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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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ihnen so wenig Vortheil daraus? Weil die Einzelnen den erhaltenen
Lohn versplittern, oft vergeuden, durch böses Beispiel oft zur Lieder¬
lichkeit verlockt, ja leider auch oft von denen verkürzt und übervor-
theilt, die nächst der Aufsicht auch noch den Verkauf der
Lebens Mittel, besonders des verführerischen Branntweins haben:
ein Mißbrauch, unbegreiflich, wie er geduldet werden kann! Ich meine
nun, wenn die Summe, welche die Masse der Arbeiter, als Commune
betrachtet, in einer gewissen Zeit gewinnt, ihnen für die Dauer dieser
Zeit redlich verwaltet, dem Einzelnen nur das für den unmittelbaren
Lebensunterhalt Nöthige verabfolgt würde, -- setzen Sie doch gleich
als Quantum etwa den täglichen Sold eines gemeinen Soldaten, der
auch davon leben und sich noch seine Putzmittel für Waffen und Be¬
kleidung kaufen muß so erhielte Jeder am Ende ein Erspartes, mit
dem er, weil es bedeutender ist, nicht so leichtsinnig umgehen würde,
als mit den wenigen täglichen Groschen. Bei der Masse deö Geldes,
die unläugbar als Lohn den arbeitenden Klassen zufließt, von ihnen
aber aus Mängel an Einsicht und Enthaltsamkeit nicht zu Rathe
gehalten wird, ließe sich gewiß manche andere Maßregel ersinnen,
welche allmälig einen bessern Zustand herbeiführte."

Die bleiche Wange des jungen Mannes hatte sich während sei¬
ner Rede geröthet und sein ernstes Auge einen hellen Blick gewonnen.
Der Graf betrachtete ihn wohlwollend.

"Wir wollen dies Thema einmal gründlich besprechen," sagte er.
"Am besten, Sie setzen mir Ihre Ansichten schriftlich auf, ich werde
sie schon an den rechten Ort bringen." Damit wechselte er das Ge¬
spräch. "Ihr alter Amerikaner hat nichts von sich hören lassen?"
fragte er. -- "Noch nicht," erwiederte Mainhard. "Es mag ihm
Mühe kosten, längst verschollene Verwandte aufzufinden."

Sie wurden durch die Ankunft des Pfarrers unterbrochen, der
aus der Stadt kam und jedesmal, wenn er seiner Filialgemeinde Got¬
tes Wort gepredigt hatte, alle vierzehn Tage also, bei der Herrschaft,
im Falle sie anwesend war, zu Mittag speiste. Er erkannte sogleich
in dem Fremden, der ihm Baron Mainhard genannt wurde, den Reise¬
gefährten von neulich und änderte, da er ihn in diesem Hause erblickte,
seine Vermuthungen über ihn, auch wußte er ja nun, daß er den
Besitzer der neuen Fabrik, den das Gerücht steinreich schilderte, vor sich
habe. Als Ausländer konnte er schon etwas Absonderliches zeigen.

"Was hat sich über die Frau ergeben," fragte Mainhard über
Tafel, "welche, Sie erinnern sich, aus dem Wagen sprang?" -- "Nichts


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ihnen so wenig Vortheil daraus? Weil die Einzelnen den erhaltenen
Lohn versplittern, oft vergeuden, durch böses Beispiel oft zur Lieder¬
lichkeit verlockt, ja leider auch oft von denen verkürzt und übervor-
theilt, die nächst der Aufsicht auch noch den Verkauf der
Lebens Mittel, besonders des verführerischen Branntweins haben:
ein Mißbrauch, unbegreiflich, wie er geduldet werden kann! Ich meine
nun, wenn die Summe, welche die Masse der Arbeiter, als Commune
betrachtet, in einer gewissen Zeit gewinnt, ihnen für die Dauer dieser
Zeit redlich verwaltet, dem Einzelnen nur das für den unmittelbaren
Lebensunterhalt Nöthige verabfolgt würde, — setzen Sie doch gleich
als Quantum etwa den täglichen Sold eines gemeinen Soldaten, der
auch davon leben und sich noch seine Putzmittel für Waffen und Be¬
kleidung kaufen muß so erhielte Jeder am Ende ein Erspartes, mit
dem er, weil es bedeutender ist, nicht so leichtsinnig umgehen würde,
als mit den wenigen täglichen Groschen. Bei der Masse deö Geldes,
die unläugbar als Lohn den arbeitenden Klassen zufließt, von ihnen
aber aus Mängel an Einsicht und Enthaltsamkeit nicht zu Rathe
gehalten wird, ließe sich gewiß manche andere Maßregel ersinnen,
welche allmälig einen bessern Zustand herbeiführte."

Die bleiche Wange des jungen Mannes hatte sich während sei¬
ner Rede geröthet und sein ernstes Auge einen hellen Blick gewonnen.
Der Graf betrachtete ihn wohlwollend.

„Wir wollen dies Thema einmal gründlich besprechen," sagte er.
„Am besten, Sie setzen mir Ihre Ansichten schriftlich auf, ich werde
sie schon an den rechten Ort bringen." Damit wechselte er das Ge¬
spräch. „Ihr alter Amerikaner hat nichts von sich hören lassen?"
fragte er. — „Noch nicht," erwiederte Mainhard. „Es mag ihm
Mühe kosten, längst verschollene Verwandte aufzufinden."

Sie wurden durch die Ankunft des Pfarrers unterbrochen, der
aus der Stadt kam und jedesmal, wenn er seiner Filialgemeinde Got¬
tes Wort gepredigt hatte, alle vierzehn Tage also, bei der Herrschaft,
im Falle sie anwesend war, zu Mittag speiste. Er erkannte sogleich
in dem Fremden, der ihm Baron Mainhard genannt wurde, den Reise¬
gefährten von neulich und änderte, da er ihn in diesem Hause erblickte,
seine Vermuthungen über ihn, auch wußte er ja nun, daß er den
Besitzer der neuen Fabrik, den das Gerücht steinreich schilderte, vor sich
habe. Als Ausländer konnte er schon etwas Absonderliches zeigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/165>, abgerufen am 24.11.2024.