Nollin, Joly, Etienne Arago, Louis Blanc, Victor Schvlcher u. A. „Alle Menschen sind Brüder. — Wo die Gleichheit nicht enstirt, ist die Freiheit eine Lüge. — Die Gesellschaft könnte nicht bestehen ohne die Ungleichheit der Fähigkeiten und die Verschiedenheit der Funktionen, aber größere Fä¬ higkeiten dürfen nicht größere Rechte verleihen; sie legen größere Pflichten auf. — Dies ist das Princip der Gleichheit; seine noth-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/296>, abgerufen am 23.07.2024.