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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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diesem Fehler noch ein anderer. Die ganze Machination gegen Struensee
wird theils aus gemeinen, theils aus unwahrscheinlichen Gründen zu¬
sammengesetzt, die Königin Juliane (historisch) aus Herrschsucht und
Rachelust, Oberst Koller wegen einer unglaublichen Rache ob eines vor
Jahren verstorbenen Mädchens. Laube ist dieser Klippe ausgewichen.
Er macht den Dänen Guldberg zum Hauptträger des Hasses gegen
Struensee, weil dieser ein Deutscher ist, und die Aemter mit Deutschen
besetzt, die Edicte in deutscher Sprache ausfertigen laßt und das dänische
Element unterdrücken will. Dies ist allerdings ein Element, dessen Be¬
wußtsein bei dem Schriftsteller erst die neueste Zeit zur Reife bringen
konnte, und das im I. !828, zur Zeit, wo Michael Beer seinen Struensee
schrieb, noch nicht so handgreiflich sich vordrängte. Nichtsdestoweniger
ist die erste Hälfte der Michael Beer'schen Dichtung voll Interesse und
Schwung und das Ganze hat seine samische ErwecLung wohl verdient.
Was jedoch der Vorstellung nicht geringen Abbruch that,'das war grade
die herrliche und großartige Musik des brüderlichen Tondichters. Zuerst
die Ouvertüre, die an eine Viertelstunde dauert und alle Aufmerksam¬
keit, alles Interesse in Anspruch nimmt. Kaum verhallt diese, so hebt
sich der Vorhang und der Zuhörer, der noch den letzten Klängen nach-!
hangen möchte, muß seine Seelenthätigkeit in ein ganz anderes Gebiet
versetzen. Dieser erste Act dauert ungefähr drei Viertel Stunden. Der
Vorhang fällt endlich, man will ausathmen, den Scenenwechsel im Geiste
überschauen, ordnen, nachgenießen und ausruhen, aber die Musik ist be¬
reits eingetreten und nimmt die Aufmerksamkeit zu neuer Thätigkeit in
Anspruch. Und so geht es Act um Act. Musik und Drama reichen sich
im Reigen die Hände ohne Zwischenraum und Ruhepunkt, spannen so
die Seele durch 3^- Stunden zu einer in diesem Gebiete ungewohnten
Arbeit, bis man zuletzt ermüdet eins und das Andere nicht zu genießen
stark genug ist. Zudem sind einige Scenen melodramatisch behandelt und
da es grade die lyrisch ergreifendsten der Dichtung sind, so tritt der üble
Umstand ein, daß der Zuschauer, den die Scenen ohne Musikbegleitung
sicher ergreifen würden, durch die Musik, auf die er auch hinhorchen will,
von dem Ergriffensein abgezogen wird. Halb Auge, halb Ohr, ist er
Leims ganz. So thut der Componist dem Dichter Abbruch, grabe weil
er so bedeutend ist, daß jeder verlorene Ton eine verlorene Perle ist.
Nicht minder schadet aber der Dichter dem Componisten, dessen gro߬
artige Tondichtung als selbstständiges Werk von einer viel größern Wir¬
kung und Sieghaftigkeit sein würde. Zwei Brüder, die liebend hier
einander unterstützen, treten somit nichtsdestoweniger feindlich einander in
I. K. den Weg. >


diesem Fehler noch ein anderer. Die ganze Machination gegen Struensee
wird theils aus gemeinen, theils aus unwahrscheinlichen Gründen zu¬
sammengesetzt, die Königin Juliane (historisch) aus Herrschsucht und
Rachelust, Oberst Koller wegen einer unglaublichen Rache ob eines vor
Jahren verstorbenen Mädchens. Laube ist dieser Klippe ausgewichen.
Er macht den Dänen Guldberg zum Hauptträger des Hasses gegen
Struensee, weil dieser ein Deutscher ist, und die Aemter mit Deutschen
besetzt, die Edicte in deutscher Sprache ausfertigen laßt und das dänische
Element unterdrücken will. Dies ist allerdings ein Element, dessen Be¬
wußtsein bei dem Schriftsteller erst die neueste Zeit zur Reife bringen
konnte, und das im I. !828, zur Zeit, wo Michael Beer seinen Struensee
schrieb, noch nicht so handgreiflich sich vordrängte. Nichtsdestoweniger
ist die erste Hälfte der Michael Beer'schen Dichtung voll Interesse und
Schwung und das Ganze hat seine samische ErwecLung wohl verdient.
Was jedoch der Vorstellung nicht geringen Abbruch that,'das war grade
die herrliche und großartige Musik des brüderlichen Tondichters. Zuerst
die Ouvertüre, die an eine Viertelstunde dauert und alle Aufmerksam¬
keit, alles Interesse in Anspruch nimmt. Kaum verhallt diese, so hebt
sich der Vorhang und der Zuhörer, der noch den letzten Klängen nach-!
hangen möchte, muß seine Seelenthätigkeit in ein ganz anderes Gebiet
versetzen. Dieser erste Act dauert ungefähr drei Viertel Stunden. Der
Vorhang fällt endlich, man will ausathmen, den Scenenwechsel im Geiste
überschauen, ordnen, nachgenießen und ausruhen, aber die Musik ist be¬
reits eingetreten und nimmt die Aufmerksamkeit zu neuer Thätigkeit in
Anspruch. Und so geht es Act um Act. Musik und Drama reichen sich
im Reigen die Hände ohne Zwischenraum und Ruhepunkt, spannen so
die Seele durch 3^- Stunden zu einer in diesem Gebiete ungewohnten
Arbeit, bis man zuletzt ermüdet eins und das Andere nicht zu genießen
stark genug ist. Zudem sind einige Scenen melodramatisch behandelt und
da es grade die lyrisch ergreifendsten der Dichtung sind, so tritt der üble
Umstand ein, daß der Zuschauer, den die Scenen ohne Musikbegleitung
sicher ergreifen würden, durch die Musik, auf die er auch hinhorchen will,
von dem Ergriffensein abgezogen wird. Halb Auge, halb Ohr, ist er
Leims ganz. So thut der Componist dem Dichter Abbruch, grabe weil
er so bedeutend ist, daß jeder verlorene Ton eine verlorene Perle ist.
Nicht minder schadet aber der Dichter dem Componisten, dessen gro߬
artige Tondichtung als selbstständiges Werk von einer viel größern Wir¬
kung und Sieghaftigkeit sein würde. Zwei Brüder, die liebend hier
einander unterstützen, treten somit nichtsdestoweniger feindlich einander in
I. K. den Weg. >


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[0514] diesem Fehler noch ein anderer. Die ganze Machination gegen Struensee wird theils aus gemeinen, theils aus unwahrscheinlichen Gründen zu¬ sammengesetzt, die Königin Juliane (historisch) aus Herrschsucht und Rachelust, Oberst Koller wegen einer unglaublichen Rache ob eines vor Jahren verstorbenen Mädchens. Laube ist dieser Klippe ausgewichen. Er macht den Dänen Guldberg zum Hauptträger des Hasses gegen Struensee, weil dieser ein Deutscher ist, und die Aemter mit Deutschen besetzt, die Edicte in deutscher Sprache ausfertigen laßt und das dänische Element unterdrücken will. Dies ist allerdings ein Element, dessen Be¬ wußtsein bei dem Schriftsteller erst die neueste Zeit zur Reife bringen konnte, und das im I. !828, zur Zeit, wo Michael Beer seinen Struensee schrieb, noch nicht so handgreiflich sich vordrängte. Nichtsdestoweniger ist die erste Hälfte der Michael Beer'schen Dichtung voll Interesse und Schwung und das Ganze hat seine samische ErwecLung wohl verdient. Was jedoch der Vorstellung nicht geringen Abbruch that,'das war grade die herrliche und großartige Musik des brüderlichen Tondichters. Zuerst die Ouvertüre, die an eine Viertelstunde dauert und alle Aufmerksam¬ keit, alles Interesse in Anspruch nimmt. Kaum verhallt diese, so hebt sich der Vorhang und der Zuhörer, der noch den letzten Klängen nach-! hangen möchte, muß seine Seelenthätigkeit in ein ganz anderes Gebiet versetzen. Dieser erste Act dauert ungefähr drei Viertel Stunden. Der Vorhang fällt endlich, man will ausathmen, den Scenenwechsel im Geiste überschauen, ordnen, nachgenießen und ausruhen, aber die Musik ist be¬ reits eingetreten und nimmt die Aufmerksamkeit zu neuer Thätigkeit in Anspruch. Und so geht es Act um Act. Musik und Drama reichen sich im Reigen die Hände ohne Zwischenraum und Ruhepunkt, spannen so die Seele durch 3^- Stunden zu einer in diesem Gebiete ungewohnten Arbeit, bis man zuletzt ermüdet eins und das Andere nicht zu genießen stark genug ist. Zudem sind einige Scenen melodramatisch behandelt und da es grade die lyrisch ergreifendsten der Dichtung sind, so tritt der üble Umstand ein, daß der Zuschauer, den die Scenen ohne Musikbegleitung sicher ergreifen würden, durch die Musik, auf die er auch hinhorchen will, von dem Ergriffensein abgezogen wird. Halb Auge, halb Ohr, ist er Leims ganz. So thut der Componist dem Dichter Abbruch, grabe weil er so bedeutend ist, daß jeder verlorene Ton eine verlorene Perle ist. Nicht minder schadet aber der Dichter dem Componisten, dessen gro߬ artige Tondichtung als selbstständiges Werk von einer viel größern Wir¬ kung und Sieghaftigkeit sein würde. Zwei Brüder, die liebend hier einander unterstützen, treten somit nichtsdestoweniger feindlich einander in I. K. den Weg. >

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/514>, abgerufen am 04.07.2024.