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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Selbststänoigkeit und die Verfassung des Landes beschwört. Da
haben denn die Liberalen mehrentheils beigestimmt, nicht bedenkend,
daß die alten Facta und die alten Pergamente uns wenig mehr
helfen und nützen können, daß es uns auf ein lebendiges nicht auf
ein todtes Recht jetzt ankommt. Die Demonstration sollte übrigens
gegen die dänische Regierung gerichtet sein, sie sollte sehen, daß
man nicht dänisch werden sondern die Selbstständigkeit erhalten
wolle. Für alle solche Bestrebungen ist Kiel in der Regel der
Mittelpunkt, von wo die Anregung ausgeht, wo man sich zur Aus¬
führung vereint, denn Kiel liegt ungefähr in der Mitte des Lan¬
des, zur Kieler Messe, der "Umschlag" genannt, kommen einmal im
Jahre fast alle großen Grundbesitzer, fast alle Geschäftsleute und
ein großer Theil der Intelligenz des Landes. In Kiel ist ja auch
die Universität des Landes. Die Universität vertritt als eine deutsche
allerdings im Allgemeinen die deutsche Tendenz aber in conserva-
tiver Weise. Nicht anders als ganz konservativ haben die akade¬
mischen Lehrer sich bei verschiedenen Gelegenheiten und namentlich in
einer Adresse an die Holsteinische Ständeversammlung, die sie mit
andern Einwohnern der Stadt unterzeichneten, ausgelassen und den¬
noch erhielten sie von ihrem Landesherrn bei dessen Anwesenheit
vorigen Sommer einen ernstlichen Verweis. Sie wagten freilich
nichts darauf mündlich zu erwidern, aber sie wagten es, sich später
in einer schriftlichen Eingabe zu rechtfertigen, wie Einige sagen,
oder zu entschuldigen, wie Andere, denn, was sie gesagt haben,
weiß man nicht, da, als man später verlangte, sie möchten das Land
doch davon in Kunde setzen, weil das Land sich für die Erhaltung
der Aeußerungsfreiheit und vorzüglich der akademischen Lehrfreiheit
interessire, sie erklärten, es sei nur eine Privatsache zwischen den
Professoren und ihrem allergnädigsten Landesherrn! Das war doch
so conservativ als möglich I Vielleicht hat das auch wieder die
Gnaden des Landesherrn zu Wege gebracht, da derselbe geäußert
hatte, man dürfe nicht erwarten, daß er bei solcher Richtung der
Universität mehr für sie thue, als was die Pflicht von ihm fordere.
Ob es nun aus Gnade oder aus Pflichtgefühl geschehen, daß das
Budget der Universität für das laufende Jahr um etwas erhöht
worden ist und daß fünf Professuren in der philosophischen Facul-
tät besetzt werden sollen, worunter zwei ganz neue, läßt sich schwer-


Selbststänoigkeit und die Verfassung des Landes beschwört. Da
haben denn die Liberalen mehrentheils beigestimmt, nicht bedenkend,
daß die alten Facta und die alten Pergamente uns wenig mehr
helfen und nützen können, daß es uns auf ein lebendiges nicht auf
ein todtes Recht jetzt ankommt. Die Demonstration sollte übrigens
gegen die dänische Regierung gerichtet sein, sie sollte sehen, daß
man nicht dänisch werden sondern die Selbstständigkeit erhalten
wolle. Für alle solche Bestrebungen ist Kiel in der Regel der
Mittelpunkt, von wo die Anregung ausgeht, wo man sich zur Aus¬
führung vereint, denn Kiel liegt ungefähr in der Mitte des Lan¬
des, zur Kieler Messe, der „Umschlag" genannt, kommen einmal im
Jahre fast alle großen Grundbesitzer, fast alle Geschäftsleute und
ein großer Theil der Intelligenz des Landes. In Kiel ist ja auch
die Universität des Landes. Die Universität vertritt als eine deutsche
allerdings im Allgemeinen die deutsche Tendenz aber in conserva-
tiver Weise. Nicht anders als ganz konservativ haben die akade¬
mischen Lehrer sich bei verschiedenen Gelegenheiten und namentlich in
einer Adresse an die Holsteinische Ständeversammlung, die sie mit
andern Einwohnern der Stadt unterzeichneten, ausgelassen und den¬
noch erhielten sie von ihrem Landesherrn bei dessen Anwesenheit
vorigen Sommer einen ernstlichen Verweis. Sie wagten freilich
nichts darauf mündlich zu erwidern, aber sie wagten es, sich später
in einer schriftlichen Eingabe zu rechtfertigen, wie Einige sagen,
oder zu entschuldigen, wie Andere, denn, was sie gesagt haben,
weiß man nicht, da, als man später verlangte, sie möchten das Land
doch davon in Kunde setzen, weil das Land sich für die Erhaltung
der Aeußerungsfreiheit und vorzüglich der akademischen Lehrfreiheit
interessire, sie erklärten, es sei nur eine Privatsache zwischen den
Professoren und ihrem allergnädigsten Landesherrn! Das war doch
so conservativ als möglich I Vielleicht hat das auch wieder die
Gnaden des Landesherrn zu Wege gebracht, da derselbe geäußert
hatte, man dürfe nicht erwarten, daß er bei solcher Richtung der
Universität mehr für sie thue, als was die Pflicht von ihm fordere.
Ob es nun aus Gnade oder aus Pflichtgefühl geschehen, daß das
Budget der Universität für das laufende Jahr um etwas erhöht
worden ist und daß fünf Professuren in der philosophischen Facul-
tät besetzt werden sollen, worunter zwei ganz neue, läßt sich schwer-


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[0022] Selbststänoigkeit und die Verfassung des Landes beschwört. Da haben denn die Liberalen mehrentheils beigestimmt, nicht bedenkend, daß die alten Facta und die alten Pergamente uns wenig mehr helfen und nützen können, daß es uns auf ein lebendiges nicht auf ein todtes Recht jetzt ankommt. Die Demonstration sollte übrigens gegen die dänische Regierung gerichtet sein, sie sollte sehen, daß man nicht dänisch werden sondern die Selbstständigkeit erhalten wolle. Für alle solche Bestrebungen ist Kiel in der Regel der Mittelpunkt, von wo die Anregung ausgeht, wo man sich zur Aus¬ führung vereint, denn Kiel liegt ungefähr in der Mitte des Lan¬ des, zur Kieler Messe, der „Umschlag" genannt, kommen einmal im Jahre fast alle großen Grundbesitzer, fast alle Geschäftsleute und ein großer Theil der Intelligenz des Landes. In Kiel ist ja auch die Universität des Landes. Die Universität vertritt als eine deutsche allerdings im Allgemeinen die deutsche Tendenz aber in conserva- tiver Weise. Nicht anders als ganz konservativ haben die akade¬ mischen Lehrer sich bei verschiedenen Gelegenheiten und namentlich in einer Adresse an die Holsteinische Ständeversammlung, die sie mit andern Einwohnern der Stadt unterzeichneten, ausgelassen und den¬ noch erhielten sie von ihrem Landesherrn bei dessen Anwesenheit vorigen Sommer einen ernstlichen Verweis. Sie wagten freilich nichts darauf mündlich zu erwidern, aber sie wagten es, sich später in einer schriftlichen Eingabe zu rechtfertigen, wie Einige sagen, oder zu entschuldigen, wie Andere, denn, was sie gesagt haben, weiß man nicht, da, als man später verlangte, sie möchten das Land doch davon in Kunde setzen, weil das Land sich für die Erhaltung der Aeußerungsfreiheit und vorzüglich der akademischen Lehrfreiheit interessire, sie erklärten, es sei nur eine Privatsache zwischen den Professoren und ihrem allergnädigsten Landesherrn! Das war doch so conservativ als möglich I Vielleicht hat das auch wieder die Gnaden des Landesherrn zu Wege gebracht, da derselbe geäußert hatte, man dürfe nicht erwarten, daß er bei solcher Richtung der Universität mehr für sie thue, als was die Pflicht von ihm fordere. Ob es nun aus Gnade oder aus Pflichtgefühl geschehen, daß das Budget der Universität für das laufende Jahr um etwas erhöht worden ist und daß fünf Professuren in der philosophischen Facul- tät besetzt werden sollen, worunter zwei ganz neue, läßt sich schwer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/22>, abgerufen am 24.11.2024.