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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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für freie Presse, Verbesserurg des Gerichtsverfahrens, für repräsentative
Verfassung und überhaupt für die Fortschrittöfragen im National- und
Staatsleben zu kämpfen bemüht ist. Se. Excellenz erwiederten hierauf,
daß Sie Discussionen diefer Art keineswegs hinderlich zu fein die Absicht
haben und wenn nur keine Angrisse gegen Preußen in dem Blatte vor¬
kamen, würde es Niemand einfallen, meinem Aufenthalte in Berlin et¬
was in den Weg zu legen.

Diese mir höchst interessante Audienz hatte gegen dreiviertel Stunden
gedauert und wenn es auch unpassend ist, auf die mannichfachen Einzel¬
heiten derselben einzugehen, so muß ich doch sagen, daß ich in Bezug auf
den mich betreffenden speciellen Fall die Ueberzeugung erhielt und aus¬
sprach, daß die ganze Maßregel nur Folge des Berichtes eines Unter¬
beamten gewesen sein konnte, der, statt eine Zeitschrift in der Gesammtheit
ihres Inhalts und Tones zu beurtheilen, mit kleinlichen Spürgeiste auf
einzelne Ausdrücke und Stellen Jagd gemacht hatte.

Der Ausweisung wurde weiter keine Folge gegeben, obschon meine
Aufenthaltskarte mir dennoch nicht zugestellt wurde. So vergingen aber¬
mals 3 Monate. Die Grenzboten brachten mittlerweile mehrere Artikel
über preußische Zustande (die übrigens mit meinem Aufenthalte in Berlin
in keinem Zusammenhange standen, da sie von fremden Verfassern sind),
wobei ich, wie früher, in meiner Redaction mich auf den Standpunkt
preußischer Blätter stellte und das für preußische Blätter Zulässige auch
als zulässig für die Grenzboten betrachtete, eine Ansicht, von der offenbar
auch die Leipziger Censur ausgeht, die in Bezug auf preußische (und
österreichische) Angelegenheiten so strenge ist, daß sie oft Dinge nicht
passiren laßt, die spater mit preußischer Censur erschienen sind.

Plötzlich (am 17. September) wurde mir vom Polizeirathe Hof-
richter officiell die Eröffnung gemacht, daß ich "wegen fortwährender
böswilliger^) Angriffe gegen die preußische Regierung, selbst in den neue¬
sten Nummern der Grenzboten, Berlin und den preußischen Staat
unverzüglich zu verlassen habe." Diese Verfügung wurde mir vorge¬
lesen und eine Abschrift derselben, die ich schriftlich nachsuchte, wurde
mir bis zu dieser Stunde nicht ertheilt. Doch wurden mir bereitwillig
8 bis l4Tage Zeit gegeben, um meine Angelegenheiten zu ordnen, meine
Abschiedsbesuche zu machen und wenn ich es für zweckdienlich erachte, um
die Rücknahme dieser Maßregel nachzusuchen. In dem Augenblicke je¬
doch, wo diese Zeilen gedruckt werden, habe ich wahrscheinlich Berlin be¬
reits verlassen, da es mir mit der Selbstachtung eines jeden Mannes
von Ehre unvereinbar scheint, einem Orte sich aufdrängen zu wollen,
in welchem man ihm das Gastrecht aufkündet. Wohl aber habe ich eine
Reklamation an das Ministerium des Innern vorbereitet und einerseits
die Revision meiner Acten, andererseits eine Abschrift der mich betreffen¬
den Maßregel beantragt, um nöthigen Falles an die Gerechtigkeit des
Monarchen selbst zu appelliren.


I. Kuranda.


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für freie Presse, Verbesserurg des Gerichtsverfahrens, für repräsentative
Verfassung und überhaupt für die Fortschrittöfragen im National- und
Staatsleben zu kämpfen bemüht ist. Se. Excellenz erwiederten hierauf,
daß Sie Discussionen diefer Art keineswegs hinderlich zu fein die Absicht
haben und wenn nur keine Angrisse gegen Preußen in dem Blatte vor¬
kamen, würde es Niemand einfallen, meinem Aufenthalte in Berlin et¬
was in den Weg zu legen.

Diese mir höchst interessante Audienz hatte gegen dreiviertel Stunden
gedauert und wenn es auch unpassend ist, auf die mannichfachen Einzel¬
heiten derselben einzugehen, so muß ich doch sagen, daß ich in Bezug auf
den mich betreffenden speciellen Fall die Ueberzeugung erhielt und aus¬
sprach, daß die ganze Maßregel nur Folge des Berichtes eines Unter¬
beamten gewesen sein konnte, der, statt eine Zeitschrift in der Gesammtheit
ihres Inhalts und Tones zu beurtheilen, mit kleinlichen Spürgeiste auf
einzelne Ausdrücke und Stellen Jagd gemacht hatte.

Der Ausweisung wurde weiter keine Folge gegeben, obschon meine
Aufenthaltskarte mir dennoch nicht zugestellt wurde. So vergingen aber¬
mals 3 Monate. Die Grenzboten brachten mittlerweile mehrere Artikel
über preußische Zustande (die übrigens mit meinem Aufenthalte in Berlin
in keinem Zusammenhange standen, da sie von fremden Verfassern sind),
wobei ich, wie früher, in meiner Redaction mich auf den Standpunkt
preußischer Blätter stellte und das für preußische Blätter Zulässige auch
als zulässig für die Grenzboten betrachtete, eine Ansicht, von der offenbar
auch die Leipziger Censur ausgeht, die in Bezug auf preußische (und
österreichische) Angelegenheiten so strenge ist, daß sie oft Dinge nicht
passiren laßt, die spater mit preußischer Censur erschienen sind.

Plötzlich (am 17. September) wurde mir vom Polizeirathe Hof-
richter officiell die Eröffnung gemacht, daß ich „wegen fortwährender
böswilliger^) Angriffe gegen die preußische Regierung, selbst in den neue¬
sten Nummern der Grenzboten, Berlin und den preußischen Staat
unverzüglich zu verlassen habe." Diese Verfügung wurde mir vorge¬
lesen und eine Abschrift derselben, die ich schriftlich nachsuchte, wurde
mir bis zu dieser Stunde nicht ertheilt. Doch wurden mir bereitwillig
8 bis l4Tage Zeit gegeben, um meine Angelegenheiten zu ordnen, meine
Abschiedsbesuche zu machen und wenn ich es für zweckdienlich erachte, um
die Rücknahme dieser Maßregel nachzusuchen. In dem Augenblicke je¬
doch, wo diese Zeilen gedruckt werden, habe ich wahrscheinlich Berlin be¬
reits verlassen, da es mir mit der Selbstachtung eines jeden Mannes
von Ehre unvereinbar scheint, einem Orte sich aufdrängen zu wollen,
in welchem man ihm das Gastrecht aufkündet. Wohl aber habe ich eine
Reklamation an das Ministerium des Innern vorbereitet und einerseits
die Revision meiner Acten, andererseits eine Abschrift der mich betreffen¬
den Maßregel beantragt, um nöthigen Falles an die Gerechtigkeit des
Monarchen selbst zu appelliren.


I. Kuranda.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/519>, abgerufen am 04.07.2024.