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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Westphnlifche Zustände



Zweite Abtheilung.

In unserem ersten Artikel hatten wir das Münsterland geschildert und
uns am Schlüsse desselben verleiten lassen, der Elberfelder Zeitung zu ge¬
denken. Die Erwähnung dieser Zeitung veranlaßt uns, einige Worte über
Elberfeld selbst hinzuzufügen. Diese Stadt gehört nicht mehr zu Westpha-
len, sondern erfreut sich rheinischer Privilegien; aber hart ander Grenze
gelegen, steht sie mit den Fabrikgegenden unserer Provinz in lebhafter
Wechselwirkung, daß die Schilderung ihrer Zustände bei einer Besprechung
Westphalens nicht vermißt werden darf. Das Großherzogthum Berg
schließt sich, was die Natur, wie die Bevölkerung anbetrifft, inniger
an die Grafschaft Mark, wie an das cölnische Land an; schon die Re¬
ligion reißt es von der katholischen Rheinprovinz ab; die Industrie
Elberfeld's setzt sich auf der Enneper Straße fort und weist also nach
Westphalen und nicht nach dem Westen hin. Dieses ungeheure Fa¬
brikthal, voll rauchender Essen und kasernenartiger Gebäude, durch das
die Wupper wegen der vielen Färbereien in allen Farben des Regen¬
bogens einherfließt, besteht aus fünf Städten, die unmittelbar an ein¬
ander liegen, so daß nur die Tradition und die Verwaltung sie als
verschiedene Ortschaften betrachten. Großer Reichthum nebst namen¬
loser Armuth, viel Frömmigkeit und noch mehr Betrügerei, Pietismus
und Trucksystem leben friedlich in dieser Stadt zusammen, wo der
"Gesellschaftsspiegel" erscheint und Herr Krummacher predigt. Zwi¬
schen diesen beiden Extremen sucht man vergebens die Mitte, einen li¬
beralen Constitutionalismus, zu dem doch Elberfeld wegen seiner rhei-


Westphnlifche Zustände



Zweite Abtheilung.

In unserem ersten Artikel hatten wir das Münsterland geschildert und
uns am Schlüsse desselben verleiten lassen, der Elberfelder Zeitung zu ge¬
denken. Die Erwähnung dieser Zeitung veranlaßt uns, einige Worte über
Elberfeld selbst hinzuzufügen. Diese Stadt gehört nicht mehr zu Westpha-
len, sondern erfreut sich rheinischer Privilegien; aber hart ander Grenze
gelegen, steht sie mit den Fabrikgegenden unserer Provinz in lebhafter
Wechselwirkung, daß die Schilderung ihrer Zustände bei einer Besprechung
Westphalens nicht vermißt werden darf. Das Großherzogthum Berg
schließt sich, was die Natur, wie die Bevölkerung anbetrifft, inniger
an die Grafschaft Mark, wie an das cölnische Land an; schon die Re¬
ligion reißt es von der katholischen Rheinprovinz ab; die Industrie
Elberfeld's setzt sich auf der Enneper Straße fort und weist also nach
Westphalen und nicht nach dem Westen hin. Dieses ungeheure Fa¬
brikthal, voll rauchender Essen und kasernenartiger Gebäude, durch das
die Wupper wegen der vielen Färbereien in allen Farben des Regen¬
bogens einherfließt, besteht aus fünf Städten, die unmittelbar an ein¬
ander liegen, so daß nur die Tradition und die Verwaltung sie als
verschiedene Ortschaften betrachten. Großer Reichthum nebst namen¬
loser Armuth, viel Frömmigkeit und noch mehr Betrügerei, Pietismus
und Trucksystem leben friedlich in dieser Stadt zusammen, wo der
„Gesellschaftsspiegel" erscheint und Herr Krummacher predigt. Zwi¬
schen diesen beiden Extremen sucht man vergebens die Mitte, einen li¬
beralen Constitutionalismus, zu dem doch Elberfeld wegen seiner rhei-


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[0462] Westphnlifche Zustände Zweite Abtheilung. In unserem ersten Artikel hatten wir das Münsterland geschildert und uns am Schlüsse desselben verleiten lassen, der Elberfelder Zeitung zu ge¬ denken. Die Erwähnung dieser Zeitung veranlaßt uns, einige Worte über Elberfeld selbst hinzuzufügen. Diese Stadt gehört nicht mehr zu Westpha- len, sondern erfreut sich rheinischer Privilegien; aber hart ander Grenze gelegen, steht sie mit den Fabrikgegenden unserer Provinz in lebhafter Wechselwirkung, daß die Schilderung ihrer Zustände bei einer Besprechung Westphalens nicht vermißt werden darf. Das Großherzogthum Berg schließt sich, was die Natur, wie die Bevölkerung anbetrifft, inniger an die Grafschaft Mark, wie an das cölnische Land an; schon die Re¬ ligion reißt es von der katholischen Rheinprovinz ab; die Industrie Elberfeld's setzt sich auf der Enneper Straße fort und weist also nach Westphalen und nicht nach dem Westen hin. Dieses ungeheure Fa¬ brikthal, voll rauchender Essen und kasernenartiger Gebäude, durch das die Wupper wegen der vielen Färbereien in allen Farben des Regen¬ bogens einherfließt, besteht aus fünf Städten, die unmittelbar an ein¬ ander liegen, so daß nur die Tradition und die Verwaltung sie als verschiedene Ortschaften betrachten. Großer Reichthum nebst namen¬ loser Armuth, viel Frömmigkeit und noch mehr Betrügerei, Pietismus und Trucksystem leben friedlich in dieser Stadt zusammen, wo der „Gesellschaftsspiegel" erscheint und Herr Krummacher predigt. Zwi¬ schen diesen beiden Extremen sucht man vergebens die Mitte, einen li¬ beralen Constitutionalismus, zu dem doch Elberfeld wegen seiner rhei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/462>, abgerufen am 24.07.2024.