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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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und selbst hier gleicht die Vorbereitung zu diesen Fachprüfungen bloßer
Avrichtung, indem ältere, oft ziemlich alt gewordene Practikanten ihren
Erwerb darin finden, die üblichen, stets wiederkehrenden und protokol-
lirten Fragen der Herren Prüfer zu sammeln, und den jungen Leuten
die passenden Antworten einzucrerciren. So wird der Verwaltungs¬
beamte endlich fertig und regiert, in oft wunderbarer Beschränktheit, in
seinem Bereiche zum Nachtheil des Ganzen.

Diese Trennung der Fachbeamten, dieser Mangel an universeller
Geschäftskenntniß, setzt sich bis in die höchsten Bereiche fort, daher
kommt eS, daß jedes allgemein normirende Gesetz, da es nur von einer
Beamtenbranche, nur von einem Gesichtspunkte berathen worden, auf
tausend Hindernisse und Dunkelheiten geräth, kommt es in Contact
mit dem Leben, so daß es eine Masse von Deklarationen nöthig macht,
welche oft das ursprüngliche Princip des Gesetzes ganz verrücken; das
letzte Stempelpatent gibt davon Kunde.

Daher kommt das Chaotische der Regierungsmaßregeln, der Ein¬
zelgesetze, daher das oft Systemlose der Vorgänge, daher die Mißliebig¬
keit der Regierungsorgane, denn gar wohl unterscheiden die Regierten
die humane wohlwollende Richtung der Negcntenfamilie von den Ver-
irrungen der Beamtenkaste.

Einzelne ursprüngliche Talente können die Ignoranz der Bcamten-
masse nicht aufwiegen, gehen in dieser unter. Diese Unfähigkeit macht
es nöthig, eine Beamtschaft in Unzahl anzustellen, man denkt den
Mangel innern Gehaltes durch Menge zu ersetzen, die Einzelnen der
Vielen sind karg, oft sehr karg besoldet, die gute Hälfte des Dienstes
wird von Practikanten ohne Sold bestritten, verderbliches Zuvielregie-
ren und Corruption ist zunächst unbedingte Folge, deren weitere, die
Demoralisation, den Beamtenstand verpestet. Leporello's lange Rolle
wäre viel zu kurz im Vergleiche mit dem Sündenregister, das wir un¬
sern Herren Beamten, hoch wie niedrig, vorhalten könnten, dürften
wir's. Freie Studien auf umfassenden Plan hin, universelle Bildung
jedes Beamten, ein strenges Staatseramen aus allen Fächern
sür jeden Beamten, ohne Rücksicht auf Wahl des Faches, würde neues
Leben, würde Einheit in die Verwaltung bringen, das Ziel erreichen
helfen, das die Regierung sich steckte; doch ist es wesentlich zu bekla¬
gen, daß man in hohen Kreisen meint, es sei möglich, eines Volkes
materielle Interessen zu fördern, ohne zugleich seine Intelligenz zu heben,
gehen doch beide unzertrennlich Hand in Hand dem Ziele zu; darum
welken bei uns alle noch so wohlgemeinten Saaten materiellen Wohl-


und selbst hier gleicht die Vorbereitung zu diesen Fachprüfungen bloßer
Avrichtung, indem ältere, oft ziemlich alt gewordene Practikanten ihren
Erwerb darin finden, die üblichen, stets wiederkehrenden und protokol-
lirten Fragen der Herren Prüfer zu sammeln, und den jungen Leuten
die passenden Antworten einzucrerciren. So wird der Verwaltungs¬
beamte endlich fertig und regiert, in oft wunderbarer Beschränktheit, in
seinem Bereiche zum Nachtheil des Ganzen.

Diese Trennung der Fachbeamten, dieser Mangel an universeller
Geschäftskenntniß, setzt sich bis in die höchsten Bereiche fort, daher
kommt eS, daß jedes allgemein normirende Gesetz, da es nur von einer
Beamtenbranche, nur von einem Gesichtspunkte berathen worden, auf
tausend Hindernisse und Dunkelheiten geräth, kommt es in Contact
mit dem Leben, so daß es eine Masse von Deklarationen nöthig macht,
welche oft das ursprüngliche Princip des Gesetzes ganz verrücken; das
letzte Stempelpatent gibt davon Kunde.

Daher kommt das Chaotische der Regierungsmaßregeln, der Ein¬
zelgesetze, daher das oft Systemlose der Vorgänge, daher die Mißliebig¬
keit der Regierungsorgane, denn gar wohl unterscheiden die Regierten
die humane wohlwollende Richtung der Negcntenfamilie von den Ver-
irrungen der Beamtenkaste.

Einzelne ursprüngliche Talente können die Ignoranz der Bcamten-
masse nicht aufwiegen, gehen in dieser unter. Diese Unfähigkeit macht
es nöthig, eine Beamtschaft in Unzahl anzustellen, man denkt den
Mangel innern Gehaltes durch Menge zu ersetzen, die Einzelnen der
Vielen sind karg, oft sehr karg besoldet, die gute Hälfte des Dienstes
wird von Practikanten ohne Sold bestritten, verderbliches Zuvielregie-
ren und Corruption ist zunächst unbedingte Folge, deren weitere, die
Demoralisation, den Beamtenstand verpestet. Leporello's lange Rolle
wäre viel zu kurz im Vergleiche mit dem Sündenregister, das wir un¬
sern Herren Beamten, hoch wie niedrig, vorhalten könnten, dürften
wir's. Freie Studien auf umfassenden Plan hin, universelle Bildung
jedes Beamten, ein strenges Staatseramen aus allen Fächern
sür jeden Beamten, ohne Rücksicht auf Wahl des Faches, würde neues
Leben, würde Einheit in die Verwaltung bringen, das Ziel erreichen
helfen, das die Regierung sich steckte; doch ist es wesentlich zu bekla¬
gen, daß man in hohen Kreisen meint, es sei möglich, eines Volkes
materielle Interessen zu fördern, ohne zugleich seine Intelligenz zu heben,
gehen doch beide unzertrennlich Hand in Hand dem Ziele zu; darum
welken bei uns alle noch so wohlgemeinten Saaten materiellen Wohl-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/254>, abgerufen am 24.11.2024.