Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

meles Spiel mit ihm getrieben. Er ist eitel, abenteuerlustig, leicht¬
sinnig. Durch seinen Beruf als Maler, durch seine früheren Bekannt¬
schaften lind durch seinen Uebermuth kommt er mit den verschieden¬
artigsten Gesellschaftsklassen in Verbindung; er ist gern dabei, wo es
gilt, einem Freunde beizustehen, einer unverdienten Armuth abzuhelfen,
oder auch die Anmaßung zu bestrafen und der Bosheit die Larve vom
Gesichte zu reißen. Tugend und Schönheit gruppiren sich um ihn und
es spinnt sich eine Menge von Abenteuern ab, in denen die interessan¬
testen Gestalten hervortauchen, stets fesseln und uns die geistreiche
Pinselführung des Dichters, die anmuthige Anlage der Gemälde be¬
wundern lassen. Der Dichter führt uns nach einander ein in das
hohle, in sich bankerotte und trostlos gelangweilte Leben unserer deut¬
schen Aristokratie, in die Coulissenwelt des Theaters und seine Intri¬
guen, in die Fuchsschwänzereien, in die Lügenhaftigkeit und Aufgebla¬
senheit des Hofgesindes, in die ärmliche Wohnung des bedrängten
Mittelstandes. Der Roman umfaßt alle Stände, er steht über der
ständischen Beschränktheit, er sucht das ganze Leben. Wir lernen die
geheimen Fahrten der Geldwucherer, der vornehmsten und der niedrig¬
sten Wegelagerer kennen und es wird eben so unerbittlich von den
Gedanken der regierenden Personen, wie der elendesten, niedrigsten
Gauner jener Schleier weggenommen, in dem sie sich im gewöhnlichen
Leben verbergen und hinter den unsere deutschen Romanschriftsteller so
äußerst selten zu schauen wissen. Ueberall ist Wahrheit, überall ist mit
den richtigsten Farben gemalt, wenn auch häufig nur skizzirt und nicht
bis in's Einzelne ausgeführt. Der Horizont unserer politischen und
socialen Zustände tritt uns in den Verhältnissen und in den Personen,
welche der Dichter herbeiführt, schlagend entgegen, treffender, als in
den gründlichsten Raisonnements. Er hat den Fluch, der uns quält,
in Gestalten gebracht, er zeigt uns unsere Noth, unsern Jammer, nur
müssen hassen, wir müssen verachten. Von unserer ganzen deutschen
Welt, von oben bis unten, wird der Vorhang weggenommen und der
Versasser hat die männliche Bitterkeit, das Gefühl der Verzweiflung,
welches ihn selbst zuweilen zu überkommen scheint, durch die Ruhe
seiner poetischen Kraft, seiner Objectivirung zu mildern gewußt. Aller¬
dings liebt er mehr die Skizze, wie die Ausführung und das ist zum
Theil ein Tadel für den Roman; aber wie werthvoll sind nicht auch
geniale Skizzen! Wenn der Dichter, statt seine Personen redend ein¬
zuführen, ihre Worte häufig in seinem eigenen Namen überliefert, dann
aber wieder ganz und gar die dramatische Form anzunehmen beliebt,


Grenzboten, II. Is"". 3Z

meles Spiel mit ihm getrieben. Er ist eitel, abenteuerlustig, leicht¬
sinnig. Durch seinen Beruf als Maler, durch seine früheren Bekannt¬
schaften lind durch seinen Uebermuth kommt er mit den verschieden¬
artigsten Gesellschaftsklassen in Verbindung; er ist gern dabei, wo es
gilt, einem Freunde beizustehen, einer unverdienten Armuth abzuhelfen,
oder auch die Anmaßung zu bestrafen und der Bosheit die Larve vom
Gesichte zu reißen. Tugend und Schönheit gruppiren sich um ihn und
es spinnt sich eine Menge von Abenteuern ab, in denen die interessan¬
testen Gestalten hervortauchen, stets fesseln und uns die geistreiche
Pinselführung des Dichters, die anmuthige Anlage der Gemälde be¬
wundern lassen. Der Dichter führt uns nach einander ein in das
hohle, in sich bankerotte und trostlos gelangweilte Leben unserer deut¬
schen Aristokratie, in die Coulissenwelt des Theaters und seine Intri¬
guen, in die Fuchsschwänzereien, in die Lügenhaftigkeit und Aufgebla¬
senheit des Hofgesindes, in die ärmliche Wohnung des bedrängten
Mittelstandes. Der Roman umfaßt alle Stände, er steht über der
ständischen Beschränktheit, er sucht das ganze Leben. Wir lernen die
geheimen Fahrten der Geldwucherer, der vornehmsten und der niedrig¬
sten Wegelagerer kennen und es wird eben so unerbittlich von den
Gedanken der regierenden Personen, wie der elendesten, niedrigsten
Gauner jener Schleier weggenommen, in dem sie sich im gewöhnlichen
Leben verbergen und hinter den unsere deutschen Romanschriftsteller so
äußerst selten zu schauen wissen. Ueberall ist Wahrheit, überall ist mit
den richtigsten Farben gemalt, wenn auch häufig nur skizzirt und nicht
bis in's Einzelne ausgeführt. Der Horizont unserer politischen und
socialen Zustände tritt uns in den Verhältnissen und in den Personen,
welche der Dichter herbeiführt, schlagend entgegen, treffender, als in
den gründlichsten Raisonnements. Er hat den Fluch, der uns quält,
in Gestalten gebracht, er zeigt uns unsere Noth, unsern Jammer, nur
müssen hassen, wir müssen verachten. Von unserer ganzen deutschen
Welt, von oben bis unten, wird der Vorhang weggenommen und der
Versasser hat die männliche Bitterkeit, das Gefühl der Verzweiflung,
welches ihn selbst zuweilen zu überkommen scheint, durch die Ruhe
seiner poetischen Kraft, seiner Objectivirung zu mildern gewußt. Aller¬
dings liebt er mehr die Skizze, wie die Ausführung und das ist zum
Theil ein Tadel für den Roman; aber wie werthvoll sind nicht auch
geniale Skizzen! Wenn der Dichter, statt seine Personen redend ein¬
zuführen, ihre Worte häufig in seinem eigenen Namen überliefert, dann
aber wieder ganz und gar die dramatische Form anzunehmen beliebt,


Grenzboten, II. Is»«. 3Z
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182688"/>
          <p xml:id="ID_746" prev="#ID_745" next="#ID_747"> meles Spiel mit ihm getrieben. Er ist eitel, abenteuerlustig, leicht¬<lb/>
sinnig. Durch seinen Beruf als Maler, durch seine früheren Bekannt¬<lb/>
schaften lind durch seinen Uebermuth kommt er mit den verschieden¬<lb/>
artigsten Gesellschaftsklassen in Verbindung; er ist gern dabei, wo es<lb/>
gilt, einem Freunde beizustehen, einer unverdienten Armuth abzuhelfen,<lb/>
oder auch die Anmaßung zu bestrafen und der Bosheit die Larve vom<lb/>
Gesichte zu reißen. Tugend und Schönheit gruppiren sich um ihn und<lb/>
es spinnt sich eine Menge von Abenteuern ab, in denen die interessan¬<lb/>
testen Gestalten hervortauchen, stets fesseln und uns die geistreiche<lb/>
Pinselführung des Dichters, die anmuthige Anlage der Gemälde be¬<lb/>
wundern lassen. Der Dichter führt uns nach einander ein in das<lb/>
hohle, in sich bankerotte und trostlos gelangweilte Leben unserer deut¬<lb/>
schen Aristokratie, in die Coulissenwelt des Theaters und seine Intri¬<lb/>
guen, in die Fuchsschwänzereien, in die Lügenhaftigkeit und Aufgebla¬<lb/>
senheit des Hofgesindes, in die ärmliche Wohnung des bedrängten<lb/>
Mittelstandes. Der Roman umfaßt alle Stände, er steht über der<lb/>
ständischen Beschränktheit, er sucht das ganze Leben. Wir lernen die<lb/>
geheimen Fahrten der Geldwucherer, der vornehmsten und der niedrig¬<lb/>
sten Wegelagerer kennen und es wird eben so unerbittlich von den<lb/>
Gedanken der regierenden Personen, wie der elendesten, niedrigsten<lb/>
Gauner jener Schleier weggenommen, in dem sie sich im gewöhnlichen<lb/>
Leben verbergen und hinter den unsere deutschen Romanschriftsteller so<lb/>
äußerst selten zu schauen wissen. Ueberall ist Wahrheit, überall ist mit<lb/>
den richtigsten Farben gemalt, wenn auch häufig nur skizzirt und nicht<lb/>
bis in's Einzelne ausgeführt. Der Horizont unserer politischen und<lb/>
socialen Zustände tritt uns in den Verhältnissen und in den Personen,<lb/>
welche der Dichter herbeiführt, schlagend entgegen, treffender, als in<lb/>
den gründlichsten Raisonnements. Er hat den Fluch, der uns quält,<lb/>
in Gestalten gebracht, er zeigt uns unsere Noth, unsern Jammer, nur<lb/>
müssen hassen, wir müssen verachten. Von unserer ganzen deutschen<lb/>
Welt, von oben bis unten, wird der Vorhang weggenommen und der<lb/>
Versasser hat die männliche Bitterkeit, das Gefühl der Verzweiflung,<lb/>
welches ihn selbst zuweilen zu überkommen scheint, durch die Ruhe<lb/>
seiner poetischen Kraft, seiner Objectivirung zu mildern gewußt. Aller¬<lb/>
dings liebt er mehr die Skizze, wie die Ausführung und das ist zum<lb/>
Theil ein Tadel für den Roman; aber wie werthvoll sind nicht auch<lb/>
geniale Skizzen! Wenn der Dichter, statt seine Personen redend ein¬<lb/>
zuführen, ihre Worte häufig in seinem eigenen Namen überliefert, dann<lb/>
aber wieder ganz und gar die dramatische Form anzunehmen beliebt,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten, II. Is»«. 3Z</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0265] meles Spiel mit ihm getrieben. Er ist eitel, abenteuerlustig, leicht¬ sinnig. Durch seinen Beruf als Maler, durch seine früheren Bekannt¬ schaften lind durch seinen Uebermuth kommt er mit den verschieden¬ artigsten Gesellschaftsklassen in Verbindung; er ist gern dabei, wo es gilt, einem Freunde beizustehen, einer unverdienten Armuth abzuhelfen, oder auch die Anmaßung zu bestrafen und der Bosheit die Larve vom Gesichte zu reißen. Tugend und Schönheit gruppiren sich um ihn und es spinnt sich eine Menge von Abenteuern ab, in denen die interessan¬ testen Gestalten hervortauchen, stets fesseln und uns die geistreiche Pinselführung des Dichters, die anmuthige Anlage der Gemälde be¬ wundern lassen. Der Dichter führt uns nach einander ein in das hohle, in sich bankerotte und trostlos gelangweilte Leben unserer deut¬ schen Aristokratie, in die Coulissenwelt des Theaters und seine Intri¬ guen, in die Fuchsschwänzereien, in die Lügenhaftigkeit und Aufgebla¬ senheit des Hofgesindes, in die ärmliche Wohnung des bedrängten Mittelstandes. Der Roman umfaßt alle Stände, er steht über der ständischen Beschränktheit, er sucht das ganze Leben. Wir lernen die geheimen Fahrten der Geldwucherer, der vornehmsten und der niedrig¬ sten Wegelagerer kennen und es wird eben so unerbittlich von den Gedanken der regierenden Personen, wie der elendesten, niedrigsten Gauner jener Schleier weggenommen, in dem sie sich im gewöhnlichen Leben verbergen und hinter den unsere deutschen Romanschriftsteller so äußerst selten zu schauen wissen. Ueberall ist Wahrheit, überall ist mit den richtigsten Farben gemalt, wenn auch häufig nur skizzirt und nicht bis in's Einzelne ausgeführt. Der Horizont unserer politischen und socialen Zustände tritt uns in den Verhältnissen und in den Personen, welche der Dichter herbeiführt, schlagend entgegen, treffender, als in den gründlichsten Raisonnements. Er hat den Fluch, der uns quält, in Gestalten gebracht, er zeigt uns unsere Noth, unsern Jammer, nur müssen hassen, wir müssen verachten. Von unserer ganzen deutschen Welt, von oben bis unten, wird der Vorhang weggenommen und der Versasser hat die männliche Bitterkeit, das Gefühl der Verzweiflung, welches ihn selbst zuweilen zu überkommen scheint, durch die Ruhe seiner poetischen Kraft, seiner Objectivirung zu mildern gewußt. Aller¬ dings liebt er mehr die Skizze, wie die Ausführung und das ist zum Theil ein Tadel für den Roman; aber wie werthvoll sind nicht auch geniale Skizzen! Wenn der Dichter, statt seine Personen redend ein¬ zuführen, ihre Worte häufig in seinem eigenen Namen überliefert, dann aber wieder ganz und gar die dramatische Form anzunehmen beliebt, Grenzboten, II. Is»«. 3Z

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/265
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/265>, abgerufen am 24.11.2024.