Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.fähige Mensch wohlthätig empfinden muß; der humane Jnstinct gibt Man kann sich nun schon denken, um was es bei der "Mischung", fähige Mensch wohlthätig empfinden muß; der humane Jnstinct gibt Man kann sich nun schon denken, um was es bei der „Mischung", <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182663"/> <p xml:id="ID_674" prev="#ID_673"> fähige Mensch wohlthätig empfinden muß; der humane Jnstinct gibt<lb/> dem Pariser Vieles von selbst, was die Menschen der Provinz und der<lb/> Fremde sich nur mit Mühe aneignen." Es ist also nicht sowohl eine<lb/> fertige Humanität, welche Rüge in Paris vorfindet, als vielmehr die<lb/> Anlage dazu, der Sinn dafür, ein gleichsam in der Luft liegender<lb/> Humanitätöinstinct, nicht eine reife Freiheit, sondern ein allgemein ver-<lb/> breitetes „Freiheitsgefühl." Dieses Freiheitsgefühl, dieser humane Jn¬<lb/> stinct, macht die Franzosen zu dem. was Ruge ein „nobles Volk" nennt.<lb/> Der französische Kampf, meint er, obwohl die Freiheit ein noch nicht<lb/> errungener Siegespreis, „bewegt sich doch immer aus dem Boden der<lb/> Freiheit".... „die Presse, die Debatte, die Wahlen, die Jury, das<lb/> öffentliche legitime Leben der Parteien, die Wissenschaft und die Kunst,<lb/> die Civilisation und die Geschichte Frankreichs sind die Prämissen;"<lb/> .... beide kämpfende Seiten haben in Paris „eine mächtige Bildung<lb/> und einen heroischen Jnstinct des Volkes zu ihrem Element." „Dies<lb/> Volk ist reich an Liebe und Haß, beweist sich edel in beidem..... ist<lb/> nicht zu besiegen, es gelänge denn, es um seinen edeln Charakter zu<lb/> bringen." Und so ist Paris „unwiderstehlich".</p><lb/> <p xml:id="ID_675" next="#ID_676"> Man kann sich nun schon denken, um was es bei der „Mischung",<lb/> welche Rüge beabsichtigt, zu thun ist. Die deutsche Dienernatur soll<lb/> sich durch Aneignung des französischen nobeln Charakters Humanisiren.<lb/> Dieses deutsche Abhängigkeitsgefühl, oder, wie es auch wohl ein an¬<lb/> der Mal heißt, Unterthänigkeitsgefühl, hängt nun mit dem Entwicke¬<lb/> lungsprocesse zusammen, mittelst dessen wir Deutsche die Freiheit ganz<lb/> in das Jenseits, in den Himmel verlegt haben. In dieser geistigen<lb/> Sphäre ist denn auch die Befreiung mittelst der neuern deutschen Phi¬<lb/> losophie gelungen. Und diese innere, geistige Befreiung ist das, was<lb/> den Franzosen fehlt. Ihr Denken soll daher durch Aneignung unserer<lb/> Philosophie, ebenso wie unsere Praris durch Aufnahme ihres nobeln<lb/> Charakters, humanisirt, und so die wahre, die absolute Humanität durch<lb/> gemeinsame Arbeit beider Völker zu Stande gebracht werden. Die<lb/> Deutschen, sagt Rüge, haben bisher „das Gebiet der Phantasie und<lb/> des Gedankens, nicht die Form des Willens, der Entschließung, dieses<lb/> allgemeinen Phantasie- und Denkwesens zu einer bestimmten wirklichen<lb/> Existenz, vor Augen gehabt." Daher denn bei uns die wüsten Zu¬<lb/> stände im Leben. „Eine gleiche Erkenntniß Aller ist unmöglich, und<lb/> wo man etwas Allgemeines erobert hat, wie in den Wissenschaften,<lb/> da sucht Jeder sich auf die Schultern deö Andern zu schwingen, um<lb/> nun weiter zu sehen und dann seinerseits wieder eine neue Stufe zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0240]
fähige Mensch wohlthätig empfinden muß; der humane Jnstinct gibt
dem Pariser Vieles von selbst, was die Menschen der Provinz und der
Fremde sich nur mit Mühe aneignen." Es ist also nicht sowohl eine
fertige Humanität, welche Rüge in Paris vorfindet, als vielmehr die
Anlage dazu, der Sinn dafür, ein gleichsam in der Luft liegender
Humanitätöinstinct, nicht eine reife Freiheit, sondern ein allgemein ver-
breitetes „Freiheitsgefühl." Dieses Freiheitsgefühl, dieser humane Jn¬
stinct, macht die Franzosen zu dem. was Ruge ein „nobles Volk" nennt.
Der französische Kampf, meint er, obwohl die Freiheit ein noch nicht
errungener Siegespreis, „bewegt sich doch immer aus dem Boden der
Freiheit".... „die Presse, die Debatte, die Wahlen, die Jury, das
öffentliche legitime Leben der Parteien, die Wissenschaft und die Kunst,
die Civilisation und die Geschichte Frankreichs sind die Prämissen;"
.... beide kämpfende Seiten haben in Paris „eine mächtige Bildung
und einen heroischen Jnstinct des Volkes zu ihrem Element." „Dies
Volk ist reich an Liebe und Haß, beweist sich edel in beidem..... ist
nicht zu besiegen, es gelänge denn, es um seinen edeln Charakter zu
bringen." Und so ist Paris „unwiderstehlich".
Man kann sich nun schon denken, um was es bei der „Mischung",
welche Rüge beabsichtigt, zu thun ist. Die deutsche Dienernatur soll
sich durch Aneignung des französischen nobeln Charakters Humanisiren.
Dieses deutsche Abhängigkeitsgefühl, oder, wie es auch wohl ein an¬
der Mal heißt, Unterthänigkeitsgefühl, hängt nun mit dem Entwicke¬
lungsprocesse zusammen, mittelst dessen wir Deutsche die Freiheit ganz
in das Jenseits, in den Himmel verlegt haben. In dieser geistigen
Sphäre ist denn auch die Befreiung mittelst der neuern deutschen Phi¬
losophie gelungen. Und diese innere, geistige Befreiung ist das, was
den Franzosen fehlt. Ihr Denken soll daher durch Aneignung unserer
Philosophie, ebenso wie unsere Praris durch Aufnahme ihres nobeln
Charakters, humanisirt, und so die wahre, die absolute Humanität durch
gemeinsame Arbeit beider Völker zu Stande gebracht werden. Die
Deutschen, sagt Rüge, haben bisher „das Gebiet der Phantasie und
des Gedankens, nicht die Form des Willens, der Entschließung, dieses
allgemeinen Phantasie- und Denkwesens zu einer bestimmten wirklichen
Existenz, vor Augen gehabt." Daher denn bei uns die wüsten Zu¬
stände im Leben. „Eine gleiche Erkenntniß Aller ist unmöglich, und
wo man etwas Allgemeines erobert hat, wie in den Wissenschaften,
da sucht Jeder sich auf die Schultern deö Andern zu schwingen, um
nun weiter zu sehen und dann seinerseits wieder eine neue Stufe zu
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