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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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wieder von einer Verbrüderung Deutschlands, von einem Meere zum
andern sprach, wahrend man die dort Versammelten auf Veranlassung des
Kaisers mit wahrhaft feenartigen Festen unterhalt -- Graf Wickenburg
der Gouverneur der Steiermark, ist Meister in solchen Ueberraschungen --
wurde hier still und bescheiden, nur von einem kleinen Kreise von Ver¬
ehrern und Mannern der Wissenschaft, ein deutscher Gelehrter festgegessen,
der für die Fortbildung der Staatswissenschaften so unendlich viel geleistet
-- der würdige Gelehrte Rau, der seit einiger Zeit hier sich aushält.
Ich möchte es bezeichnend für den österreichischen oder vielmehr den
Wiener Charakter finden, daß sich zu diesem Festmahle nur einige und
40 Personen zusammenfanden, wahrend jenes, das man einst Friedrich
List gab, weit über l<)t) Theilnehmer zahlte. Aber List ist eine immer¬
während in's Leben greifende Persönlichkeit, als Journalist und Schrift¬
steller auf der Zinne der Zeit stehend, ist es immer auch zugleich sein^Jch,
das uns so lebendig, so scharf ausgeprägt entgegentritt, und so etwas
imponirt den Wienern, nimmt sie dafür ein. Bei Nan aber ist es an¬
ders; sein eigentlichstes, im tiefsten Grunde der Wissenschaft wühlendes
Wirken ist nicht für die Allgemeinheit, Rau donnert nicht in Journalen
über Tagesfragen, deren Schlagworte Jedem aus der allgemeinen Zeitung
im Munde liegen, er ist ein Mann der Wissenschaft, und mit solchen,
das weiß man, laßt sich nicht gut Ostentativ" treiben. So hatten sich
von den 150 Namen, die sich auf dem Bogen befanden, wie gesagt,
nur einige und 4t) eingefunden, aber dafür waren es Männer, denen die
Wissenschaft wahr und heiß am Herzen liegt. Es wurden ernste würdige
Worte gesprochen, und die Toaste auf Mittermaier, Ncbcnius, die öster¬
reichischen Stande zeugen von dem würdigen Geiste, der in der Versamm¬
lung wehte. Eines aber mußte bei Vielen ein wehmüthiges und zugleich
lächerliches Gefühl erregen, nämlich die Angst und Verlegenheit der alten
Herren in der Versammlung, als es schon gegen Ende der Tafel einem jungen
Doctor einfiel, einen Toast auf Schleswig-Holstein auszubringen. Die
Scene war prächtig, da Viele nicht wußten, sollten sie trinken oder nicht,
sollten sie anstoßen oder nicht, sollten sie Hock)! rufen oder nicht. Doch
riefen die Meisten, aber es tranken nicht Alle, die hohen Beamten dar¬
unter fürchteten vielleicht, der Trunk auf Schleswig-Holstein könne ihnen
zu Kopfe steigen. Glauben Sie übrigens nicht, daß nicht unter den
Gebildeten hier die "Schleswig-Holsteinische" Sache viele Theilnahme
findet! Die hiesige Presse, -- die liebe Seele, Gott stärke sie! -- muß
sich aber total indifferent verhalten, und die Staatskanzlei hat, wie ich
höre, Befehl an die Censoren ertheilt, so lange Alles über Schleswig-
Holstein zu streichen, bis die Entscheidung des Bundestages in dieser
Sache erfolgt sein wird.

Weil ich von Censur spreche, noch eine kleine Anekdote. Das Burg-
rheater, das unter der Direction des Grafen Moritz Dietrichstein wahrhaft
Fortschritte macht, wird feit einiger Zeit von mehreren kleinen Journalen
hier unbarmherzig mitgenommen, während die Sonntagsblätter und der
Humorist es fast gar nicht mehr besprechen. Alle Censurverschärfungen
nützen nichts, es läuft immer etwas durch, was den guten alten Herren


wieder von einer Verbrüderung Deutschlands, von einem Meere zum
andern sprach, wahrend man die dort Versammelten auf Veranlassung des
Kaisers mit wahrhaft feenartigen Festen unterhalt — Graf Wickenburg
der Gouverneur der Steiermark, ist Meister in solchen Ueberraschungen —
wurde hier still und bescheiden, nur von einem kleinen Kreise von Ver¬
ehrern und Mannern der Wissenschaft, ein deutscher Gelehrter festgegessen,
der für die Fortbildung der Staatswissenschaften so unendlich viel geleistet
— der würdige Gelehrte Rau, der seit einiger Zeit hier sich aushält.
Ich möchte es bezeichnend für den österreichischen oder vielmehr den
Wiener Charakter finden, daß sich zu diesem Festmahle nur einige und
40 Personen zusammenfanden, wahrend jenes, das man einst Friedrich
List gab, weit über l<)t) Theilnehmer zahlte. Aber List ist eine immer¬
während in's Leben greifende Persönlichkeit, als Journalist und Schrift¬
steller auf der Zinne der Zeit stehend, ist es immer auch zugleich sein^Jch,
das uns so lebendig, so scharf ausgeprägt entgegentritt, und so etwas
imponirt den Wienern, nimmt sie dafür ein. Bei Nan aber ist es an¬
ders; sein eigentlichstes, im tiefsten Grunde der Wissenschaft wühlendes
Wirken ist nicht für die Allgemeinheit, Rau donnert nicht in Journalen
über Tagesfragen, deren Schlagworte Jedem aus der allgemeinen Zeitung
im Munde liegen, er ist ein Mann der Wissenschaft, und mit solchen,
das weiß man, laßt sich nicht gut Ostentativ» treiben. So hatten sich
von den 150 Namen, die sich auf dem Bogen befanden, wie gesagt,
nur einige und 4t) eingefunden, aber dafür waren es Männer, denen die
Wissenschaft wahr und heiß am Herzen liegt. Es wurden ernste würdige
Worte gesprochen, und die Toaste auf Mittermaier, Ncbcnius, die öster¬
reichischen Stande zeugen von dem würdigen Geiste, der in der Versamm¬
lung wehte. Eines aber mußte bei Vielen ein wehmüthiges und zugleich
lächerliches Gefühl erregen, nämlich die Angst und Verlegenheit der alten
Herren in der Versammlung, als es schon gegen Ende der Tafel einem jungen
Doctor einfiel, einen Toast auf Schleswig-Holstein auszubringen. Die
Scene war prächtig, da Viele nicht wußten, sollten sie trinken oder nicht,
sollten sie anstoßen oder nicht, sollten sie Hock)! rufen oder nicht. Doch
riefen die Meisten, aber es tranken nicht Alle, die hohen Beamten dar¬
unter fürchteten vielleicht, der Trunk auf Schleswig-Holstein könne ihnen
zu Kopfe steigen. Glauben Sie übrigens nicht, daß nicht unter den
Gebildeten hier die „Schleswig-Holsteinische" Sache viele Theilnahme
findet! Die hiesige Presse, — die liebe Seele, Gott stärke sie! — muß
sich aber total indifferent verhalten, und die Staatskanzlei hat, wie ich
höre, Befehl an die Censoren ertheilt, so lange Alles über Schleswig-
Holstein zu streichen, bis die Entscheidung des Bundestages in dieser
Sache erfolgt sein wird.

Weil ich von Censur spreche, noch eine kleine Anekdote. Das Burg-
rheater, das unter der Direction des Grafen Moritz Dietrichstein wahrhaft
Fortschritte macht, wird feit einiger Zeit von mehreren kleinen Journalen
hier unbarmherzig mitgenommen, während die Sonntagsblätter und der
Humorist es fast gar nicht mehr besprechen. Alle Censurverschärfungen
nützen nichts, es läuft immer etwas durch, was den guten alten Herren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/555>, abgerufen am 24.07.2024.