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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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unklaren liegt, so hat von einer Offenbarung und Entwickelung
eines wirklichen Talentes und Berufes zur Kunst und Kunstschö-
pfung auch nicht die Rede sein können. Es war ja Alles unfrei,
Alles Mechanismus und Zwangsarbeit, unter welcher das etwa
geheim keimende oder schlummernde Talent, die zarte Blüthe des
träumerischen Gemüthslebens ersticken, erstarren und vergraben wer¬
den mußte. Wie der Vater, so will nun aber auch der Musikalien-
verleger Vortheil von dem Virtuosen ziehen, und wenn dieser nicht
selbst schon, wie das regelmäßig leider ja schon zu früh und unreif
geschieht, auf Beirieb des Vaters oder aus eigenem Dünkel, mit
Compositionen hervortritt, mit geiht- und gehaltloser Phantasien, so
reizt jetzt der Musikalienverleger dazu an. Der junge Virtuos spielt,
er wird von Freibillets applaudirt, er wird in den Blättern genannt,
von feilen Federn gerühmt und gepriesen, der Handel mit Compo¬
sitionen dieses Wundermannes muß gehen. Der Virtuos von vier¬
zehn Jahren, ohne gründliche Bildung, ohne eigentliches Talent
schreibt nun zusammen, was das Zeug halten will, er schreibt und
spielt was er geschrieben, und -- das Publicum kauft was es ge¬
hört, was der Verleger am Morgen nach dem Concertabend in
grandiosen Lettern und mit frechen Lobphrasen angekündigt hat.
Aber mit dieser Industrie, mit diesem Compositionshandel ist es noch
nicht genug, auch mit dem Portrait des auf solche Weise Berüymt-
gemachten ist noch zu verdienen. Der Musikalienverleger gibt also
auch das Portrait seines Opfers heraus und sendet es überall hin,
wohin der Virtuos zum Concertgeber sich wendet, damit es in jeder
Stadt an dem Tage am Fenster hängt, an dessen Abend Concert
gegeben wird.

Ist auch dieser Cursus durchgemacht, so kommt endlich der
dritte, in welchem der Virtuos, geistig, sittlich, künstlerisch verwahr¬
lost, auf eigene Hand reist und Concerte gibt, um so viel Geld
zusammen zu raffen, wie möglich. Diese Nachtseite des Virtuosen-
thumeö ist oft noch die schwärzeste. Hat der Virtuose schon als
Kind sich abhagern und magern müssen durch das erzwungene
unausgesetzte Neben und Einpauker, um.vor der Welt als ein gro¬
ßes musikalisches Licht zu erscheinen, also hat er schon im Keime
seine Gesundheit untergraben, und dadurch alle freie, gemüthvolle
und Seelenreiche Schöpfungskraft zerstört, so thut er dies jetzt, im


unklaren liegt, so hat von einer Offenbarung und Entwickelung
eines wirklichen Talentes und Berufes zur Kunst und Kunstschö-
pfung auch nicht die Rede sein können. Es war ja Alles unfrei,
Alles Mechanismus und Zwangsarbeit, unter welcher das etwa
geheim keimende oder schlummernde Talent, die zarte Blüthe des
träumerischen Gemüthslebens ersticken, erstarren und vergraben wer¬
den mußte. Wie der Vater, so will nun aber auch der Musikalien-
verleger Vortheil von dem Virtuosen ziehen, und wenn dieser nicht
selbst schon, wie das regelmäßig leider ja schon zu früh und unreif
geschieht, auf Beirieb des Vaters oder aus eigenem Dünkel, mit
Compositionen hervortritt, mit geiht- und gehaltloser Phantasien, so
reizt jetzt der Musikalienverleger dazu an. Der junge Virtuos spielt,
er wird von Freibillets applaudirt, er wird in den Blättern genannt,
von feilen Federn gerühmt und gepriesen, der Handel mit Compo¬
sitionen dieses Wundermannes muß gehen. Der Virtuos von vier¬
zehn Jahren, ohne gründliche Bildung, ohne eigentliches Talent
schreibt nun zusammen, was das Zeug halten will, er schreibt und
spielt was er geschrieben, und — das Publicum kauft was es ge¬
hört, was der Verleger am Morgen nach dem Concertabend in
grandiosen Lettern und mit frechen Lobphrasen angekündigt hat.
Aber mit dieser Industrie, mit diesem Compositionshandel ist es noch
nicht genug, auch mit dem Portrait des auf solche Weise Berüymt-
gemachten ist noch zu verdienen. Der Musikalienverleger gibt also
auch das Portrait seines Opfers heraus und sendet es überall hin,
wohin der Virtuos zum Concertgeber sich wendet, damit es in jeder
Stadt an dem Tage am Fenster hängt, an dessen Abend Concert
gegeben wird.

Ist auch dieser Cursus durchgemacht, so kommt endlich der
dritte, in welchem der Virtuos, geistig, sittlich, künstlerisch verwahr¬
lost, auf eigene Hand reist und Concerte gibt, um so viel Geld
zusammen zu raffen, wie möglich. Diese Nachtseite des Virtuosen-
thumeö ist oft noch die schwärzeste. Hat der Virtuose schon als
Kind sich abhagern und magern müssen durch das erzwungene
unausgesetzte Neben und Einpauker, um.vor der Welt als ein gro¬
ßes musikalisches Licht zu erscheinen, also hat er schon im Keime
seine Gesundheit untergraben, und dadurch alle freie, gemüthvolle
und Seelenreiche Schöpfungskraft zerstört, so thut er dies jetzt, im


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[0106] unklaren liegt, so hat von einer Offenbarung und Entwickelung eines wirklichen Talentes und Berufes zur Kunst und Kunstschö- pfung auch nicht die Rede sein können. Es war ja Alles unfrei, Alles Mechanismus und Zwangsarbeit, unter welcher das etwa geheim keimende oder schlummernde Talent, die zarte Blüthe des träumerischen Gemüthslebens ersticken, erstarren und vergraben wer¬ den mußte. Wie der Vater, so will nun aber auch der Musikalien- verleger Vortheil von dem Virtuosen ziehen, und wenn dieser nicht selbst schon, wie das regelmäßig leider ja schon zu früh und unreif geschieht, auf Beirieb des Vaters oder aus eigenem Dünkel, mit Compositionen hervortritt, mit geiht- und gehaltloser Phantasien, so reizt jetzt der Musikalienverleger dazu an. Der junge Virtuos spielt, er wird von Freibillets applaudirt, er wird in den Blättern genannt, von feilen Federn gerühmt und gepriesen, der Handel mit Compo¬ sitionen dieses Wundermannes muß gehen. Der Virtuos von vier¬ zehn Jahren, ohne gründliche Bildung, ohne eigentliches Talent schreibt nun zusammen, was das Zeug halten will, er schreibt und spielt was er geschrieben, und — das Publicum kauft was es ge¬ hört, was der Verleger am Morgen nach dem Concertabend in grandiosen Lettern und mit frechen Lobphrasen angekündigt hat. Aber mit dieser Industrie, mit diesem Compositionshandel ist es noch nicht genug, auch mit dem Portrait des auf solche Weise Berüymt- gemachten ist noch zu verdienen. Der Musikalienverleger gibt also auch das Portrait seines Opfers heraus und sendet es überall hin, wohin der Virtuos zum Concertgeber sich wendet, damit es in jeder Stadt an dem Tage am Fenster hängt, an dessen Abend Concert gegeben wird. Ist auch dieser Cursus durchgemacht, so kommt endlich der dritte, in welchem der Virtuos, geistig, sittlich, künstlerisch verwahr¬ lost, auf eigene Hand reist und Concerte gibt, um so viel Geld zusammen zu raffen, wie möglich. Diese Nachtseite des Virtuosen- thumeö ist oft noch die schwärzeste. Hat der Virtuose schon als Kind sich abhagern und magern müssen durch das erzwungene unausgesetzte Neben und Einpauker, um.vor der Welt als ein gro¬ ßes musikalisches Licht zu erscheinen, also hat er schon im Keime seine Gesundheit untergraben, und dadurch alle freie, gemüthvolle und Seelenreiche Schöpfungskraft zerstört, so thut er dies jetzt, im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/106>, abgerufen am 24.11.2024.