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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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warte, an die Brust, wiegte den Andern mit dem Fuße, bis die Reihe
an ihn kommen würde und begann zu erzählen. Wir fassen ihren,
durch viele Umschweife und heftige Ausbrüche verlängerten Bericht
in's Kurze.

Sie hatten sich geheirathet, die beiden jungen Leute, weil sie sich
lieb hatten. Mehr bedurften sie nicht, denn Beide waren gesund und
kräftig, konnten sich selbst und künftig auch ihre Kinder mit ihrer
Hände Arbeit ernähren. Aber auf die Krankheit harten sie nicht ge¬
rechnet, diese machte den Mann eine Zeitlang unfähig zum Erwerb,
nun kam die Noth und diese wächst bei den Armen wie eine Lawine,
mit der Noth kam die Desperation und ihre gewöhnliche Folge, der
Trunk, zu welchem der Mann anfangs durch seine Gefährten ver¬
führt worden war, dann aber aus eigener Leidenschaft: warum sollte
er sich das Labsal, das er so wohlfeil hatte, versagen? bot es ihm
doch neue Kraft und neuen Muth! Die Vorwürfe seiner Frau, die
harten Scheltworte der alten Großmutter, seiner einzigen Verwandten,
hielt es für ungerecht. Er that ja nichts Böses dabei. In der Fabrik,
wo er zuletzt gearbeitet hatte, gab man ihm das Lob eines verträg¬
lichen Menschen, und es war kein Fall bekannt, daß er je in Wuth
gerathen war oder irgend einen Ereeß begangen hatte. Und doch war
er, des Todtschlags und Raubes im Trunke airgeklagt, wenn auch
nicht überwiesen, in eine Strafanstalt gekommen!

Bon den Umständen dieses Falles hatte sich der alte Hobländer
schon genau unterrichtet. Sie bildeten eine traurige und räthselhafte
Geschichte. Der Agent des Handelshauses, durch welches vor Jah,
ren die Zahlung jenes nicht unbedeutenden Capitals geleistet worden
war, derselbe, welcher diese Zahlung besorgt und eine ordnungsmäßige
Quittung eingesandt hatte, von dem Empfänger ausgestellt, wie auch
recognoscirt, somit höchstwahrscheinlich auch derjenige, welcher das
Geld unterschlagen hatte, war im Walde angefallen, ermordet und be¬
raubt worden. Er hatte auf seiner Geschäftsreise mit einem reichen
Fabrikherrn -- es war Masser -- zu thun gehabt, und sich länger
bei ihm verweilt, eines Nachmittags war er auf dessen Pferde ausge¬
ritten, um in einer benachbarten Stadt noch Einiges von Wichtigkeit
abzumachen, nach kurzer Abwesenheit war das Pferd ganz wild, mit
leerem Sattel und Blut an den Zügeln in den Hof zurückgekehrt
und man hatte, eilig seiner Spur nachforschend, den Unglücklichen mit
zerschmetterter Schläfe entseelt am Wege gefunden, unter einem
Baume, dessen Knorren ganz blutig, wie auch der Grund um ihn her


warte, an die Brust, wiegte den Andern mit dem Fuße, bis die Reihe
an ihn kommen würde und begann zu erzählen. Wir fassen ihren,
durch viele Umschweife und heftige Ausbrüche verlängerten Bericht
in's Kurze.

Sie hatten sich geheirathet, die beiden jungen Leute, weil sie sich
lieb hatten. Mehr bedurften sie nicht, denn Beide waren gesund und
kräftig, konnten sich selbst und künftig auch ihre Kinder mit ihrer
Hände Arbeit ernähren. Aber auf die Krankheit harten sie nicht ge¬
rechnet, diese machte den Mann eine Zeitlang unfähig zum Erwerb,
nun kam die Noth und diese wächst bei den Armen wie eine Lawine,
mit der Noth kam die Desperation und ihre gewöhnliche Folge, der
Trunk, zu welchem der Mann anfangs durch seine Gefährten ver¬
führt worden war, dann aber aus eigener Leidenschaft: warum sollte
er sich das Labsal, das er so wohlfeil hatte, versagen? bot es ihm
doch neue Kraft und neuen Muth! Die Vorwürfe seiner Frau, die
harten Scheltworte der alten Großmutter, seiner einzigen Verwandten,
hielt es für ungerecht. Er that ja nichts Böses dabei. In der Fabrik,
wo er zuletzt gearbeitet hatte, gab man ihm das Lob eines verträg¬
lichen Menschen, und es war kein Fall bekannt, daß er je in Wuth
gerathen war oder irgend einen Ereeß begangen hatte. Und doch war
er, des Todtschlags und Raubes im Trunke airgeklagt, wenn auch
nicht überwiesen, in eine Strafanstalt gekommen!

Bon den Umständen dieses Falles hatte sich der alte Hobländer
schon genau unterrichtet. Sie bildeten eine traurige und räthselhafte
Geschichte. Der Agent des Handelshauses, durch welches vor Jah,
ren die Zahlung jenes nicht unbedeutenden Capitals geleistet worden
war, derselbe, welcher diese Zahlung besorgt und eine ordnungsmäßige
Quittung eingesandt hatte, von dem Empfänger ausgestellt, wie auch
recognoscirt, somit höchstwahrscheinlich auch derjenige, welcher das
Geld unterschlagen hatte, war im Walde angefallen, ermordet und be¬
raubt worden. Er hatte auf seiner Geschäftsreise mit einem reichen
Fabrikherrn — es war Masser — zu thun gehabt, und sich länger
bei ihm verweilt, eines Nachmittags war er auf dessen Pferde ausge¬
ritten, um in einer benachbarten Stadt noch Einiges von Wichtigkeit
abzumachen, nach kurzer Abwesenheit war das Pferd ganz wild, mit
leerem Sattel und Blut an den Zügeln in den Hof zurückgekehrt
und man hatte, eilig seiner Spur nachforschend, den Unglücklichen mit
zerschmetterter Schläfe entseelt am Wege gefunden, unter einem
Baume, dessen Knorren ganz blutig, wie auch der Grund um ihn her


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/211>, abgerufen am 24.11.2024.