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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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um Verzeihung bitten." An demselben Charfreitage, an welchem sie
durchaus nichts genossen hatte, wäre die Königin gegen Mittag bei¬
nahe ohnmächtig geworden.

Marie Am "Nie sieht es sehr ungern, wenn man in öffentlichen
Blättern von ihrer Wohlthätigkeit spricht. Ich nahm mir einmal die
Freiheit, ihr zu sagen, daß die Wohlthaten der Fürsten zu gleicher Zeit
mildthätige und politische Handlungen seien, durch deren Veröffent¬
lichung man oft der Böswilligkeit und Verleumdung entgegentreten
könne. "Ich sehe wohl ein, daß Sie Recht haben können," antwortete
sie mir, "und wenn es doch einmal sein muß, 'so möge man in den
Blättern von den Wohlthaten des Königs sprechen, den man aller¬
dings mit solcher Heftigkeit angreift, daß dies Mittel zu seiner Ver¬
theidigung, wodurch wir in der That ein Opfer bringen, nothwendig
scheint. Nur von mir soll man nichts reden, darum bitte ich Sie."
So will die Königin in ihrer Bescheidenheit stets hinter ihrem Gemahl
und ihrer Familie zurückstehen. Allerdings finden ihre Tugenden eine
so allgemeine Anerkennung, daß man schwerlich einen Menschen finden
dürfte, welcher diese vortreffliche Fürstin mit Schmähungen oder Ver¬
leumdungen besudelte, mit denen man gegen die übrigen Prinzen und
Prinzessinnen des Hauses Orleans freigebig genug ist.

Die Spazierfahrten werden von der Königin stets mit Ludwig
Philipp verabredet und, soweit es thunlich ist, von allen Mitgliedern
der Familie zusammen ausgeführt. Als die Prinzen noch jünger wa¬
ren, ordnete die Königin die Zeit der Unterrichts-, Repetitions- und Er¬
holungsstunden in Gemeinschaft mit den Lehrern an. Sie aßen jeder¬
zeit allein unter Aufsicht ihrer Erzieher, um an einfache Speisen ge¬
wöhnt zu werden.

War eins ihrer Kinder krank, so verließ die Königin das Bett
keine Minute, wollte, wenn der Arzt ihnen eine Bouillon oder ein er¬
frischendes Getränk verordnet hatte, dies jederzeit selbst bereiten und
brachte sehr oft die Nächte an dem Lager ihrer kranken Kinder zu.
Rang und Etikette verschwanden sodann vor der Mutterpflicht, sie hatte
keine Zeit mehr zu ihren gewöhnlichen Beschäftigungen, sondern strebte
nur danach, sich des Namens einer Mutter wahrhaft würdig zu
zeigen.

Gemeiniglich unternimmt die Königliche Familie um 3 Uhr eine
Spazierfahrt nach Neuilly, Se. Cloud oder einem der andern umlie¬
genden Schlösser. Auf diesen Promenaden beschäftigt sich der König
sowohl wie die Königin damit, mit den Architekten über neue Bauten


um Verzeihung bitten." An demselben Charfreitage, an welchem sie
durchaus nichts genossen hatte, wäre die Königin gegen Mittag bei¬
nahe ohnmächtig geworden.

Marie Am «Nie sieht es sehr ungern, wenn man in öffentlichen
Blättern von ihrer Wohlthätigkeit spricht. Ich nahm mir einmal die
Freiheit, ihr zu sagen, daß die Wohlthaten der Fürsten zu gleicher Zeit
mildthätige und politische Handlungen seien, durch deren Veröffent¬
lichung man oft der Böswilligkeit und Verleumdung entgegentreten
könne. „Ich sehe wohl ein, daß Sie Recht haben können," antwortete
sie mir, „und wenn es doch einmal sein muß, 'so möge man in den
Blättern von den Wohlthaten des Königs sprechen, den man aller¬
dings mit solcher Heftigkeit angreift, daß dies Mittel zu seiner Ver¬
theidigung, wodurch wir in der That ein Opfer bringen, nothwendig
scheint. Nur von mir soll man nichts reden, darum bitte ich Sie."
So will die Königin in ihrer Bescheidenheit stets hinter ihrem Gemahl
und ihrer Familie zurückstehen. Allerdings finden ihre Tugenden eine
so allgemeine Anerkennung, daß man schwerlich einen Menschen finden
dürfte, welcher diese vortreffliche Fürstin mit Schmähungen oder Ver¬
leumdungen besudelte, mit denen man gegen die übrigen Prinzen und
Prinzessinnen des Hauses Orleans freigebig genug ist.

Die Spazierfahrten werden von der Königin stets mit Ludwig
Philipp verabredet und, soweit es thunlich ist, von allen Mitgliedern
der Familie zusammen ausgeführt. Als die Prinzen noch jünger wa¬
ren, ordnete die Königin die Zeit der Unterrichts-, Repetitions- und Er¬
holungsstunden in Gemeinschaft mit den Lehrern an. Sie aßen jeder¬
zeit allein unter Aufsicht ihrer Erzieher, um an einfache Speisen ge¬
wöhnt zu werden.

War eins ihrer Kinder krank, so verließ die Königin das Bett
keine Minute, wollte, wenn der Arzt ihnen eine Bouillon oder ein er¬
frischendes Getränk verordnet hatte, dies jederzeit selbst bereiten und
brachte sehr oft die Nächte an dem Lager ihrer kranken Kinder zu.
Rang und Etikette verschwanden sodann vor der Mutterpflicht, sie hatte
keine Zeit mehr zu ihren gewöhnlichen Beschäftigungen, sondern strebte
nur danach, sich des Namens einer Mutter wahrhaft würdig zu
zeigen.

Gemeiniglich unternimmt die Königliche Familie um 3 Uhr eine
Spazierfahrt nach Neuilly, Se. Cloud oder einem der andern umlie¬
genden Schlösser. Auf diesen Promenaden beschäftigt sich der König
sowohl wie die Königin damit, mit den Architekten über neue Bauten


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[0531] um Verzeihung bitten." An demselben Charfreitage, an welchem sie durchaus nichts genossen hatte, wäre die Königin gegen Mittag bei¬ nahe ohnmächtig geworden. Marie Am «Nie sieht es sehr ungern, wenn man in öffentlichen Blättern von ihrer Wohlthätigkeit spricht. Ich nahm mir einmal die Freiheit, ihr zu sagen, daß die Wohlthaten der Fürsten zu gleicher Zeit mildthätige und politische Handlungen seien, durch deren Veröffent¬ lichung man oft der Böswilligkeit und Verleumdung entgegentreten könne. „Ich sehe wohl ein, daß Sie Recht haben können," antwortete sie mir, „und wenn es doch einmal sein muß, 'so möge man in den Blättern von den Wohlthaten des Königs sprechen, den man aller¬ dings mit solcher Heftigkeit angreift, daß dies Mittel zu seiner Ver¬ theidigung, wodurch wir in der That ein Opfer bringen, nothwendig scheint. Nur von mir soll man nichts reden, darum bitte ich Sie." So will die Königin in ihrer Bescheidenheit stets hinter ihrem Gemahl und ihrer Familie zurückstehen. Allerdings finden ihre Tugenden eine so allgemeine Anerkennung, daß man schwerlich einen Menschen finden dürfte, welcher diese vortreffliche Fürstin mit Schmähungen oder Ver¬ leumdungen besudelte, mit denen man gegen die übrigen Prinzen und Prinzessinnen des Hauses Orleans freigebig genug ist. Die Spazierfahrten werden von der Königin stets mit Ludwig Philipp verabredet und, soweit es thunlich ist, von allen Mitgliedern der Familie zusammen ausgeführt. Als die Prinzen noch jünger wa¬ ren, ordnete die Königin die Zeit der Unterrichts-, Repetitions- und Er¬ holungsstunden in Gemeinschaft mit den Lehrern an. Sie aßen jeder¬ zeit allein unter Aufsicht ihrer Erzieher, um an einfache Speisen ge¬ wöhnt zu werden. War eins ihrer Kinder krank, so verließ die Königin das Bett keine Minute, wollte, wenn der Arzt ihnen eine Bouillon oder ein er¬ frischendes Getränk verordnet hatte, dies jederzeit selbst bereiten und brachte sehr oft die Nächte an dem Lager ihrer kranken Kinder zu. Rang und Etikette verschwanden sodann vor der Mutterpflicht, sie hatte keine Zeit mehr zu ihren gewöhnlichen Beschäftigungen, sondern strebte nur danach, sich des Namens einer Mutter wahrhaft würdig zu zeigen. Gemeiniglich unternimmt die Königliche Familie um 3 Uhr eine Spazierfahrt nach Neuilly, Se. Cloud oder einem der andern umlie¬ genden Schlösser. Auf diesen Promenaden beschäftigt sich der König sowohl wie die Königin damit, mit den Architekten über neue Bauten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/531>, abgerufen am 24.07.2024.