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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Jünglingsalter vollends durch sinnliches Schwärmen, wodurch er
zugleich auch alle Lust und innige Triebbrunst verliert, Größeres
und Höheres zu versuchen und zu leisten, wenigstens sich zu bestre-
ben, als was er durch seine geschmeidigen Fingerfertigkeiten einmal
kann. Daher verschwinden dann in gewissen Jahren die Virtuosen
auf ein Mal von der Welt- und Lebensbühne. Sie müssen eS sich
jetzt mit schmerzlicher Resignation gestehen, daß sie eigentlich ohne
Beruf, ohne Talent für die Kunst sind und waren. Glücklich, wenn
ein solcher abtretende Virtuos sich so viel Geld und Ruf erübrigt,
daß er sich in einer großen Stadt als Musik, oder Klavierlehrer
niederlassen kann, zweimal glücklich, wenn es ihm bei seinem frühern
Auftreten gelang, durch seine Keckheit, seine Fertigkeit oder seinen
Zeitungsruf, der ihm schweres Geld gekostet, ein Mädchen zu be¬
rücken, wo möglich reiches, und daß er diese heirathet. -- Ver¬
schwindet der Virtuose auf diese Weise aus der Welt, aus den
Blättern, aus den Concertsälen, so verschwinden gleichsam auch seine
gehaltloser Compositionen, seine Phantasien über Thema's aus die¬
ser und jener Oper, aus dem Handel und Wandel, der Musikalien¬
händler sagt, "der -- oder die -- gehen nicht mehr", die Periode
ist vorüber und -- Alles wird vergessen. Die Compositionen, die
Portraits, die Biographien -- Alles ist Maculatur geworden.

Der Ruf eines solchen Virtuosen hat große Aehnlichkeit mit
dem unserer meisten Bühnenvirtuosen oder Schauspieler. Jetzt ist
das ganze Virtuosenthum eigentlich schon Noecoco geworden (?)
und man hat mit Recht von allen Seiten über die Concertmüdig¬
keit des Publicums geklagt oder geschrieben. Man ist zur rechten
Einsicht und Würdigung des bisherigen, gehaltloser Concertgebenö
gekommen, wo der Evard'sche Flügel das einzige Instrument im
Saale sein sollte, welches höchstens von einem Sänger oder einer
Sängerin unterstützt wurde. Die Virtuosen haben in der letzten
Zeit oft gestanden, daß sie kaum die Reisekosten erübrigen könnten)
daß es mit den Concerten gar schlecht sei, daß nichts mehr zu ma¬
chen wäre, weder im Osten noch im Westen und man oft Hunderte
von Freibillets ausgeben müsse, um nur nicht den Schimpf eines
leeren Saales zu haben. Es erhellt schon aus dem Vorhergehen¬
den und liegt auf der Hand, daß aus dieser Virtuosenwirthschaft
für die Oper und Symphonie durchaus keine Früchte reifen.


Jünglingsalter vollends durch sinnliches Schwärmen, wodurch er
zugleich auch alle Lust und innige Triebbrunst verliert, Größeres
und Höheres zu versuchen und zu leisten, wenigstens sich zu bestre-
ben, als was er durch seine geschmeidigen Fingerfertigkeiten einmal
kann. Daher verschwinden dann in gewissen Jahren die Virtuosen
auf ein Mal von der Welt- und Lebensbühne. Sie müssen eS sich
jetzt mit schmerzlicher Resignation gestehen, daß sie eigentlich ohne
Beruf, ohne Talent für die Kunst sind und waren. Glücklich, wenn
ein solcher abtretende Virtuos sich so viel Geld und Ruf erübrigt,
daß er sich in einer großen Stadt als Musik, oder Klavierlehrer
niederlassen kann, zweimal glücklich, wenn es ihm bei seinem frühern
Auftreten gelang, durch seine Keckheit, seine Fertigkeit oder seinen
Zeitungsruf, der ihm schweres Geld gekostet, ein Mädchen zu be¬
rücken, wo möglich reiches, und daß er diese heirathet. — Ver¬
schwindet der Virtuose auf diese Weise aus der Welt, aus den
Blättern, aus den Concertsälen, so verschwinden gleichsam auch seine
gehaltloser Compositionen, seine Phantasien über Thema's aus die¬
ser und jener Oper, aus dem Handel und Wandel, der Musikalien¬
händler sagt, „der — oder die — gehen nicht mehr", die Periode
ist vorüber und — Alles wird vergessen. Die Compositionen, die
Portraits, die Biographien — Alles ist Maculatur geworden.

Der Ruf eines solchen Virtuosen hat große Aehnlichkeit mit
dem unserer meisten Bühnenvirtuosen oder Schauspieler. Jetzt ist
das ganze Virtuosenthum eigentlich schon Noecoco geworden (?)
und man hat mit Recht von allen Seiten über die Concertmüdig¬
keit des Publicums geklagt oder geschrieben. Man ist zur rechten
Einsicht und Würdigung des bisherigen, gehaltloser Concertgebenö
gekommen, wo der Evard'sche Flügel das einzige Instrument im
Saale sein sollte, welches höchstens von einem Sänger oder einer
Sängerin unterstützt wurde. Die Virtuosen haben in der letzten
Zeit oft gestanden, daß sie kaum die Reisekosten erübrigen könnten)
daß es mit den Concerten gar schlecht sei, daß nichts mehr zu ma¬
chen wäre, weder im Osten noch im Westen und man oft Hunderte
von Freibillets ausgeben müsse, um nur nicht den Schimpf eines
leeren Saales zu haben. Es erhellt schon aus dem Vorhergehen¬
den und liegt auf der Hand, daß aus dieser Virtuosenwirthschaft
für die Oper und Symphonie durchaus keine Früchte reifen.


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[0107] Jünglingsalter vollends durch sinnliches Schwärmen, wodurch er zugleich auch alle Lust und innige Triebbrunst verliert, Größeres und Höheres zu versuchen und zu leisten, wenigstens sich zu bestre- ben, als was er durch seine geschmeidigen Fingerfertigkeiten einmal kann. Daher verschwinden dann in gewissen Jahren die Virtuosen auf ein Mal von der Welt- und Lebensbühne. Sie müssen eS sich jetzt mit schmerzlicher Resignation gestehen, daß sie eigentlich ohne Beruf, ohne Talent für die Kunst sind und waren. Glücklich, wenn ein solcher abtretende Virtuos sich so viel Geld und Ruf erübrigt, daß er sich in einer großen Stadt als Musik, oder Klavierlehrer niederlassen kann, zweimal glücklich, wenn es ihm bei seinem frühern Auftreten gelang, durch seine Keckheit, seine Fertigkeit oder seinen Zeitungsruf, der ihm schweres Geld gekostet, ein Mädchen zu be¬ rücken, wo möglich reiches, und daß er diese heirathet. — Ver¬ schwindet der Virtuose auf diese Weise aus der Welt, aus den Blättern, aus den Concertsälen, so verschwinden gleichsam auch seine gehaltloser Compositionen, seine Phantasien über Thema's aus die¬ ser und jener Oper, aus dem Handel und Wandel, der Musikalien¬ händler sagt, „der — oder die — gehen nicht mehr", die Periode ist vorüber und — Alles wird vergessen. Die Compositionen, die Portraits, die Biographien — Alles ist Maculatur geworden. Der Ruf eines solchen Virtuosen hat große Aehnlichkeit mit dem unserer meisten Bühnenvirtuosen oder Schauspieler. Jetzt ist das ganze Virtuosenthum eigentlich schon Noecoco geworden (?) und man hat mit Recht von allen Seiten über die Concertmüdig¬ keit des Publicums geklagt oder geschrieben. Man ist zur rechten Einsicht und Würdigung des bisherigen, gehaltloser Concertgebenö gekommen, wo der Evard'sche Flügel das einzige Instrument im Saale sein sollte, welches höchstens von einem Sänger oder einer Sängerin unterstützt wurde. Die Virtuosen haben in der letzten Zeit oft gestanden, daß sie kaum die Reisekosten erübrigen könnten) daß es mit den Concerten gar schlecht sei, daß nichts mehr zu ma¬ chen wäre, weder im Osten noch im Westen und man oft Hunderte von Freibillets ausgeben müsse, um nur nicht den Schimpf eines leeren Saales zu haben. Es erhellt schon aus dem Vorhergehen¬ den und liegt auf der Hand, daß aus dieser Virtuosenwirthschaft für die Oper und Symphonie durchaus keine Früchte reifen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/107>, abgerufen am 23.07.2024.