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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Manuskript auf, um seinen gierigen und triumphirenden Blick daran
zu weiden. "Welch' glänzender Styl, welcher Humor!" rief er fast
nach jeder Scene aus; "das sind ganz neue Situationen, von mäch¬
tigem Interesse! Und wie die Intrigue sich fortspinnt, verwickelt und
ohne Anstrengung sich lost! ... Kann man sich einen lebhaftem Dialog,
feinere und reizendere Wendungen denken? Aber was schreibt mir
denn da dieser Scribe? Der Titel sei ungenügend? Aber er ist ja
ganz vortrefflich und dabei höchst pikant, er wird auf den Theater¬
zetteln vortrefflich figuriren. Es ist ein entschiedenes Meisterwerk) das
wirft zweihundert tausend Franken für das Theater ab . . . Rasch
an's Werk! in drei Wochen muß das Stück aufgeführt werden."

Und drei Wochen darauf lud eine pomphafte Reclame, die in allen
Journalen gleichzeitig erschien, das Pariser Publicum zu der ersten Vor¬
stellung eines neuen Meisterstücks von dein geistreichen und fruchtbaren
Scribe ein. An demselben Tage erschien ein Thealerdimer in Bayard's
Wohnung und stellte ihm ein Manuscript zurück, nebst einem Billet
von dem Director, ein Billet, dessen Inhalt in Kurzem der war, daß
"die Mangelhaftigkeit des Stoffes und die Schwäche der Ausfüh¬
rung die Annahme dieses Werks unmöglich machten".

Scribe, den eine wichtige Angelegenheit nach Paris zurückrief,
kam am Abend der neuen Vorstellung grade in dein Momente an,
als die Menge sich in's Theater drängte. Da es zu spät war, um
die Reisekleider abzuwerfen, so kam ihm die Lust an, der Aufführung
incuAnito beizuwohnen; er verdankte der Erkenntlichkeit der Admini¬
stration den lebenslänglichen Genuß einer Loge und ließ sich diese von
der Logenschließerin öffnen. In demselben Augenblicke stürzte ein jun¬
ger Mensch durch die Gänge und bemühte sich vergebens, bei sämmt¬
lichen Logenschließerinnen einen Platz zu erhalten. -- "Es ist empörend",
rief er; "ich sehe eine Menge von Leuten, die mit Freibillets kommen
und sich in aller Bequemlichkeit hinsetzen, und ich, der ich mein Billet
bezahlt habe, sott in einer Ecke stehen müssen hinter fünf oder sechs
Personen, die in derselben Lage sind! es liegt mir viel daran, gut z"
sehen und zu hören. Gebt mir einen Platz im dritten Rang, mag er
auch noch so klein sein, ich will ihn mit fünfzig Franken bezahlen,
wenn es gefordert wird". -- "Teufel", dachte Scribe, "Freund oder
Feind, das ist ein zu leidenschaftlicher Zuschauer, als daß ich nicht die
Gelegenheit ergreisen sollte, seinen Applaus zu genießen oder seine In¬
triguen zu überwachen/' Darauf wandte er sich an den jungen Mann


Manuskript auf, um seinen gierigen und triumphirenden Blick daran
zu weiden. „Welch' glänzender Styl, welcher Humor!" rief er fast
nach jeder Scene aus; „das sind ganz neue Situationen, von mäch¬
tigem Interesse! Und wie die Intrigue sich fortspinnt, verwickelt und
ohne Anstrengung sich lost! ... Kann man sich einen lebhaftem Dialog,
feinere und reizendere Wendungen denken? Aber was schreibt mir
denn da dieser Scribe? Der Titel sei ungenügend? Aber er ist ja
ganz vortrefflich und dabei höchst pikant, er wird auf den Theater¬
zetteln vortrefflich figuriren. Es ist ein entschiedenes Meisterwerk) das
wirft zweihundert tausend Franken für das Theater ab . . . Rasch
an's Werk! in drei Wochen muß das Stück aufgeführt werden."

Und drei Wochen darauf lud eine pomphafte Reclame, die in allen
Journalen gleichzeitig erschien, das Pariser Publicum zu der ersten Vor¬
stellung eines neuen Meisterstücks von dein geistreichen und fruchtbaren
Scribe ein. An demselben Tage erschien ein Thealerdimer in Bayard's
Wohnung und stellte ihm ein Manuscript zurück, nebst einem Billet
von dem Director, ein Billet, dessen Inhalt in Kurzem der war, daß
„die Mangelhaftigkeit des Stoffes und die Schwäche der Ausfüh¬
rung die Annahme dieses Werks unmöglich machten".

Scribe, den eine wichtige Angelegenheit nach Paris zurückrief,
kam am Abend der neuen Vorstellung grade in dein Momente an,
als die Menge sich in's Theater drängte. Da es zu spät war, um
die Reisekleider abzuwerfen, so kam ihm die Lust an, der Aufführung
incuAnito beizuwohnen; er verdankte der Erkenntlichkeit der Admini¬
stration den lebenslänglichen Genuß einer Loge und ließ sich diese von
der Logenschließerin öffnen. In demselben Augenblicke stürzte ein jun¬
ger Mensch durch die Gänge und bemühte sich vergebens, bei sämmt¬
lichen Logenschließerinnen einen Platz zu erhalten. — „Es ist empörend",
rief er; „ich sehe eine Menge von Leuten, die mit Freibillets kommen
und sich in aller Bequemlichkeit hinsetzen, und ich, der ich mein Billet
bezahlt habe, sott in einer Ecke stehen müssen hinter fünf oder sechs
Personen, die in derselben Lage sind! es liegt mir viel daran, gut z«
sehen und zu hören. Gebt mir einen Platz im dritten Rang, mag er
auch noch so klein sein, ich will ihn mit fünfzig Franken bezahlen,
wenn es gefordert wird". — „Teufel", dachte Scribe, „Freund oder
Feind, das ist ein zu leidenschaftlicher Zuschauer, als daß ich nicht die
Gelegenheit ergreisen sollte, seinen Applaus zu genießen oder seine In¬
triguen zu überwachen/' Darauf wandte er sich an den jungen Mann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/430>, abgerufen am 24.07.2024.