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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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schont. Die polnische Marseillaise: Noch ist Polen nicht verloren!
wird diesmal von den drei Mächten selbst gesungen, die sich aufath¬
mend zurufen: Noch ist Polen nicht verloren!

In Wien selbst ereignet sich wenig, das der Aufzeichnung werth wäre,
und wenn ich Ihnen jetzt in der stillen Charwoche einen! kleinen
Ueberblick des lärmenden wiener Treibens geben will, geschieht es um
der Merkwürdigkeit willen, welche unbedeutende Dinge hier das öf¬
fentliche Leben bilden. Pischek füllte längere Zeit die Räume des
Theaters an der Wien, hauptsächlich weil Staudigl durch ihn einen
würdigen Mitsänger in großen Opern erhielt. Er nahm von Wien
in einem Concert Abschied, das er, Lißt nachahmend, ohne Mitwir¬
kung anderer Künstler ganz allein' auf die Schultern nahm. Im
Liedervortrag ercellirt er durch eine sentimentale Süßlichkeit, die in
der Oper oft unangenehm und störend wirkt. Lißt gab hier 9 voll¬
auf besuchte Concerte, wovon den größten Theil erst um 1l) Uhr
Nachts, eine Neuerung, die nur er zu behaupten wußte. Trotzdem
sich im Enthusiasmus für ihn viele Affection geltend macht, ist seine
künstlerische Erscheinung doch eine Alles mit sich fortreißende und als
ein echter, verzogener Liebling des Publicums wußte er sich selbst für
die Unarten, die er sich im Vortrag von Eompositionen großer Mei¬
ster erlaubte, Beifall zu gewinnen. Aber auch andere Unarten ließ
er sich zu Schulden kommen, so mußte das Publicum beim letzten
Concert, trotzdem es ohnehin schon auf eine so späte Nachtstunde an¬
gesagt war, noch einige Zeit darauf warten, bis der Concertgeber mit
aller Bequemlichkeit aus der italienischen Oper zurückgekehrt war. --
Die italienische Oper hat diesmal unerwartet glänzend begonnen,
ein neuer, früher hier noch nicht gehörter Tenor Fraschini, der bald
den Ruhm eines Nubini erringen dürfte, reißt den Kä.echten zu echt
italienischem Opernjubel hin. -- Saphir feierte vor einigen Tagen
einen glänzenden Triumph, indem ihm das Publicum bei seiner letz¬
ten Vorlesung für die Verleumdungen, die Pokorny und einige un¬
bekannte Stimmen in den Inseraten der Allgem. Zeitung auf ihn
häuften, durch einen überaus stürmisch-freundlichen Empfang reichliche
Satisfaction gewahrte. -- Die Lind wird im Laufe nächster Woche
zum ersten Male vor dem wiener Publicum erscheinen und zwar auf
Pokornv's Bühne. Das Publicum bereitet sich bereits zum Delirium
vor. Unter andern erzählt man, Meyerbeer habe Pokornv geschrieben,
er solle sich mit Saphir auszusöhnen trachten, die Lind würde sonst
nicht austreten, da sie nicht das Opfer dieses Zanks zwischen dem
Director und dem Kritiker werden darf. Nun, wir hoffen, Herr
Saphir wird ein galanter Se. Georg sein und an diesem hübschen
Lindwurm seine Lanze nicht versuchen. Der Zugkraft, welche die Lind
ausüben wird, denkt der Director des Kärnthnerthorrheatcrs durch das
Auftreten der Fanny Elster in Esmeralda das Gleichgewicht zu halten.




Verlag von Fr.Ludw. Herbig. Redacteur I. Kurauda.
Druck von Friedrich Andrä.

schont. Die polnische Marseillaise: Noch ist Polen nicht verloren!
wird diesmal von den drei Mächten selbst gesungen, die sich aufath¬
mend zurufen: Noch ist Polen nicht verloren!

In Wien selbst ereignet sich wenig, das der Aufzeichnung werth wäre,
und wenn ich Ihnen jetzt in der stillen Charwoche einen! kleinen
Ueberblick des lärmenden wiener Treibens geben will, geschieht es um
der Merkwürdigkeit willen, welche unbedeutende Dinge hier das öf¬
fentliche Leben bilden. Pischek füllte längere Zeit die Räume des
Theaters an der Wien, hauptsächlich weil Staudigl durch ihn einen
würdigen Mitsänger in großen Opern erhielt. Er nahm von Wien
in einem Concert Abschied, das er, Lißt nachahmend, ohne Mitwir¬
kung anderer Künstler ganz allein' auf die Schultern nahm. Im
Liedervortrag ercellirt er durch eine sentimentale Süßlichkeit, die in
der Oper oft unangenehm und störend wirkt. Lißt gab hier 9 voll¬
auf besuchte Concerte, wovon den größten Theil erst um 1l) Uhr
Nachts, eine Neuerung, die nur er zu behaupten wußte. Trotzdem
sich im Enthusiasmus für ihn viele Affection geltend macht, ist seine
künstlerische Erscheinung doch eine Alles mit sich fortreißende und als
ein echter, verzogener Liebling des Publicums wußte er sich selbst für
die Unarten, die er sich im Vortrag von Eompositionen großer Mei¬
ster erlaubte, Beifall zu gewinnen. Aber auch andere Unarten ließ
er sich zu Schulden kommen, so mußte das Publicum beim letzten
Concert, trotzdem es ohnehin schon auf eine so späte Nachtstunde an¬
gesagt war, noch einige Zeit darauf warten, bis der Concertgeber mit
aller Bequemlichkeit aus der italienischen Oper zurückgekehrt war. —
Die italienische Oper hat diesmal unerwartet glänzend begonnen,
ein neuer, früher hier noch nicht gehörter Tenor Fraschini, der bald
den Ruhm eines Nubini erringen dürfte, reißt den Kä.echten zu echt
italienischem Opernjubel hin. — Saphir feierte vor einigen Tagen
einen glänzenden Triumph, indem ihm das Publicum bei seiner letz¬
ten Vorlesung für die Verleumdungen, die Pokorny und einige un¬
bekannte Stimmen in den Inseraten der Allgem. Zeitung auf ihn
häuften, durch einen überaus stürmisch-freundlichen Empfang reichliche
Satisfaction gewahrte. — Die Lind wird im Laufe nächster Woche
zum ersten Male vor dem wiener Publicum erscheinen und zwar auf
Pokornv's Bühne. Das Publicum bereitet sich bereits zum Delirium
vor. Unter andern erzählt man, Meyerbeer habe Pokornv geschrieben,
er solle sich mit Saphir auszusöhnen trachten, die Lind würde sonst
nicht austreten, da sie nicht das Opfer dieses Zanks zwischen dem
Director und dem Kritiker werden darf. Nun, wir hoffen, Herr
Saphir wird ein galanter Se. Georg sein und an diesem hübschen
Lindwurm seine Lanze nicht versuchen. Der Zugkraft, welche die Lind
ausüben wird, denkt der Director des Kärnthnerthorrheatcrs durch das
Auftreten der Fanny Elster in Esmeralda das Gleichgewicht zu halten.




Verlag von Fr.Ludw. Herbig. Redacteur I. Kurauda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0140] schont. Die polnische Marseillaise: Noch ist Polen nicht verloren! wird diesmal von den drei Mächten selbst gesungen, die sich aufath¬ mend zurufen: Noch ist Polen nicht verloren! In Wien selbst ereignet sich wenig, das der Aufzeichnung werth wäre, und wenn ich Ihnen jetzt in der stillen Charwoche einen! kleinen Ueberblick des lärmenden wiener Treibens geben will, geschieht es um der Merkwürdigkeit willen, welche unbedeutende Dinge hier das öf¬ fentliche Leben bilden. Pischek füllte längere Zeit die Räume des Theaters an der Wien, hauptsächlich weil Staudigl durch ihn einen würdigen Mitsänger in großen Opern erhielt. Er nahm von Wien in einem Concert Abschied, das er, Lißt nachahmend, ohne Mitwir¬ kung anderer Künstler ganz allein' auf die Schultern nahm. Im Liedervortrag ercellirt er durch eine sentimentale Süßlichkeit, die in der Oper oft unangenehm und störend wirkt. Lißt gab hier 9 voll¬ auf besuchte Concerte, wovon den größten Theil erst um 1l) Uhr Nachts, eine Neuerung, die nur er zu behaupten wußte. Trotzdem sich im Enthusiasmus für ihn viele Affection geltend macht, ist seine künstlerische Erscheinung doch eine Alles mit sich fortreißende und als ein echter, verzogener Liebling des Publicums wußte er sich selbst für die Unarten, die er sich im Vortrag von Eompositionen großer Mei¬ ster erlaubte, Beifall zu gewinnen. Aber auch andere Unarten ließ er sich zu Schulden kommen, so mußte das Publicum beim letzten Concert, trotzdem es ohnehin schon auf eine so späte Nachtstunde an¬ gesagt war, noch einige Zeit darauf warten, bis der Concertgeber mit aller Bequemlichkeit aus der italienischen Oper zurückgekehrt war. — Die italienische Oper hat diesmal unerwartet glänzend begonnen, ein neuer, früher hier noch nicht gehörter Tenor Fraschini, der bald den Ruhm eines Nubini erringen dürfte, reißt den Kä.echten zu echt italienischem Opernjubel hin. — Saphir feierte vor einigen Tagen einen glänzenden Triumph, indem ihm das Publicum bei seiner letz¬ ten Vorlesung für die Verleumdungen, die Pokorny und einige un¬ bekannte Stimmen in den Inseraten der Allgem. Zeitung auf ihn häuften, durch einen überaus stürmisch-freundlichen Empfang reichliche Satisfaction gewahrte. — Die Lind wird im Laufe nächster Woche zum ersten Male vor dem wiener Publicum erscheinen und zwar auf Pokornv's Bühne. Das Publicum bereitet sich bereits zum Delirium vor. Unter andern erzählt man, Meyerbeer habe Pokornv geschrieben, er solle sich mit Saphir auszusöhnen trachten, die Lind würde sonst nicht austreten, da sie nicht das Opfer dieses Zanks zwischen dem Director und dem Kritiker werden darf. Nun, wir hoffen, Herr Saphir wird ein galanter Se. Georg sein und an diesem hübschen Lindwurm seine Lanze nicht versuchen. Der Zugkraft, welche die Lind ausüben wird, denkt der Director des Kärnthnerthorrheatcrs durch das Auftreten der Fanny Elster in Esmeralda das Gleichgewicht zu halten. Verlag von Fr.Ludw. Herbig. Redacteur I. Kurauda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/140>, abgerufen am 23.07.2024.