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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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ständisch auflösen, hier zum Besten der Aristokratie, dort zum Besten
der Bourgeoisie, dort zum Besten des Proletariates, der "Masse". Wir
wollen keine ständische Romanliteratur, sondern eine solche, die das
ganze Volk in sich aufnimmt und alle Verhältnisse desselben in eine
richtige Wechselwirkung seht. Nur eine solche Nomanliteratur kann
den Anforderungen entsprechen, die wir gegenwärtig als Volk machen,
nur sie ist eines Volkes würdig, nur in ihr kann sich ein Volk wie¬
derfinden.

Ein in dieser Beziehung sehr bedeutender Roman, ist der von
Starklof geschriebene: Armin Galoor. Er sucht den Mittelpunkt
unseres ganzen Lebens und er läßt uns von oben bis unten einen sehr
genialen Blick in unsere mannichfaltigsten Lebenszustände thun. Der
Roman enthält Leben, denn er ist ein Product des Lebens, er ist nicht
in der Jsolinmg eines hübschen Talentes, sondern als Resultat schar¬
fer und verschiedenartigster Beobachtung entstanden. Starklof hat nichts
weniger, als einen Tendenzroman geschrieben, aber er liefert einen Zeit¬
roman und obgleich sein Product durch und durch ein Zeitroman ist,
entbehrt es doch nicht des wahrhaften, concreten Lebens, der indivi¬
duellen Frische, der heitersten Poesie. Starklof scheint auf jener Höhe
des Lebens zu stehen und zu jener objectiven Ruhe gekommen zu sein,
wo man die Poesie und ihr Wesen wieder von dem Wirrwarr des
Tages und den politischen Conflicten der Gegenwart trennt, wo man
zu dem Bewußtsein gelangt, daß sie sich nicht im Partcistrudel ver¬
lieren dürfe, aber auch in der Ueberzeugung lebt, daß es eine Aufgabe
der Poesie und vorzüglich der Poesie des Romanes sei, die Zustände
der Gegenwart und die Individualitäten, wie sie sich mannichfach un¬
ter denselben entwickeln, abzuspiegeln. Man kann sich bei der Lectüre
des "Armin Galoor" nicht leicht des Gedankens erwehren, daß der
Dichter in diesen scharfen, mit genialen Pinselstrichen hingeworfenen
Zeichnungen, einen großen Theil eigner Lebenserfahrungen von sich
loslöse, daß er sich in der Entwickelung dieses Romans über die elen¬
den Kämpfe der Wirklichkeit poetisch zu erheben suche, daß er darin
über den eignen Lebenskampf voll trüber Erfahrungen und scharfer
Beobachtungen den Frieden und die Versöhnung, welche die Poesie
gewährt, suche und finde. Ja, man merkt es diesem Romane unmit¬
telbar an, daß er nicht blos geschrieben, sondern daß er auch durch¬
gelebt und durchgekämpft worden ist und darin verhält er sich in einem
directen Gegensatze zu unsern meisten neuern deutschen Romanen, in
denen entweder eine ungeordnete Phantasie irrlichtert oder eine abstracte


ständisch auflösen, hier zum Besten der Aristokratie, dort zum Besten
der Bourgeoisie, dort zum Besten des Proletariates, der „Masse". Wir
wollen keine ständische Romanliteratur, sondern eine solche, die das
ganze Volk in sich aufnimmt und alle Verhältnisse desselben in eine
richtige Wechselwirkung seht. Nur eine solche Nomanliteratur kann
den Anforderungen entsprechen, die wir gegenwärtig als Volk machen,
nur sie ist eines Volkes würdig, nur in ihr kann sich ein Volk wie¬
derfinden.

Ein in dieser Beziehung sehr bedeutender Roman, ist der von
Starklof geschriebene: Armin Galoor. Er sucht den Mittelpunkt
unseres ganzen Lebens und er läßt uns von oben bis unten einen sehr
genialen Blick in unsere mannichfaltigsten Lebenszustände thun. Der
Roman enthält Leben, denn er ist ein Product des Lebens, er ist nicht
in der Jsolinmg eines hübschen Talentes, sondern als Resultat schar¬
fer und verschiedenartigster Beobachtung entstanden. Starklof hat nichts
weniger, als einen Tendenzroman geschrieben, aber er liefert einen Zeit¬
roman und obgleich sein Product durch und durch ein Zeitroman ist,
entbehrt es doch nicht des wahrhaften, concreten Lebens, der indivi¬
duellen Frische, der heitersten Poesie. Starklof scheint auf jener Höhe
des Lebens zu stehen und zu jener objectiven Ruhe gekommen zu sein,
wo man die Poesie und ihr Wesen wieder von dem Wirrwarr des
Tages und den politischen Conflicten der Gegenwart trennt, wo man
zu dem Bewußtsein gelangt, daß sie sich nicht im Partcistrudel ver¬
lieren dürfe, aber auch in der Ueberzeugung lebt, daß es eine Aufgabe
der Poesie und vorzüglich der Poesie des Romanes sei, die Zustände
der Gegenwart und die Individualitäten, wie sie sich mannichfach un¬
ter denselben entwickeln, abzuspiegeln. Man kann sich bei der Lectüre
des „Armin Galoor" nicht leicht des Gedankens erwehren, daß der
Dichter in diesen scharfen, mit genialen Pinselstrichen hingeworfenen
Zeichnungen, einen großen Theil eigner Lebenserfahrungen von sich
loslöse, daß er sich in der Entwickelung dieses Romans über die elen¬
den Kämpfe der Wirklichkeit poetisch zu erheben suche, daß er darin
über den eignen Lebenskampf voll trüber Erfahrungen und scharfer
Beobachtungen den Frieden und die Versöhnung, welche die Poesie
gewährt, suche und finde. Ja, man merkt es diesem Romane unmit¬
telbar an, daß er nicht blos geschrieben, sondern daß er auch durch¬
gelebt und durchgekämpft worden ist und darin verhält er sich in einem
directen Gegensatze zu unsern meisten neuern deutschen Romanen, in
denen entweder eine ungeordnete Phantasie irrlichtert oder eine abstracte


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[0262] ständisch auflösen, hier zum Besten der Aristokratie, dort zum Besten der Bourgeoisie, dort zum Besten des Proletariates, der „Masse". Wir wollen keine ständische Romanliteratur, sondern eine solche, die das ganze Volk in sich aufnimmt und alle Verhältnisse desselben in eine richtige Wechselwirkung seht. Nur eine solche Nomanliteratur kann den Anforderungen entsprechen, die wir gegenwärtig als Volk machen, nur sie ist eines Volkes würdig, nur in ihr kann sich ein Volk wie¬ derfinden. Ein in dieser Beziehung sehr bedeutender Roman, ist der von Starklof geschriebene: Armin Galoor. Er sucht den Mittelpunkt unseres ganzen Lebens und er läßt uns von oben bis unten einen sehr genialen Blick in unsere mannichfaltigsten Lebenszustände thun. Der Roman enthält Leben, denn er ist ein Product des Lebens, er ist nicht in der Jsolinmg eines hübschen Talentes, sondern als Resultat schar¬ fer und verschiedenartigster Beobachtung entstanden. Starklof hat nichts weniger, als einen Tendenzroman geschrieben, aber er liefert einen Zeit¬ roman und obgleich sein Product durch und durch ein Zeitroman ist, entbehrt es doch nicht des wahrhaften, concreten Lebens, der indivi¬ duellen Frische, der heitersten Poesie. Starklof scheint auf jener Höhe des Lebens zu stehen und zu jener objectiven Ruhe gekommen zu sein, wo man die Poesie und ihr Wesen wieder von dem Wirrwarr des Tages und den politischen Conflicten der Gegenwart trennt, wo man zu dem Bewußtsein gelangt, daß sie sich nicht im Partcistrudel ver¬ lieren dürfe, aber auch in der Ueberzeugung lebt, daß es eine Aufgabe der Poesie und vorzüglich der Poesie des Romanes sei, die Zustände der Gegenwart und die Individualitäten, wie sie sich mannichfach un¬ ter denselben entwickeln, abzuspiegeln. Man kann sich bei der Lectüre des „Armin Galoor" nicht leicht des Gedankens erwehren, daß der Dichter in diesen scharfen, mit genialen Pinselstrichen hingeworfenen Zeichnungen, einen großen Theil eigner Lebenserfahrungen von sich loslöse, daß er sich in der Entwickelung dieses Romans über die elen¬ den Kämpfe der Wirklichkeit poetisch zu erheben suche, daß er darin über den eignen Lebenskampf voll trüber Erfahrungen und scharfer Beobachtungen den Frieden und die Versöhnung, welche die Poesie gewährt, suche und finde. Ja, man merkt es diesem Romane unmit¬ telbar an, daß er nicht blos geschrieben, sondern daß er auch durch¬ gelebt und durchgekämpft worden ist und darin verhält er sich in einem directen Gegensatze zu unsern meisten neuern deutschen Romanen, in denen entweder eine ungeordnete Phantasie irrlichtert oder eine abstracte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/262>, abgerufen am 23.07.2024.