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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Bücher in der Provinz streiten, und Herr Martin, der gute Katho¬
lik, sich über Proselytenmacherei von Seiten der Protestanten bitter
beklagt, erscheint ein Buch und wird überall verkauft und gelesen,
daß Herrn Martin noch mehr Kummer verursachen dürfte. Es ist
IZonelx!'" l." emise "t >.! der bitterste Angriff auf das Papst¬
thum, der systematischeste Deutschkatholicismus. Den tausend kleinen
Reformatoren im lieben deutschen Vaterlande wäre dieses Buch zu
empfehlen; sie erfahren vielleicht erst daraus recht, was sie eigentlich
wollen. Zwar ist dieses Buch gewiß eine Frucht der deutschen Be¬
wegung (was der Versasser nicht zugesteht), aber der praktische Fran¬
zose hat mit sicherm Blicke das Brauchbare aufgefaßt und mauerfest
an einander gereiht. Der Neukatholicismus ist in diesem Buche viel
fester gefaßt als in all den tausend deutschen Brochüren, Gervinus
mit eingerechnet, der die Sache doch zu ideal und abstract aufgefaßt
hat. -- Ein anderes Buch, das in Deutschland bekannt zu werden
verdient, ist Vaulabelle'S I-."" tlmix i-Lst-uinuimi". Es ist zwar nich
mehr neu, denn die ersten Theile sind schon vor längerer Zeit erschien
nen, aber es ist auch noch nicht vollendet, dann wird sie die ausge¬
dehnteste pragmatischeste Geschichte der Zeit vom Jahre 13--36. Die
grandioseste Bekanntschaft mit seinem Stosse, die wahrheitsliebendste
Unparteilichkeit und großer Reichthum an Thatsachen charakterisiren
es. Wo es Charaktere betrifft, die noch aus der ersten Zeit der Re¬
volution^ herüberragen, ist Vaulabelle der gefährlichste Rival des
Herrn Thiers, von dem der alte Satz gilt: Das größte Glück der
Geschichtschreiber ist, daß die Todten nicht gegen ihre Ansichten pro-
testiren können. Eine elende Schmiererei hingegen ist Herrn Janin's
neuestes Buch Clarisse Harlowe, eine Bearbeitung des ainer Romans
gleiches Namens, aus dem mit französischer Feuilletonistenunver-
schamtheit aller Geist, alles Mark herausdestillirt und auf den Mist
geworfen wurde. Die französischen Journale aber ermangeln nicht,
diese Leichenentweihung zu loben.

Außer den deutschen literarischen I,-ü>nu,-" wie Heine, Herwegh ze.
hält sich gegenwärtig auch noch Gutzkow hier auf. Er hat hier ein
Trauerspiel begonnen und vollendet. Sein Held ist e<>"t<l, und
die meisten darin handelnde Personen sind Juden. Vor einigen Tagen
kamen noch Moritz Hartmann und Frau v. Bacharacht hier an.


V.
Ans Wien.

Polnische Marseillaise. - Lißt's Caprizen. -- Der Tenor Fraschini. --
Saphir und die Lind.

Während in einer Provinz Oesterreichs die Damokles-Schwerter
über so vielen edlen Familien hangen, kalte die Residenz in ihrem
svbaritischen Traum nur von Lust und Jubel und selbst die ernste
Mitternacht wird von den Produktionen fahrender Musiker nicht ver-


Bücher in der Provinz streiten, und Herr Martin, der gute Katho¬
lik, sich über Proselytenmacherei von Seiten der Protestanten bitter
beklagt, erscheint ein Buch und wird überall verkauft und gelesen,
daß Herrn Martin noch mehr Kummer verursachen dürfte. Es ist
IZonelx!'« l.« emise «t >.! der bitterste Angriff auf das Papst¬
thum, der systematischeste Deutschkatholicismus. Den tausend kleinen
Reformatoren im lieben deutschen Vaterlande wäre dieses Buch zu
empfehlen; sie erfahren vielleicht erst daraus recht, was sie eigentlich
wollen. Zwar ist dieses Buch gewiß eine Frucht der deutschen Be¬
wegung (was der Versasser nicht zugesteht), aber der praktische Fran¬
zose hat mit sicherm Blicke das Brauchbare aufgefaßt und mauerfest
an einander gereiht. Der Neukatholicismus ist in diesem Buche viel
fester gefaßt als in all den tausend deutschen Brochüren, Gervinus
mit eingerechnet, der die Sache doch zu ideal und abstract aufgefaßt
hat. — Ein anderes Buch, das in Deutschland bekannt zu werden
verdient, ist Vaulabelle'S I-.«» tlmix i-Lst-uinuimi«. Es ist zwar nich
mehr neu, denn die ersten Theile sind schon vor längerer Zeit erschien
nen, aber es ist auch noch nicht vollendet, dann wird sie die ausge¬
dehnteste pragmatischeste Geschichte der Zeit vom Jahre 13—36. Die
grandioseste Bekanntschaft mit seinem Stosse, die wahrheitsliebendste
Unparteilichkeit und großer Reichthum an Thatsachen charakterisiren
es. Wo es Charaktere betrifft, die noch aus der ersten Zeit der Re¬
volution^ herüberragen, ist Vaulabelle der gefährlichste Rival des
Herrn Thiers, von dem der alte Satz gilt: Das größte Glück der
Geschichtschreiber ist, daß die Todten nicht gegen ihre Ansichten pro-
testiren können. Eine elende Schmiererei hingegen ist Herrn Janin's
neuestes Buch Clarisse Harlowe, eine Bearbeitung des ainer Romans
gleiches Namens, aus dem mit französischer Feuilletonistenunver-
schamtheit aller Geist, alles Mark herausdestillirt und auf den Mist
geworfen wurde. Die französischen Journale aber ermangeln nicht,
diese Leichenentweihung zu loben.

Außer den deutschen literarischen I,-ü>nu,-« wie Heine, Herwegh ze.
hält sich gegenwärtig auch noch Gutzkow hier auf. Er hat hier ein
Trauerspiel begonnen und vollendet. Sein Held ist e<>»t<l, und
die meisten darin handelnde Personen sind Juden. Vor einigen Tagen
kamen noch Moritz Hartmann und Frau v. Bacharacht hier an.


V.
Ans Wien.

Polnische Marseillaise. - Lißt's Caprizen. — Der Tenor Fraschini. —
Saphir und die Lind.

Während in einer Provinz Oesterreichs die Damokles-Schwerter
über so vielen edlen Familien hangen, kalte die Residenz in ihrem
svbaritischen Traum nur von Lust und Jubel und selbst die ernste
Mitternacht wird von den Produktionen fahrender Musiker nicht ver-


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[0139] Bücher in der Provinz streiten, und Herr Martin, der gute Katho¬ lik, sich über Proselytenmacherei von Seiten der Protestanten bitter beklagt, erscheint ein Buch und wird überall verkauft und gelesen, daß Herrn Martin noch mehr Kummer verursachen dürfte. Es ist IZonelx!'« l.« emise «t >.! der bitterste Angriff auf das Papst¬ thum, der systematischeste Deutschkatholicismus. Den tausend kleinen Reformatoren im lieben deutschen Vaterlande wäre dieses Buch zu empfehlen; sie erfahren vielleicht erst daraus recht, was sie eigentlich wollen. Zwar ist dieses Buch gewiß eine Frucht der deutschen Be¬ wegung (was der Versasser nicht zugesteht), aber der praktische Fran¬ zose hat mit sicherm Blicke das Brauchbare aufgefaßt und mauerfest an einander gereiht. Der Neukatholicismus ist in diesem Buche viel fester gefaßt als in all den tausend deutschen Brochüren, Gervinus mit eingerechnet, der die Sache doch zu ideal und abstract aufgefaßt hat. — Ein anderes Buch, das in Deutschland bekannt zu werden verdient, ist Vaulabelle'S I-.«» tlmix i-Lst-uinuimi«. Es ist zwar nich mehr neu, denn die ersten Theile sind schon vor längerer Zeit erschien nen, aber es ist auch noch nicht vollendet, dann wird sie die ausge¬ dehnteste pragmatischeste Geschichte der Zeit vom Jahre 13—36. Die grandioseste Bekanntschaft mit seinem Stosse, die wahrheitsliebendste Unparteilichkeit und großer Reichthum an Thatsachen charakterisiren es. Wo es Charaktere betrifft, die noch aus der ersten Zeit der Re¬ volution^ herüberragen, ist Vaulabelle der gefährlichste Rival des Herrn Thiers, von dem der alte Satz gilt: Das größte Glück der Geschichtschreiber ist, daß die Todten nicht gegen ihre Ansichten pro- testiren können. Eine elende Schmiererei hingegen ist Herrn Janin's neuestes Buch Clarisse Harlowe, eine Bearbeitung des ainer Romans gleiches Namens, aus dem mit französischer Feuilletonistenunver- schamtheit aller Geist, alles Mark herausdestillirt und auf den Mist geworfen wurde. Die französischen Journale aber ermangeln nicht, diese Leichenentweihung zu loben. Außer den deutschen literarischen I,-ü>nu,-« wie Heine, Herwegh ze. hält sich gegenwärtig auch noch Gutzkow hier auf. Er hat hier ein Trauerspiel begonnen und vollendet. Sein Held ist e<>»t<l, und die meisten darin handelnde Personen sind Juden. Vor einigen Tagen kamen noch Moritz Hartmann und Frau v. Bacharacht hier an. V. Ans Wien. Polnische Marseillaise. - Lißt's Caprizen. — Der Tenor Fraschini. — Saphir und die Lind. Während in einer Provinz Oesterreichs die Damokles-Schwerter über so vielen edlen Familien hangen, kalte die Residenz in ihrem svbaritischen Traum nur von Lust und Jubel und selbst die ernste Mitternacht wird von den Produktionen fahrender Musiker nicht ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/139>, abgerufen am 24.11.2024.