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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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jede Rede einen Hinterhalt, für alles Schlechte eine Beschönigung, für
das Niederträchtigste eine Rechtfertigung wissen, und am gröbsten Fre¬
vel so lange unterscheiden, absetzen, klügeln und mäkeln, bis alle
Moral ein Hirngespinnst der Thoren, oder eine Fabel für Kinder wird.
Die in ihrer nächsten Nähe haben es ganz gut beobachtet, wie diese
Eindringlinge allenthalben Zwietracht stiften, die Knaben gegen ihre
Eltern aufhetzen, die Mädchen zur Beichte locken, um sie über Dinge
zu fragen, worüber Sitte und Zucht schamroth werden, dafür aber
ewige Jungfrauschaft geloben lassen, Kelche, die man ihnen nicht schen¬
ken will, forttragen, fremde Schränke öffnen, und was der schönen
Anekdötchen mehr sind, die in Innsbruck jedes Kind an den Fingern
herzählt. Die frommen Väter haben sich zwar nachgerade manche
Lehre zu Nutzen gemacht, sie gestatten sogar Bädern und Müttern den
Zutritt zu ihren todtkranken Kindern, und diesen hier und da einen
seltenen Besuch außer dein Hause, aber man sieht'S an den Ausnahmen,
was Regel blieb. Nur Jünglinge unter 14 Jahren sind zur Aufnahme
in's Convict geeignet, jene nämlich, die noch bildsam wie Wachs, weich
wie eine Gerte, willenlos wie ein Lamm sind, und selbst diesen --
ahnt ihr den Obern, unter dessen Gewalt sie treten? -- hat nicht der
Borstand der Anstalt, sondern nur der Provinzial des Ordens die
Bewilligung zum Eintritte zu ertheilen. In Innsbruck vernimmt man
nur eine Stimme, keinen Knaben in's Convict zu schicken, und bis
zum Monat April meldete sich, aus allen Ländern des großen öster¬
reichischen Kaiserthums, blos ein Einziger, so daß die Eröffnung des
Coilvicts im October 1846 noch sehr in Zweifel steht, obwohl das
active Mitglied des jesuitischen Vereins, Pelliani, sich zum Beginne
mit 50, der seit Monden schon anwesende Pater Rector sogar mit 10
Zöglingen begnügen wollten. Da erschöpften sich nun die guten Va.
ter in neuen Bestrebungen. Auf dem Lande, wo der schwarze Rock
noch untreimlich gilt von Tugend und Gotteswort, da, meinen sie, sei
das wahre Feld für ihre Saaten. In Kaltem erklärten sie die Ele-
meiltalschulen zu übernehmen, in Hall trachten sie nach dem Gymna-
sillin, der ZuflllchtSstätte der innsbrucker Jünglinge, die sich ihrer Leitung
entziehen; daß auch die Gerüchte von den Ansiedelungen inBotzenund
Trient gegründet sind, dürfte schwer zu bezweifeln sein, gewöhnlich
wird dies freilich erst dann eingestanden, wenn das vierhörnige Jesui-
tenhütlein leibhaftig vor aller Augen einherstolzirt. Man spricht leider
von mächtigen Gönnern, die sie beschützen, und scheint nachgiebiger
gegen sie, als es wahrer Ernst ist. Ob diese hohen Herren sie wohl


jede Rede einen Hinterhalt, für alles Schlechte eine Beschönigung, für
das Niederträchtigste eine Rechtfertigung wissen, und am gröbsten Fre¬
vel so lange unterscheiden, absetzen, klügeln und mäkeln, bis alle
Moral ein Hirngespinnst der Thoren, oder eine Fabel für Kinder wird.
Die in ihrer nächsten Nähe haben es ganz gut beobachtet, wie diese
Eindringlinge allenthalben Zwietracht stiften, die Knaben gegen ihre
Eltern aufhetzen, die Mädchen zur Beichte locken, um sie über Dinge
zu fragen, worüber Sitte und Zucht schamroth werden, dafür aber
ewige Jungfrauschaft geloben lassen, Kelche, die man ihnen nicht schen¬
ken will, forttragen, fremde Schränke öffnen, und was der schönen
Anekdötchen mehr sind, die in Innsbruck jedes Kind an den Fingern
herzählt. Die frommen Väter haben sich zwar nachgerade manche
Lehre zu Nutzen gemacht, sie gestatten sogar Bädern und Müttern den
Zutritt zu ihren todtkranken Kindern, und diesen hier und da einen
seltenen Besuch außer dein Hause, aber man sieht'S an den Ausnahmen,
was Regel blieb. Nur Jünglinge unter 14 Jahren sind zur Aufnahme
in's Convict geeignet, jene nämlich, die noch bildsam wie Wachs, weich
wie eine Gerte, willenlos wie ein Lamm sind, und selbst diesen —
ahnt ihr den Obern, unter dessen Gewalt sie treten? — hat nicht der
Borstand der Anstalt, sondern nur der Provinzial des Ordens die
Bewilligung zum Eintritte zu ertheilen. In Innsbruck vernimmt man
nur eine Stimme, keinen Knaben in's Convict zu schicken, und bis
zum Monat April meldete sich, aus allen Ländern des großen öster¬
reichischen Kaiserthums, blos ein Einziger, so daß die Eröffnung des
Coilvicts im October 1846 noch sehr in Zweifel steht, obwohl das
active Mitglied des jesuitischen Vereins, Pelliani, sich zum Beginne
mit 50, der seit Monden schon anwesende Pater Rector sogar mit 10
Zöglingen begnügen wollten. Da erschöpften sich nun die guten Va.
ter in neuen Bestrebungen. Auf dem Lande, wo der schwarze Rock
noch untreimlich gilt von Tugend und Gotteswort, da, meinen sie, sei
das wahre Feld für ihre Saaten. In Kaltem erklärten sie die Ele-
meiltalschulen zu übernehmen, in Hall trachten sie nach dem Gymna-
sillin, der ZuflllchtSstätte der innsbrucker Jünglinge, die sich ihrer Leitung
entziehen; daß auch die Gerüchte von den Ansiedelungen inBotzenund
Trient gegründet sind, dürfte schwer zu bezweifeln sein, gewöhnlich
wird dies freilich erst dann eingestanden, wenn das vierhörnige Jesui-
tenhütlein leibhaftig vor aller Augen einherstolzirt. Man spricht leider
von mächtigen Gönnern, die sie beschützen, und scheint nachgiebiger
gegen sie, als es wahrer Ernst ist. Ob diese hohen Herren sie wohl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/285>, abgerufen am 24.11.2024.