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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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"Verteufelte Geschichten! " sagte der Befehlshaber zu den Haupt-
leuten, welche sich Um ihn versammelten, "Wir erleben am Ende hier
in der Nähe eine RePetition des schlesischen Skandals. Es ist ein
vollständiger Aufruhr unter den Arbeitern der neuen Fabrik ausge¬
brochen. Gehört sie nicht einem Herrn Mainhard? Wenn nur nicht
Masser's Leute auch tuMultuiren, rMser ganzes Nest steckt voll oder ist
mit ihnen verwandt. Gegen dies arme Volk, wenn es betrunken ist,
einzuschreiten, ist das traurigste Commando, was einen ehrlichen Sol¬
daten treffen kann." -- "Da kommt Masser," sagte ein Offizier. "Er
geht so harmlos auf die Ressource, als ob ihm etwas Aehnliches gar
nicht Passiren konnte."

Der Fabrikherr kam in der That mit größter Seelenruhe über
den Marktplatz gegangen, wo die Gewehre zusammengesetzt waren und
die Offiziere in Gruppen standen.

"Nun, altes Haus? Die Reihe wird bald an Ihnen sein,"
scherzte Einer mit ihm. "Sie sollten sich bei Zeiten nach einer Sau-
vegarde und gutem Burgunder für dieselbe umsehen." -- "Herr von
Berkow, mein Concurrent hat die Sache selbst verschuldet," antwortete
Masser mit ruhigem Lächeln. "Bei mir kann so etwas gar nicht Pas¬
siren. Schon Ihre Nähe --" verbindlich grüßend ging er vorüber.

Die Fabrik, wo der Tumult entstanden war, lag eine Viertelmeile
vor der Stadt. Der Major ließ das Bataillon auf eine zurückkom¬
mende Meldung auseinander gehen. Es war dem Hauptmanne ge¬
lungen, im Vereine mir dem kürzlich angelangten Besitzer der Fabrik,
die aufgeregte Masse zu beschwichtigen, es schien überhaupt, als habe
der ängstliche Landrath die Truppen zu früh requirirt. Doch erregte
dies Aufblitzen bei Ernsterdenkenden manche Besorgnis" und wenn sie
sich die Lage der armem Klassen und die voraussichtliche Theurung
bedachten, so mußten sie sich wohl die lange Frage stellen: was dar¬
aus werden solle, besonders im Winter?

Selbst in Kreisen, wo man diese unangenehmen Verhältnisse
sonst nicht gern berührt, machte die Zeit gebieterisch ihr Recht gel¬
tend. Die Nachricht über den Arbeiteraufstand war schnell in das
gräfliche Haus gekommen und hatte sich trotz der geringen Entfernung
dermaßen vergrößert, daß sie wohl geeignet war, zu beunruhigen.
Denn für die Besitzenden wäre es die höchste Gefahr, wenn die rohe
Masse der Besitzlosen, welche nur von Heute zu Morgen ihr Dasein
fristet, die alte Ehrfurcht vor hergebrachten Recht und Gesetz verlöre
und mit Jenen um die irdischen Güter einen Kampf auf Leben und


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„Verteufelte Geschichten! " sagte der Befehlshaber zu den Haupt-
leuten, welche sich Um ihn versammelten, „Wir erleben am Ende hier
in der Nähe eine RePetition des schlesischen Skandals. Es ist ein
vollständiger Aufruhr unter den Arbeitern der neuen Fabrik ausge¬
brochen. Gehört sie nicht einem Herrn Mainhard? Wenn nur nicht
Masser's Leute auch tuMultuiren, rMser ganzes Nest steckt voll oder ist
mit ihnen verwandt. Gegen dies arme Volk, wenn es betrunken ist,
einzuschreiten, ist das traurigste Commando, was einen ehrlichen Sol¬
daten treffen kann." — „Da kommt Masser," sagte ein Offizier. „Er
geht so harmlos auf die Ressource, als ob ihm etwas Aehnliches gar
nicht Passiren konnte."

Der Fabrikherr kam in der That mit größter Seelenruhe über
den Marktplatz gegangen, wo die Gewehre zusammengesetzt waren und
die Offiziere in Gruppen standen.

„Nun, altes Haus? Die Reihe wird bald an Ihnen sein,"
scherzte Einer mit ihm. „Sie sollten sich bei Zeiten nach einer Sau-
vegarde und gutem Burgunder für dieselbe umsehen." — „Herr von
Berkow, mein Concurrent hat die Sache selbst verschuldet," antwortete
Masser mit ruhigem Lächeln. „Bei mir kann so etwas gar nicht Pas¬
siren. Schon Ihre Nähe —" verbindlich grüßend ging er vorüber.

Die Fabrik, wo der Tumult entstanden war, lag eine Viertelmeile
vor der Stadt. Der Major ließ das Bataillon auf eine zurückkom¬
mende Meldung auseinander gehen. Es war dem Hauptmanne ge¬
lungen, im Vereine mir dem kürzlich angelangten Besitzer der Fabrik,
die aufgeregte Masse zu beschwichtigen, es schien überhaupt, als habe
der ängstliche Landrath die Truppen zu früh requirirt. Doch erregte
dies Aufblitzen bei Ernsterdenkenden manche Besorgnis« und wenn sie
sich die Lage der armem Klassen und die voraussichtliche Theurung
bedachten, so mußten sie sich wohl die lange Frage stellen: was dar¬
aus werden solle, besonders im Winter?

Selbst in Kreisen, wo man diese unangenehmen Verhältnisse
sonst nicht gern berührt, machte die Zeit gebieterisch ihr Recht gel¬
tend. Die Nachricht über den Arbeiteraufstand war schnell in das
gräfliche Haus gekommen und hatte sich trotz der geringen Entfernung
dermaßen vergrößert, daß sie wohl geeignet war, zu beunruhigen.
Denn für die Besitzenden wäre es die höchste Gefahr, wenn die rohe
Masse der Besitzlosen, welche nur von Heute zu Morgen ihr Dasein
fristet, die alte Ehrfurcht vor hergebrachten Recht und Gesetz verlöre
und mit Jenen um die irdischen Güter einen Kampf auf Leben und


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[0159] „Verteufelte Geschichten! " sagte der Befehlshaber zu den Haupt- leuten, welche sich Um ihn versammelten, „Wir erleben am Ende hier in der Nähe eine RePetition des schlesischen Skandals. Es ist ein vollständiger Aufruhr unter den Arbeitern der neuen Fabrik ausge¬ brochen. Gehört sie nicht einem Herrn Mainhard? Wenn nur nicht Masser's Leute auch tuMultuiren, rMser ganzes Nest steckt voll oder ist mit ihnen verwandt. Gegen dies arme Volk, wenn es betrunken ist, einzuschreiten, ist das traurigste Commando, was einen ehrlichen Sol¬ daten treffen kann." — „Da kommt Masser," sagte ein Offizier. „Er geht so harmlos auf die Ressource, als ob ihm etwas Aehnliches gar nicht Passiren konnte." Der Fabrikherr kam in der That mit größter Seelenruhe über den Marktplatz gegangen, wo die Gewehre zusammengesetzt waren und die Offiziere in Gruppen standen. „Nun, altes Haus? Die Reihe wird bald an Ihnen sein," scherzte Einer mit ihm. „Sie sollten sich bei Zeiten nach einer Sau- vegarde und gutem Burgunder für dieselbe umsehen." — „Herr von Berkow, mein Concurrent hat die Sache selbst verschuldet," antwortete Masser mit ruhigem Lächeln. „Bei mir kann so etwas gar nicht Pas¬ siren. Schon Ihre Nähe —" verbindlich grüßend ging er vorüber. Die Fabrik, wo der Tumult entstanden war, lag eine Viertelmeile vor der Stadt. Der Major ließ das Bataillon auf eine zurückkom¬ mende Meldung auseinander gehen. Es war dem Hauptmanne ge¬ lungen, im Vereine mir dem kürzlich angelangten Besitzer der Fabrik, die aufgeregte Masse zu beschwichtigen, es schien überhaupt, als habe der ängstliche Landrath die Truppen zu früh requirirt. Doch erregte dies Aufblitzen bei Ernsterdenkenden manche Besorgnis« und wenn sie sich die Lage der armem Klassen und die voraussichtliche Theurung bedachten, so mußten sie sich wohl die lange Frage stellen: was dar¬ aus werden solle, besonders im Winter? Selbst in Kreisen, wo man diese unangenehmen Verhältnisse sonst nicht gern berührt, machte die Zeit gebieterisch ihr Recht gel¬ tend. Die Nachricht über den Arbeiteraufstand war schnell in das gräfliche Haus gekommen und hatte sich trotz der geringen Entfernung dermaßen vergrößert, daß sie wohl geeignet war, zu beunruhigen. Denn für die Besitzenden wäre es die höchste Gefahr, wenn die rohe Masse der Besitzlosen, welche nur von Heute zu Morgen ihr Dasein fristet, die alte Ehrfurcht vor hergebrachten Recht und Gesetz verlöre und mit Jenen um die irdischen Güter einen Kampf auf Leben und 19-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/159>, abgerufen am 24.11.2024.