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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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-- "Hören Sie auf mit Ihrem düstern Gemälde!" unterbrach ihn der
Graf, "Gott wird das Aeußerste verhüten und die Weisheit der Re¬
gierungen auf die rechte Bahn führen, um Abhülfe zu finden. Beden¬
ken Sie doch, wieviel Hände die wachsende Industrie, die zunehmende
Baulust, das Eisenbahnwesen beschäftigt! Und von unserer Seite
werden die Opfer nicht fehlen!" -- "Ja, so sprechen Sie und Gott
sei Dank! noch Manche unsers Standes," sagte der junge Mann.
"Aber die Meisten blicken wohl mit kalter Indifferenz herab. Und wenn
sie von kommunistischen Ideen hören, zucken sie verächtlich die Achseln
und sagen: an uns reicht das nicht." -- "Wie, Mainhard?" fragte
der Graf überrascht. "Sind Sie ein Apostel des Communismus?"
-- "Keineswegs. Gemeinsamer Besitz, auch beschränkten Vermögens,
in gemeinschaftlicher Verwaltung und Benutzung ist, wie die Gesell¬
schaft jetzt besteht, ein phantastischer Traum, der sich nicht verwirklichen
läßt, und bei einem Experimente nur zur Entfesselung der gehässigsten
Leidenschaften, ja zu Verbrechen führen müßte. Er läßt sich nur denken
als vererbte Form aus patriarchalischer Zeit bei einer kleinen, von der
Welt durch alteinfache Sitten, wo möglich auch durch Naturgrenzen
abgeschlossenen Gemeinde. In der That besteht ein solcher Commu-
nismus in reiner, schöner Weise, wie uns Herr von Voigts Rhetz im
Morgenblatte gemeldet, in einem abgelegenen Bezirke der Auvergne.
Dort leben seit grauer Vorzeit ein Paar Dörfer in Gütergemeinschaft,
jedes junge Paar wird gleichmäßig ausgestattet, Alles arbeitet und
wirkt in bester Harmonie, und befindet sich wohl. Dazu gehört aber,
wie gesagt, ein Naturvölkchen, zu dem die neue Zeit mit ihren bösen
und guten Geistern noch nicht gedrungen ist. Für unsern socialen
Zustand ist der Communismus mit seinen unpraktischen Theorien ein
Unsinn! Aber ob aus dem Erwerbe bei gemeinschaftlichen Unterneh¬
mungen, in Fabriken, bei Bauten und Eisenbahnen nicht eine ge¬
meinschaftliche Verwaltung sür eine gewisse Zeit gute Früchte
tragen würde, ist eine Frage, die ich zu beantworten suche und es sott
mich nicht abschrecken, daß die armen Leute in ihrem Mißtrauen meine
gute Absicht verkennen und mir fast gelohnt hätten, wie die Sue'schen
Herrn Hardy. Wenigstens wäre ich darüber nicht ein Jesuitcnopfer
geworden, sondern hätte frisch wieder von Vorn angefangen; das Gute
muß sich doch endlich Bahn brechen." -- "Wie meinen Sie's denn
eigentlich, lieber Mainhard?" fragte der Graf. -- "Daß die Arbeiter
z. B. der Eisenbahnen und auch diejenigen, die sich in die Ferne zur
Ernte verdingen, gut bezahlt werden, ist unbezweifelt. Warum ersprießt


— „Hören Sie auf mit Ihrem düstern Gemälde!" unterbrach ihn der
Graf, „Gott wird das Aeußerste verhüten und die Weisheit der Re¬
gierungen auf die rechte Bahn führen, um Abhülfe zu finden. Beden¬
ken Sie doch, wieviel Hände die wachsende Industrie, die zunehmende
Baulust, das Eisenbahnwesen beschäftigt! Und von unserer Seite
werden die Opfer nicht fehlen!" — „Ja, so sprechen Sie und Gott
sei Dank! noch Manche unsers Standes," sagte der junge Mann.
„Aber die Meisten blicken wohl mit kalter Indifferenz herab. Und wenn
sie von kommunistischen Ideen hören, zucken sie verächtlich die Achseln
und sagen: an uns reicht das nicht." — „Wie, Mainhard?" fragte
der Graf überrascht. „Sind Sie ein Apostel des Communismus?"
— „Keineswegs. Gemeinsamer Besitz, auch beschränkten Vermögens,
in gemeinschaftlicher Verwaltung und Benutzung ist, wie die Gesell¬
schaft jetzt besteht, ein phantastischer Traum, der sich nicht verwirklichen
läßt, und bei einem Experimente nur zur Entfesselung der gehässigsten
Leidenschaften, ja zu Verbrechen führen müßte. Er läßt sich nur denken
als vererbte Form aus patriarchalischer Zeit bei einer kleinen, von der
Welt durch alteinfache Sitten, wo möglich auch durch Naturgrenzen
abgeschlossenen Gemeinde. In der That besteht ein solcher Commu-
nismus in reiner, schöner Weise, wie uns Herr von Voigts Rhetz im
Morgenblatte gemeldet, in einem abgelegenen Bezirke der Auvergne.
Dort leben seit grauer Vorzeit ein Paar Dörfer in Gütergemeinschaft,
jedes junge Paar wird gleichmäßig ausgestattet, Alles arbeitet und
wirkt in bester Harmonie, und befindet sich wohl. Dazu gehört aber,
wie gesagt, ein Naturvölkchen, zu dem die neue Zeit mit ihren bösen
und guten Geistern noch nicht gedrungen ist. Für unsern socialen
Zustand ist der Communismus mit seinen unpraktischen Theorien ein
Unsinn! Aber ob aus dem Erwerbe bei gemeinschaftlichen Unterneh¬
mungen, in Fabriken, bei Bauten und Eisenbahnen nicht eine ge¬
meinschaftliche Verwaltung sür eine gewisse Zeit gute Früchte
tragen würde, ist eine Frage, die ich zu beantworten suche und es sott
mich nicht abschrecken, daß die armen Leute in ihrem Mißtrauen meine
gute Absicht verkennen und mir fast gelohnt hätten, wie die Sue'schen
Herrn Hardy. Wenigstens wäre ich darüber nicht ein Jesuitcnopfer
geworden, sondern hätte frisch wieder von Vorn angefangen; das Gute
muß sich doch endlich Bahn brechen." — „Wie meinen Sie's denn
eigentlich, lieber Mainhard?" fragte der Graf. — „Daß die Arbeiter
z. B. der Eisenbahnen und auch diejenigen, die sich in die Ferne zur
Ernte verdingen, gut bezahlt werden, ist unbezweifelt. Warum ersprießt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/164>, abgerufen am 24.11.2024.