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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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gelangt, in'S Weite-Breite, unpraktisch Utopische verliert, und uns nö¬
thigt, das Buch enttäuscht und unbefriedigt wegzulegen.

Daß es eine schwierge Aufgabe sei, einen Staat, und namentlich
einen Staat wie Oesterreich, in seiner bunt zusammengewürfelten Ge¬
staltung ohne Kampf mit einer Opposition zu regieren, muß Jeder¬
mann cingesrehen; daß das Bestehen einer Opposition, dieses regeneri-
renden Gährstosscö die Regierer im Negierungshandwerle veredeln, das
Handwerk zur Kunst ausbilden würde, ist eben so wenig zu leugnen,
doch sind sich die zuoberst Regierenden ihres ehrlichen Willens, gut
zu regieren, bewußt, und hüllen sich ruhigen Stolzes in dieses Be¬
wußtsein: "Es geht halt nit besser!"

Daher die Verachtung jeder oppositionellen, wenn auch wohl¬
meinenden Regung, daher der schroffe, schrille Ton der Artikel "von
der Donau," für welche man eine abgenutzte Wochenschriftsfeder hatte
von auswärts miethen müssen, weil sich daheim kein "l>c"n,; l,,-""!"
Gänsekiel fand, um pro llamo 8"-l zu schreiben, und hierin eben liegt
der faule Fleck, an dem wir leiden, trostlose Mittelmäßigkeit
Aller und in Allem ist die Krankheit Oesterreichs, Oesterreichs,
das ehedem -- freilich ist das schon lange her -- allen vorange¬
gangen, die Leuchte der Civilisation vorangetragen, Leibeigenschaft
und Tortur zuerst abgeschafft.

Joseph II. hat, wenn auch despotisch -- das erforderte seine
Zeit -- ein mächtiges "es werde Licht" gesprochen, sein Volk war so
sehr an Dunkelheit und kühle Dämmerung gewöhnt, daß sich ein
großer Theil desselben durch das plötzlich einströmende Licht schmerz¬
haft geblendet fühlte.

Das Toleranzpatent, der freiere Studienplan, das humane Straf¬
gesetz, das milde Unterthan- und Robotpatent, die vereinfachte Pro¬
zeßordnung, das neue Civilgesetz, die Grundlage des heutigen, die Wid¬
mung der Klostergüter zum Studien- und NeligionSfondö, die Ent¬
fesselung der Presse, machen Joseph zum großen Regenerator Oester¬
reichs; ein neues Strafgesetz, ein neues Civilgesetz, dem Anerkennung
nicht versagt werden kann, sind später gefolgt. Man prüfe Oester¬
reichs Gesetze genau, sie werden jeden Vergleich mit den Gesetzen der
Nachbarstaaten siegend bestehen. Haben auch die Umwälzungen in
Frankreich manche Reaction, ein plötzliches Einlenken von der vor¬
wärts gerichteten Bahn eintreten lassen, immer blieb uns doch die hu¬
mane, selbst liberale, Grundlage der josephinischen Gesetzgebung, der
Weiterbau auf diesem Grunde ist nur unterbrochen, und hier und da


gelangt, in'S Weite-Breite, unpraktisch Utopische verliert, und uns nö¬
thigt, das Buch enttäuscht und unbefriedigt wegzulegen.

Daß es eine schwierge Aufgabe sei, einen Staat, und namentlich
einen Staat wie Oesterreich, in seiner bunt zusammengewürfelten Ge¬
staltung ohne Kampf mit einer Opposition zu regieren, muß Jeder¬
mann cingesrehen; daß das Bestehen einer Opposition, dieses regeneri-
renden Gährstosscö die Regierer im Negierungshandwerle veredeln, das
Handwerk zur Kunst ausbilden würde, ist eben so wenig zu leugnen,
doch sind sich die zuoberst Regierenden ihres ehrlichen Willens, gut
zu regieren, bewußt, und hüllen sich ruhigen Stolzes in dieses Be¬
wußtsein: „Es geht halt nit besser!"

Daher die Verachtung jeder oppositionellen, wenn auch wohl¬
meinenden Regung, daher der schroffe, schrille Ton der Artikel „von
der Donau," für welche man eine abgenutzte Wochenschriftsfeder hatte
von auswärts miethen müssen, weil sich daheim kein „l>c»n,; l,,-««!"
Gänsekiel fand, um pro llamo 8»-l zu schreiben, und hierin eben liegt
der faule Fleck, an dem wir leiden, trostlose Mittelmäßigkeit
Aller und in Allem ist die Krankheit Oesterreichs, Oesterreichs,
das ehedem — freilich ist das schon lange her — allen vorange¬
gangen, die Leuchte der Civilisation vorangetragen, Leibeigenschaft
und Tortur zuerst abgeschafft.

Joseph II. hat, wenn auch despotisch — das erforderte seine
Zeit — ein mächtiges „es werde Licht" gesprochen, sein Volk war so
sehr an Dunkelheit und kühle Dämmerung gewöhnt, daß sich ein
großer Theil desselben durch das plötzlich einströmende Licht schmerz¬
haft geblendet fühlte.

Das Toleranzpatent, der freiere Studienplan, das humane Straf¬
gesetz, das milde Unterthan- und Robotpatent, die vereinfachte Pro¬
zeßordnung, das neue Civilgesetz, die Grundlage des heutigen, die Wid¬
mung der Klostergüter zum Studien- und NeligionSfondö, die Ent¬
fesselung der Presse, machen Joseph zum großen Regenerator Oester¬
reichs; ein neues Strafgesetz, ein neues Civilgesetz, dem Anerkennung
nicht versagt werden kann, sind später gefolgt. Man prüfe Oester¬
reichs Gesetze genau, sie werden jeden Vergleich mit den Gesetzen der
Nachbarstaaten siegend bestehen. Haben auch die Umwälzungen in
Frankreich manche Reaction, ein plötzliches Einlenken von der vor¬
wärts gerichteten Bahn eintreten lassen, immer blieb uns doch die hu¬
mane, selbst liberale, Grundlage der josephinischen Gesetzgebung, der
Weiterbau auf diesem Grunde ist nur unterbrochen, und hier und da


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[0248] gelangt, in'S Weite-Breite, unpraktisch Utopische verliert, und uns nö¬ thigt, das Buch enttäuscht und unbefriedigt wegzulegen. Daß es eine schwierge Aufgabe sei, einen Staat, und namentlich einen Staat wie Oesterreich, in seiner bunt zusammengewürfelten Ge¬ staltung ohne Kampf mit einer Opposition zu regieren, muß Jeder¬ mann cingesrehen; daß das Bestehen einer Opposition, dieses regeneri- renden Gährstosscö die Regierer im Negierungshandwerle veredeln, das Handwerk zur Kunst ausbilden würde, ist eben so wenig zu leugnen, doch sind sich die zuoberst Regierenden ihres ehrlichen Willens, gut zu regieren, bewußt, und hüllen sich ruhigen Stolzes in dieses Be¬ wußtsein: „Es geht halt nit besser!" Daher die Verachtung jeder oppositionellen, wenn auch wohl¬ meinenden Regung, daher der schroffe, schrille Ton der Artikel „von der Donau," für welche man eine abgenutzte Wochenschriftsfeder hatte von auswärts miethen müssen, weil sich daheim kein „l>c»n,; l,,-««!" Gänsekiel fand, um pro llamo 8»-l zu schreiben, und hierin eben liegt der faule Fleck, an dem wir leiden, trostlose Mittelmäßigkeit Aller und in Allem ist die Krankheit Oesterreichs, Oesterreichs, das ehedem — freilich ist das schon lange her — allen vorange¬ gangen, die Leuchte der Civilisation vorangetragen, Leibeigenschaft und Tortur zuerst abgeschafft. Joseph II. hat, wenn auch despotisch — das erforderte seine Zeit — ein mächtiges „es werde Licht" gesprochen, sein Volk war so sehr an Dunkelheit und kühle Dämmerung gewöhnt, daß sich ein großer Theil desselben durch das plötzlich einströmende Licht schmerz¬ haft geblendet fühlte. Das Toleranzpatent, der freiere Studienplan, das humane Straf¬ gesetz, das milde Unterthan- und Robotpatent, die vereinfachte Pro¬ zeßordnung, das neue Civilgesetz, die Grundlage des heutigen, die Wid¬ mung der Klostergüter zum Studien- und NeligionSfondö, die Ent¬ fesselung der Presse, machen Joseph zum großen Regenerator Oester¬ reichs; ein neues Strafgesetz, ein neues Civilgesetz, dem Anerkennung nicht versagt werden kann, sind später gefolgt. Man prüfe Oester¬ reichs Gesetze genau, sie werden jeden Vergleich mit den Gesetzen der Nachbarstaaten siegend bestehen. Haben auch die Umwälzungen in Frankreich manche Reaction, ein plötzliches Einlenken von der vor¬ wärts gerichteten Bahn eintreten lassen, immer blieb uns doch die hu¬ mane, selbst liberale, Grundlage der josephinischen Gesetzgebung, der Weiterbau auf diesem Grunde ist nur unterbrochen, und hier und da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/248>, abgerufen am 23.07.2024.