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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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livrer nunmehr wenden. Zwölf Jahre liegen zwischen ihrem Entstehen
und dem heutigen Urtheil, die Leidenschaften und die Tagestendenzen
haben eine andere Richtung erhalten. Was nun von Wirkung sich zeigt,
gehört rein dem Talente, und wir glauben, Laube wird bei dem gegen¬
wärtigen Maßstabe nur gewinnen. Die Elasticität seiner Phantasie und
die Frische seiner Darstellung sind kein gewöhnliches Eigenthum deutscher
Roman- und Novellendichter; das ruhige Licht der Unbefangenheit wird
der Beurtheilung zuträglicher sein, als die flackernde Beleuchtung der
dreißiger Jahre. Die Revision dieser frühern Produktionen scheinen üb¬
rigens Laube noch immer Zeit zu einer neuen dramatischen Arbeit gelas¬
sen zu haben. Er las diese Woche in einem kleinen Kreis von Freunden
ein neues Stück vor, welches bereits im October an die deutschen Büh¬
nen versendet werden soll. Das Stück führt provisorisch den Titel
"Schwabenstreiche"; es soll jedoch umgetauft werden und einen andern
Namen erhalten. Für den Winter würden somit die deutschen Bühnen
neue Stücke von Gutzkow, von Bauernfeld, von Laube, von Prutz und
Hebbel bringen. Der schlesischs Lyriker Gustav Freitag hat gleichfalls
ein Drama an die Bühnen versendet: "die Valentine^, dem wir, da wir
das Manuscript gelesen, aus voller Ueberzeugung einen glücklichen Büh¬
nenerfolg prophezeien.


IV
Notizen.

Die gestohlene Cassctie i" Eöln. -- Die polnischen Verschwörer. -- Politi¬
sches Butterbrod.

Wir Deutschen sind nun einmal kein Lustspielvolk und der komischste
Stoff verwandelt sich unter unsern Handen in ein ernstes Schicksal- und
Tendenzdrama. Da haben zwei junge Leute aus den angesehensten Fa¬
milien Berlins das Gelüste gehabt, Kotzebue und Scribe ein Mal in
Action zu setzen und einen jener intriguanten Liebeshandel, die aus dein
Französischen übersetzt die Deliccn unserer Theaterabende bilden, ein Mal
im Leben durchzuspielen. Aber die Gasthöfe in Eöln sind keine Trianons,
ein preußischer Assessor ist kein Duc de Richelieu und unsere Doctores
Medecinä sind keine Musquetiere der Königin. Ungewohnt, der leichtfer¬
tigen Rou<;thaten, erwischte die schwerfällige Hand des deutschen Amoroso
eine Geldcassete statt einer Briefchatoulle und wie beim Lampenschimmer
der Comödie stets ein hilfreicher Zufall als "Je-ut <sx "ur^Iiinit erscheint,
so erschien hier die unpoetische Polizei und nahm den ungeschickten
Nouv beim Kragen, wie einen gemeinen Dieb. Dies wäre zwar noch
immer completter Lustspielstoff, wenn hier der zweite oder dritte Act en¬
dete und der vierte dann Alles in's Gleiche brachte; aber dieser vierte
Act wird vor den Assissen spielen und die Schlußscene kann leicht eine
Verurtheilung auf drei Jahre Criminalstrafe sein, denn wir Deutschen
sind ein gründliches Volk und Jugendstreiche viel edlerer Natur sind oft


livrer nunmehr wenden. Zwölf Jahre liegen zwischen ihrem Entstehen
und dem heutigen Urtheil, die Leidenschaften und die Tagestendenzen
haben eine andere Richtung erhalten. Was nun von Wirkung sich zeigt,
gehört rein dem Talente, und wir glauben, Laube wird bei dem gegen¬
wärtigen Maßstabe nur gewinnen. Die Elasticität seiner Phantasie und
die Frische seiner Darstellung sind kein gewöhnliches Eigenthum deutscher
Roman- und Novellendichter; das ruhige Licht der Unbefangenheit wird
der Beurtheilung zuträglicher sein, als die flackernde Beleuchtung der
dreißiger Jahre. Die Revision dieser frühern Produktionen scheinen üb¬
rigens Laube noch immer Zeit zu einer neuen dramatischen Arbeit gelas¬
sen zu haben. Er las diese Woche in einem kleinen Kreis von Freunden
ein neues Stück vor, welches bereits im October an die deutschen Büh¬
nen versendet werden soll. Das Stück führt provisorisch den Titel
„Schwabenstreiche"; es soll jedoch umgetauft werden und einen andern
Namen erhalten. Für den Winter würden somit die deutschen Bühnen
neue Stücke von Gutzkow, von Bauernfeld, von Laube, von Prutz und
Hebbel bringen. Der schlesischs Lyriker Gustav Freitag hat gleichfalls
ein Drama an die Bühnen versendet: „die Valentine^, dem wir, da wir
das Manuscript gelesen, aus voller Ueberzeugung einen glücklichen Büh¬
nenerfolg prophezeien.


IV
Notizen.

Die gestohlene Cassctie i» Eöln. — Die polnischen Verschwörer. — Politi¬
sches Butterbrod.

Wir Deutschen sind nun einmal kein Lustspielvolk und der komischste
Stoff verwandelt sich unter unsern Handen in ein ernstes Schicksal- und
Tendenzdrama. Da haben zwei junge Leute aus den angesehensten Fa¬
milien Berlins das Gelüste gehabt, Kotzebue und Scribe ein Mal in
Action zu setzen und einen jener intriguanten Liebeshandel, die aus dein
Französischen übersetzt die Deliccn unserer Theaterabende bilden, ein Mal
im Leben durchzuspielen. Aber die Gasthöfe in Eöln sind keine Trianons,
ein preußischer Assessor ist kein Duc de Richelieu und unsere Doctores
Medecinä sind keine Musquetiere der Königin. Ungewohnt, der leichtfer¬
tigen Rou<;thaten, erwischte die schwerfällige Hand des deutschen Amoroso
eine Geldcassete statt einer Briefchatoulle und wie beim Lampenschimmer
der Comödie stets ein hilfreicher Zufall als «Je-ut <sx »ur^Iiinit erscheint,
so erschien hier die unpoetische Polizei und nahm den ungeschickten
Nouv beim Kragen, wie einen gemeinen Dieb. Dies wäre zwar noch
immer completter Lustspielstoff, wenn hier der zweite oder dritte Act en¬
dete und der vierte dann Alles in's Gleiche brachte; aber dieser vierte
Act wird vor den Assissen spielen und die Schlußscene kann leicht eine
Verurtheilung auf drei Jahre Criminalstrafe sein, denn wir Deutschen
sind ein gründliches Volk und Jugendstreiche viel edlerer Natur sind oft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/478>, abgerufen am 24.07.2024.