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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Jede Provinz betrachtet sich als das Centrum, als die Haupt¬
sache der Monarchie, die übrigen Provinzen sind ihr Auriliares und
Trabanten, und die isolirten Provinzialpatriotismen sind nur Hinderniß
des gemeinsamen Aufschwungs.

Der böhmische, heute mehr als je sich isolirende Localpatriotis-
mus, will das deutsche Element, selbst in Böhmen, ausscheiden, der
lombardische, der galizische Patriotismus ist in seiner letzten Conse-
quenz Hochverrath, Steyermmk wie Tyrol haben ihren eigenen Patrio¬
tismus sür sich, er reicht nicht über die Berge des Landes, Jllvrien
schließt überdies mehrere Einzclpatriotismen eingeschachtelt in sich,, Un¬
garn ist in voller patriotischer Separatgährung, nur der eigentliche
Oesterreicher, der Erzherzogthümler, und i>ör vxcellooco der Wiener,
sei es auch nur ein Sauerkräutler der guten Stadt Wien, hat wahr¬
haften Patriotismus, er fühlt sich, er weiß, daß wir Alle ihm gehören,
er hat uns ja ererbt, er ist unser Herr und weiß sich was darauf zu
gute, es ist etwas vou dem altfranzösischen Patriotismus darin, der,
wenn auch hungernd, wenn auch eingesperrt in der Bastille, den¬
noch stolz war auf seinen König in dem prächtigen Versailles. So
auch der Wiener, er behandelt oder betrachtet die Provinzen, als wä¬
ren sie sein eigen, und selbst der Kaiser ist ganz besonders, und vor
Allem sein Kaiser, und ihm gehörig, vielleicht folgert er eben hier¬
aus sein besonderes Recht, oft im Gewände der Bonhommie die bos¬
haftesten Witze über seinen Kaiser zu reißen, es sind dies gleichsam
Scherze vn l-tollte, -- doch auch dieser wiener Patriotismus ist in
seiner localen Natur nicht ersprießlich, nicht befruchtend, er ist vielmehr
ein Element der Zwietracht mehr, und nicht gering ist unser Aerger
über die Anmaßung dieses Wieners, der die Welt mit den Linien
Wiens abgeschlossen wähnt und beinahe nicht glauben mag, auch an¬
derswo wachse Gras. -- Das belebende und veredelnde Gefühl,
einem großen mächtigen Staate anzugehören, der Wunsch, sich mit ihm
zu identificiren, durchweht uns nicht, der edle Stolz auf des Staates
Einheit und Kraft fehlt uns ganz, schämen wir uns doch fast, uns
in der Fremde als Oesterreicher erkennen zu lassen; und kein Versuch
der Regierung wird bemerkbar, dies Gefühl zu wecken, man fürchtet
Gespenster und will keinen Patriotismus, man will nur Anhäng¬
lichkeit an das Kaiserhaus. Auch ist diese Anhänglichkeit wirk¬
lich vorhanden, doch kann sie den Patriotismus, das Nationalgefühl
nur kümmerlich ersetzen; einzelne Geschwister können immerhin ihren
Bater gemeinsam ehren und achten, und dennoch sich wechselseitig gram


Jede Provinz betrachtet sich als das Centrum, als die Haupt¬
sache der Monarchie, die übrigen Provinzen sind ihr Auriliares und
Trabanten, und die isolirten Provinzialpatriotismen sind nur Hinderniß
des gemeinsamen Aufschwungs.

Der böhmische, heute mehr als je sich isolirende Localpatriotis-
mus, will das deutsche Element, selbst in Böhmen, ausscheiden, der
lombardische, der galizische Patriotismus ist in seiner letzten Conse-
quenz Hochverrath, Steyermmk wie Tyrol haben ihren eigenen Patrio¬
tismus sür sich, er reicht nicht über die Berge des Landes, Jllvrien
schließt überdies mehrere Einzclpatriotismen eingeschachtelt in sich,, Un¬
garn ist in voller patriotischer Separatgährung, nur der eigentliche
Oesterreicher, der Erzherzogthümler, und i>ör vxcellooco der Wiener,
sei es auch nur ein Sauerkräutler der guten Stadt Wien, hat wahr¬
haften Patriotismus, er fühlt sich, er weiß, daß wir Alle ihm gehören,
er hat uns ja ererbt, er ist unser Herr und weiß sich was darauf zu
gute, es ist etwas vou dem altfranzösischen Patriotismus darin, der,
wenn auch hungernd, wenn auch eingesperrt in der Bastille, den¬
noch stolz war auf seinen König in dem prächtigen Versailles. So
auch der Wiener, er behandelt oder betrachtet die Provinzen, als wä¬
ren sie sein eigen, und selbst der Kaiser ist ganz besonders, und vor
Allem sein Kaiser, und ihm gehörig, vielleicht folgert er eben hier¬
aus sein besonderes Recht, oft im Gewände der Bonhommie die bos¬
haftesten Witze über seinen Kaiser zu reißen, es sind dies gleichsam
Scherze vn l-tollte, — doch auch dieser wiener Patriotismus ist in
seiner localen Natur nicht ersprießlich, nicht befruchtend, er ist vielmehr
ein Element der Zwietracht mehr, und nicht gering ist unser Aerger
über die Anmaßung dieses Wieners, der die Welt mit den Linien
Wiens abgeschlossen wähnt und beinahe nicht glauben mag, auch an¬
derswo wachse Gras. — Das belebende und veredelnde Gefühl,
einem großen mächtigen Staate anzugehören, der Wunsch, sich mit ihm
zu identificiren, durchweht uns nicht, der edle Stolz auf des Staates
Einheit und Kraft fehlt uns ganz, schämen wir uns doch fast, uns
in der Fremde als Oesterreicher erkennen zu lassen; und kein Versuch
der Regierung wird bemerkbar, dies Gefühl zu wecken, man fürchtet
Gespenster und will keinen Patriotismus, man will nur Anhäng¬
lichkeit an das Kaiserhaus. Auch ist diese Anhänglichkeit wirk¬
lich vorhanden, doch kann sie den Patriotismus, das Nationalgefühl
nur kümmerlich ersetzen; einzelne Geschwister können immerhin ihren
Bater gemeinsam ehren und achten, und dennoch sich wechselseitig gram


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[0250] Jede Provinz betrachtet sich als das Centrum, als die Haupt¬ sache der Monarchie, die übrigen Provinzen sind ihr Auriliares und Trabanten, und die isolirten Provinzialpatriotismen sind nur Hinderniß des gemeinsamen Aufschwungs. Der böhmische, heute mehr als je sich isolirende Localpatriotis- mus, will das deutsche Element, selbst in Böhmen, ausscheiden, der lombardische, der galizische Patriotismus ist in seiner letzten Conse- quenz Hochverrath, Steyermmk wie Tyrol haben ihren eigenen Patrio¬ tismus sür sich, er reicht nicht über die Berge des Landes, Jllvrien schließt überdies mehrere Einzclpatriotismen eingeschachtelt in sich,, Un¬ garn ist in voller patriotischer Separatgährung, nur der eigentliche Oesterreicher, der Erzherzogthümler, und i>ör vxcellooco der Wiener, sei es auch nur ein Sauerkräutler der guten Stadt Wien, hat wahr¬ haften Patriotismus, er fühlt sich, er weiß, daß wir Alle ihm gehören, er hat uns ja ererbt, er ist unser Herr und weiß sich was darauf zu gute, es ist etwas vou dem altfranzösischen Patriotismus darin, der, wenn auch hungernd, wenn auch eingesperrt in der Bastille, den¬ noch stolz war auf seinen König in dem prächtigen Versailles. So auch der Wiener, er behandelt oder betrachtet die Provinzen, als wä¬ ren sie sein eigen, und selbst der Kaiser ist ganz besonders, und vor Allem sein Kaiser, und ihm gehörig, vielleicht folgert er eben hier¬ aus sein besonderes Recht, oft im Gewände der Bonhommie die bos¬ haftesten Witze über seinen Kaiser zu reißen, es sind dies gleichsam Scherze vn l-tollte, — doch auch dieser wiener Patriotismus ist in seiner localen Natur nicht ersprießlich, nicht befruchtend, er ist vielmehr ein Element der Zwietracht mehr, und nicht gering ist unser Aerger über die Anmaßung dieses Wieners, der die Welt mit den Linien Wiens abgeschlossen wähnt und beinahe nicht glauben mag, auch an¬ derswo wachse Gras. — Das belebende und veredelnde Gefühl, einem großen mächtigen Staate anzugehören, der Wunsch, sich mit ihm zu identificiren, durchweht uns nicht, der edle Stolz auf des Staates Einheit und Kraft fehlt uns ganz, schämen wir uns doch fast, uns in der Fremde als Oesterreicher erkennen zu lassen; und kein Versuch der Regierung wird bemerkbar, dies Gefühl zu wecken, man fürchtet Gespenster und will keinen Patriotismus, man will nur Anhäng¬ lichkeit an das Kaiserhaus. Auch ist diese Anhänglichkeit wirk¬ lich vorhanden, doch kann sie den Patriotismus, das Nationalgefühl nur kümmerlich ersetzen; einzelne Geschwister können immerhin ihren Bater gemeinsam ehren und achten, und dennoch sich wechselseitig gram

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/250>, abgerufen am 23.07.2024.