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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Ferne zeige,,, der düstere Herbsthimmel -- Alles ist trefflich und führt
seine eigne Sprache, zur Haupthandlung einstimmend; hier ist überall
Vernet, dessen Poesie wie ein flüssiges Feuer an allen Gegenständen,
todten oder lebenden, hinläuft und sie mitzuspielen zwingt. Nichts
ist convemionell, nichts ermattet, nichts zum Ueberfluß und nur um
Leinwand zu bemalen hingestellt; noch unter dem Rahmen glaubt
man, geht das Bild fort. Diese allzuspringende Einbildungskraft
geht, wie es nicht anders sein kann, hier und da in's Fratzenhafte
über, sie berechnet ihre Mittel nicht und gibt, aus Furcht irgend ei¬
nen individuellen und charakteristischen Zug wegzulassen, Alles hin, was
sie gesammelt hat, und darunter ist denn auch das Ekelhafte, Wid¬
rige, Rohe. Sie schüttet Alles aus. Wie in der Poesie unter Victor
Hugo, so ist in der Malerei bei den Romantikern oft das "Häßliche
das Schöne." Es wäre für Vernet vielleicht nicht schwer gewesen
ein junges schönes Mädchen zu malen, das auf dem Schlachtfelds
ihren Geliebten sucht; aber bewahre! wo bliebe der Charakter, Ge¬
schichte? Die Prinzessin heißt col cle c)^n"z, sie muß also einen langen
Hals haben, gut; aber nun muß sie auch noch rothes Haar haben,
um ihre sächsische Abkunft anzuzeigen -- mit diesem rothen Haar und
diesem langen Hals wird sie nun eine häßliche Person, doch nicht ge¬
nug, diese häßliche Person muß, um den Moment darzustellen, das
Aeußerste an Leidenschaft zeigen. Es ist da kein Rettungsmittel: sie
muß weit aufgerissene, roth unterlaufene, starr auf den Gegenstand
des Schreckens gerichtete Augen haben, sträubendes Haar, in den
Winkeln niedergerissener Mund, einen weit ausschreitenden fliehenden
Gang -- Alles hat sie: nun ist sie vollendet. Bei jedem andern
Maler, der nicht den Muth und die poetische Keckheit Vernet's hat,
würde die Aufgabe total mißglückt sein; mit Studium, hin und her
denken, hin und herstellen der Figuren, heute so, morgen wieder an¬
ders machen ist hierbei nichts auszurichten, der Art Bilder müssen "ge¬
wagt" werden, wie der Mime auf dem Theater eine unschöne Ge¬
berde wagt, einen schreienden Laut, um der Wirkung die Spitze auf¬
zusetzen. Doch die Geberde vergeht, der Laut verhallt -- das Bild
bleibt; darum möchten denn auch die Romantiker wie in der Poesie
so in der Malerei Unrecht haben. Nicht wo die Natur wahr, sondern
auch da wo sie zugleich schön ist, soll sie der Kunst zum Model dienen.

Ein Amor von P. Mila. Mittlere Größe. Amor, als Knabe
sitzend dargestellt in einer Landschaft. Er stützt den linken Arm auf
das Felsstück, auf dem er sitzt, jn der rechten Hand, hoch gehoben


Ferne zeige,,, der düstere Herbsthimmel — Alles ist trefflich und führt
seine eigne Sprache, zur Haupthandlung einstimmend; hier ist überall
Vernet, dessen Poesie wie ein flüssiges Feuer an allen Gegenständen,
todten oder lebenden, hinläuft und sie mitzuspielen zwingt. Nichts
ist convemionell, nichts ermattet, nichts zum Ueberfluß und nur um
Leinwand zu bemalen hingestellt; noch unter dem Rahmen glaubt
man, geht das Bild fort. Diese allzuspringende Einbildungskraft
geht, wie es nicht anders sein kann, hier und da in's Fratzenhafte
über, sie berechnet ihre Mittel nicht und gibt, aus Furcht irgend ei¬
nen individuellen und charakteristischen Zug wegzulassen, Alles hin, was
sie gesammelt hat, und darunter ist denn auch das Ekelhafte, Wid¬
rige, Rohe. Sie schüttet Alles aus. Wie in der Poesie unter Victor
Hugo, so ist in der Malerei bei den Romantikern oft das „Häßliche
das Schöne." Es wäre für Vernet vielleicht nicht schwer gewesen
ein junges schönes Mädchen zu malen, das auf dem Schlachtfelds
ihren Geliebten sucht; aber bewahre! wo bliebe der Charakter, Ge¬
schichte? Die Prinzessin heißt col cle c)^n«z, sie muß also einen langen
Hals haben, gut; aber nun muß sie auch noch rothes Haar haben,
um ihre sächsische Abkunft anzuzeigen — mit diesem rothen Haar und
diesem langen Hals wird sie nun eine häßliche Person, doch nicht ge¬
nug, diese häßliche Person muß, um den Moment darzustellen, das
Aeußerste an Leidenschaft zeigen. Es ist da kein Rettungsmittel: sie
muß weit aufgerissene, roth unterlaufene, starr auf den Gegenstand
des Schreckens gerichtete Augen haben, sträubendes Haar, in den
Winkeln niedergerissener Mund, einen weit ausschreitenden fliehenden
Gang — Alles hat sie: nun ist sie vollendet. Bei jedem andern
Maler, der nicht den Muth und die poetische Keckheit Vernet's hat,
würde die Aufgabe total mißglückt sein; mit Studium, hin und her
denken, hin und herstellen der Figuren, heute so, morgen wieder an¬
ders machen ist hierbei nichts auszurichten, der Art Bilder müssen „ge¬
wagt" werden, wie der Mime auf dem Theater eine unschöne Ge¬
berde wagt, einen schreienden Laut, um der Wirkung die Spitze auf¬
zusetzen. Doch die Geberde vergeht, der Laut verhallt — das Bild
bleibt; darum möchten denn auch die Romantiker wie in der Poesie
so in der Malerei Unrecht haben. Nicht wo die Natur wahr, sondern
auch da wo sie zugleich schön ist, soll sie der Kunst zum Model dienen.

Ein Amor von P. Mila. Mittlere Größe. Amor, als Knabe
sitzend dargestellt in einer Landschaft. Er stützt den linken Arm auf
das Felsstück, auf dem er sitzt, jn der rechten Hand, hoch gehoben


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[0506] Ferne zeige,,, der düstere Herbsthimmel — Alles ist trefflich und führt seine eigne Sprache, zur Haupthandlung einstimmend; hier ist überall Vernet, dessen Poesie wie ein flüssiges Feuer an allen Gegenständen, todten oder lebenden, hinläuft und sie mitzuspielen zwingt. Nichts ist convemionell, nichts ermattet, nichts zum Ueberfluß und nur um Leinwand zu bemalen hingestellt; noch unter dem Rahmen glaubt man, geht das Bild fort. Diese allzuspringende Einbildungskraft geht, wie es nicht anders sein kann, hier und da in's Fratzenhafte über, sie berechnet ihre Mittel nicht und gibt, aus Furcht irgend ei¬ nen individuellen und charakteristischen Zug wegzulassen, Alles hin, was sie gesammelt hat, und darunter ist denn auch das Ekelhafte, Wid¬ rige, Rohe. Sie schüttet Alles aus. Wie in der Poesie unter Victor Hugo, so ist in der Malerei bei den Romantikern oft das „Häßliche das Schöne." Es wäre für Vernet vielleicht nicht schwer gewesen ein junges schönes Mädchen zu malen, das auf dem Schlachtfelds ihren Geliebten sucht; aber bewahre! wo bliebe der Charakter, Ge¬ schichte? Die Prinzessin heißt col cle c)^n«z, sie muß also einen langen Hals haben, gut; aber nun muß sie auch noch rothes Haar haben, um ihre sächsische Abkunft anzuzeigen — mit diesem rothen Haar und diesem langen Hals wird sie nun eine häßliche Person, doch nicht ge¬ nug, diese häßliche Person muß, um den Moment darzustellen, das Aeußerste an Leidenschaft zeigen. Es ist da kein Rettungsmittel: sie muß weit aufgerissene, roth unterlaufene, starr auf den Gegenstand des Schreckens gerichtete Augen haben, sträubendes Haar, in den Winkeln niedergerissener Mund, einen weit ausschreitenden fliehenden Gang — Alles hat sie: nun ist sie vollendet. Bei jedem andern Maler, der nicht den Muth und die poetische Keckheit Vernet's hat, würde die Aufgabe total mißglückt sein; mit Studium, hin und her denken, hin und herstellen der Figuren, heute so, morgen wieder an¬ ders machen ist hierbei nichts auszurichten, der Art Bilder müssen „ge¬ wagt" werden, wie der Mime auf dem Theater eine unschöne Ge¬ berde wagt, einen schreienden Laut, um der Wirkung die Spitze auf¬ zusetzen. Doch die Geberde vergeht, der Laut verhallt — das Bild bleibt; darum möchten denn auch die Romantiker wie in der Poesie so in der Malerei Unrecht haben. Nicht wo die Natur wahr, sondern auch da wo sie zugleich schön ist, soll sie der Kunst zum Model dienen. Ein Amor von P. Mila. Mittlere Größe. Amor, als Knabe sitzend dargestellt in einer Landschaft. Er stützt den linken Arm auf das Felsstück, auf dem er sitzt, jn der rechten Hand, hoch gehoben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/506>, abgerufen am 24.07.2024.