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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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traten sind, die hier ihre Standes-Jnteressen besprechen und auf Sachen
des Gemeinwohls höchstens in zweiter Reihe bedacht sind. Und wie
sollte es auch die hohe Versammlung sein, da ihre Elemente mit gerin¬
ger Ausnahme fast nur dem Adel angehören? Es werden zwar zeitwei¬
lig hochwichtige, das Volk betreffende, Angelegenheiten in den Bereich
dieser Berathungen gezogen, allein die meisten scheitern an der Selbst¬
sucht des Aristokratismus, oder an der aus höhern Staatsmächten
verweigerten Sanction. Dieses Loos hatten die Antrage über Auflassung
des Bierzwangs, der Ablösung der Frohndienste und in letzterer Beziehung
die Beschlüsse wegen Modification der immoralischen Verzehrungssteuer,
der Aufhebung des Lotto, die Errichtung einer Hypothekenbank, worüber
zwar noch verhandelt wird. Uebrigens sind in letzter Zeit kaum zwei
Maßregeln durchgegangen, die von einer wirklichen Berücksichtigung der
Landesverhältnisse zeugen. Natürlich war dies der Ruf der Angst und
des Kummers, der das Herz jedes Menschenfreundes auf das empfind¬
lichste ergrissen hat. Es ist damit gemeint die Bewilligung der IWOVV si.
für die Ueberschwemmten und die Theuerungszuschüsse für die ständischen
Beamten; Entschließungen, die im Publicum mit Beifall und von den
Betheiligten mit grenzenloser Dankbarkeit aufgenommen wurden, da sie
sich als Balsam tiefgefühlter Wunden erwiesen haben. Durch den letz--
deren Act wurde wohl die Staatsverwaltung an Großherzigkeit übertref¬
fen, denn während die Stände nach den verschiedenen Gehaltsstufen 3l),
24, 16 und II) Procent für die ganze Dauer der Theuerung bewillig¬
ten, genehmigte diese blos einen Betrag von 6VW si. zur Vertheilung
an dürftige Beamtenfamilien und stellte den unmoralischen Grundsatz
auf, daß die Bewerber Schulden nachweisen müssen, wornach der
Schuldenmacher so ziemlich Unterstützung findet, der brave, ordnungs¬
liebende Beamte aber unbedacht bleibt. Die Bedürfnisse des Bürger¬
standes werden nicht berücksichtigt, und dieser Stand ist auf dem Landtage
ganz bedeutungslos, zumal da er blos von dem Bürger und Vice-
Bürgermeister der Hauptstadt Prag vertreten wird. Obwohl diese Männer
die besten Absichten hegen, so wird es leicht begreiflich sein, daß sie bei
ihrer wichtigen Stellung in der Hauptstadt, die ihre ganze Thätigkeit in
Anspruch nimmt, einestheils die Verhältnisse des Bürgers in der Pro¬
vinz nicht kennend, anderntheils dem Adel und der blos sigurirenden
Geistlichkeit allein gegenüberstehend -- nichts bezwecken können, oder aus
anderen vielleicht triftigern Motiven keinen Antrag stellen wollen. Dieses
Verhältniß könnte zwar in etwas zu seinem Besseren geändert werden,
wenigstens in numerischer Hinsicht, wenn das Ansinnen der einen von


traten sind, die hier ihre Standes-Jnteressen besprechen und auf Sachen
des Gemeinwohls höchstens in zweiter Reihe bedacht sind. Und wie
sollte es auch die hohe Versammlung sein, da ihre Elemente mit gerin¬
ger Ausnahme fast nur dem Adel angehören? Es werden zwar zeitwei¬
lig hochwichtige, das Volk betreffende, Angelegenheiten in den Bereich
dieser Berathungen gezogen, allein die meisten scheitern an der Selbst¬
sucht des Aristokratismus, oder an der aus höhern Staatsmächten
verweigerten Sanction. Dieses Loos hatten die Antrage über Auflassung
des Bierzwangs, der Ablösung der Frohndienste und in letzterer Beziehung
die Beschlüsse wegen Modification der immoralischen Verzehrungssteuer,
der Aufhebung des Lotto, die Errichtung einer Hypothekenbank, worüber
zwar noch verhandelt wird. Uebrigens sind in letzter Zeit kaum zwei
Maßregeln durchgegangen, die von einer wirklichen Berücksichtigung der
Landesverhältnisse zeugen. Natürlich war dies der Ruf der Angst und
des Kummers, der das Herz jedes Menschenfreundes auf das empfind¬
lichste ergrissen hat. Es ist damit gemeint die Bewilligung der IWOVV si.
für die Ueberschwemmten und die Theuerungszuschüsse für die ständischen
Beamten; Entschließungen, die im Publicum mit Beifall und von den
Betheiligten mit grenzenloser Dankbarkeit aufgenommen wurden, da sie
sich als Balsam tiefgefühlter Wunden erwiesen haben. Durch den letz--
deren Act wurde wohl die Staatsverwaltung an Großherzigkeit übertref¬
fen, denn während die Stände nach den verschiedenen Gehaltsstufen 3l),
24, 16 und II) Procent für die ganze Dauer der Theuerung bewillig¬
ten, genehmigte diese blos einen Betrag von 6VW si. zur Vertheilung
an dürftige Beamtenfamilien und stellte den unmoralischen Grundsatz
auf, daß die Bewerber Schulden nachweisen müssen, wornach der
Schuldenmacher so ziemlich Unterstützung findet, der brave, ordnungs¬
liebende Beamte aber unbedacht bleibt. Die Bedürfnisse des Bürger¬
standes werden nicht berücksichtigt, und dieser Stand ist auf dem Landtage
ganz bedeutungslos, zumal da er blos von dem Bürger und Vice-
Bürgermeister der Hauptstadt Prag vertreten wird. Obwohl diese Männer
die besten Absichten hegen, so wird es leicht begreiflich sein, daß sie bei
ihrer wichtigen Stellung in der Hauptstadt, die ihre ganze Thätigkeit in
Anspruch nimmt, einestheils die Verhältnisse des Bürgers in der Pro¬
vinz nicht kennend, anderntheils dem Adel und der blos sigurirenden
Geistlichkeit allein gegenüberstehend — nichts bezwecken können, oder aus
anderen vielleicht triftigern Motiven keinen Antrag stellen wollen. Dieses
Verhältniß könnte zwar in etwas zu seinem Besseren geändert werden,
wenigstens in numerischer Hinsicht, wenn das Ansinnen der einen von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/95>, abgerufen am 24.07.2024.