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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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den äußeren Gängen verschwunden und Bayard horte nichts mehr.
"Welch ein glücklicher Sterblicher ist dieser Scribe!" dachte unser junge
Autor, indem er einen traurigen Blick auf die Papierrolle warf, die er
in der Hand hielt) "man nimmt sich nicht einmal die Mühe, seine Werke
zu lesen) es steht im Voraus fest, daß es Meisterstücke sind. Zwar nimmt
man sich ebenso wenig Mühe, die meinigen zu lesen, aber der Unter,
schied ihres beiderseitigen Schicksals ist sehr groß. Es ist eine empö¬
rende Ungerechtigkeit."

Indem Bayard den Blick in das Innere des Cabinets warf,
fühlte er seinen Zorn sich verdoppeln, als er auf dem Bureau des Di¬
rektors ein noch zusammengerolltes Manuskript bemerkte. "Da ist es"
fuhr er erbittert fort, "dieses so warm aufgenommene Meisterstück!
Wenn ich es gebracht hätte, ich armer Unbekannter, würde man keine
Formel für zu demüthigend halten, um eS mir zurückzuschicken, während
mein Stück, wenn es an der Stelle dieses Glückskindes läge, von dein
Director mit Enthusiasmus gelesen, von den Schauspielern mit Eifer
auswendig gelernt und von dem Publicum mit Beifall aufgenommen
würde. Ach, wenn eine solche Unterschiebung möglich wäre! und warum
sollte sie es nicht sein? wer hindert mich...ich bin allein ... Niemand
sieht mich, ich habe nichts zu fürchten. Kommt es einmal zur Erklä¬
rung, dann ist es der Director, der in einem Moment der Zerstreutheit
einen Mißgriff begangen ... Was das Scribe'sche betrifft, so wird
man es später geben, das ist Alles ... Kein Zaudern mehr! Meine
Lage ist verzweifelt; ich will ihr durch einen verzweifelten Streich ein
Ende machen!"

Bayard trat entschlossen in des Direktors Eabinet, legte sein
Manuscript auf das Schreibepult und steckte das von Scribe ein.
Dann kehrte er in das Vorzimmer zurück und erwartete daselbst die
Rückkehr des Direktors, dem er nun das Scribe'sche Stück als sein
eigenes Werk überreichte. Nach einer kurzen, mit kalten Höflichkeiten
ausgefüllten Audienz ging er davon, indem er seine Karte und Adresse
zurückließ.

Welcher Schmerz, aber auch Freude hätte er empfunden, wenn er
unsichtbar in einem Winkel des Directions-Cabinets der nun folgenden
Scene hätte beiwohnen können! Durch den Austausch der Manu¬
skripte getäuscht, legte der Director Bayard's Karte zuScribe's Ma¬
nuskript und warf beide verdrießlich in eine große Mappe, in das ge¬
meinschaftliche Grab der jungen Literatur. Nachdem er.diese erste
Pflicht erfüllt, rollte er rasch das auf dem Schreibepulte liegende


den äußeren Gängen verschwunden und Bayard horte nichts mehr.
„Welch ein glücklicher Sterblicher ist dieser Scribe!" dachte unser junge
Autor, indem er einen traurigen Blick auf die Papierrolle warf, die er
in der Hand hielt) „man nimmt sich nicht einmal die Mühe, seine Werke
zu lesen) es steht im Voraus fest, daß es Meisterstücke sind. Zwar nimmt
man sich ebenso wenig Mühe, die meinigen zu lesen, aber der Unter,
schied ihres beiderseitigen Schicksals ist sehr groß. Es ist eine empö¬
rende Ungerechtigkeit."

Indem Bayard den Blick in das Innere des Cabinets warf,
fühlte er seinen Zorn sich verdoppeln, als er auf dem Bureau des Di¬
rektors ein noch zusammengerolltes Manuskript bemerkte. „Da ist es"
fuhr er erbittert fort, „dieses so warm aufgenommene Meisterstück!
Wenn ich es gebracht hätte, ich armer Unbekannter, würde man keine
Formel für zu demüthigend halten, um eS mir zurückzuschicken, während
mein Stück, wenn es an der Stelle dieses Glückskindes läge, von dein
Director mit Enthusiasmus gelesen, von den Schauspielern mit Eifer
auswendig gelernt und von dem Publicum mit Beifall aufgenommen
würde. Ach, wenn eine solche Unterschiebung möglich wäre! und warum
sollte sie es nicht sein? wer hindert mich...ich bin allein ... Niemand
sieht mich, ich habe nichts zu fürchten. Kommt es einmal zur Erklä¬
rung, dann ist es der Director, der in einem Moment der Zerstreutheit
einen Mißgriff begangen ... Was das Scribe'sche betrifft, so wird
man es später geben, das ist Alles ... Kein Zaudern mehr! Meine
Lage ist verzweifelt; ich will ihr durch einen verzweifelten Streich ein
Ende machen!"

Bayard trat entschlossen in des Direktors Eabinet, legte sein
Manuscript auf das Schreibepult und steckte das von Scribe ein.
Dann kehrte er in das Vorzimmer zurück und erwartete daselbst die
Rückkehr des Direktors, dem er nun das Scribe'sche Stück als sein
eigenes Werk überreichte. Nach einer kurzen, mit kalten Höflichkeiten
ausgefüllten Audienz ging er davon, indem er seine Karte und Adresse
zurückließ.

Welcher Schmerz, aber auch Freude hätte er empfunden, wenn er
unsichtbar in einem Winkel des Directions-Cabinets der nun folgenden
Scene hätte beiwohnen können! Durch den Austausch der Manu¬
skripte getäuscht, legte der Director Bayard's Karte zuScribe's Ma¬
nuskript und warf beide verdrießlich in eine große Mappe, in das ge¬
meinschaftliche Grab der jungen Literatur. Nachdem er.diese erste
Pflicht erfüllt, rollte er rasch das auf dem Schreibepulte liegende


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[0429] den äußeren Gängen verschwunden und Bayard horte nichts mehr. „Welch ein glücklicher Sterblicher ist dieser Scribe!" dachte unser junge Autor, indem er einen traurigen Blick auf die Papierrolle warf, die er in der Hand hielt) „man nimmt sich nicht einmal die Mühe, seine Werke zu lesen) es steht im Voraus fest, daß es Meisterstücke sind. Zwar nimmt man sich ebenso wenig Mühe, die meinigen zu lesen, aber der Unter, schied ihres beiderseitigen Schicksals ist sehr groß. Es ist eine empö¬ rende Ungerechtigkeit." Indem Bayard den Blick in das Innere des Cabinets warf, fühlte er seinen Zorn sich verdoppeln, als er auf dem Bureau des Di¬ rektors ein noch zusammengerolltes Manuskript bemerkte. „Da ist es" fuhr er erbittert fort, „dieses so warm aufgenommene Meisterstück! Wenn ich es gebracht hätte, ich armer Unbekannter, würde man keine Formel für zu demüthigend halten, um eS mir zurückzuschicken, während mein Stück, wenn es an der Stelle dieses Glückskindes läge, von dein Director mit Enthusiasmus gelesen, von den Schauspielern mit Eifer auswendig gelernt und von dem Publicum mit Beifall aufgenommen würde. Ach, wenn eine solche Unterschiebung möglich wäre! und warum sollte sie es nicht sein? wer hindert mich...ich bin allein ... Niemand sieht mich, ich habe nichts zu fürchten. Kommt es einmal zur Erklä¬ rung, dann ist es der Director, der in einem Moment der Zerstreutheit einen Mißgriff begangen ... Was das Scribe'sche betrifft, so wird man es später geben, das ist Alles ... Kein Zaudern mehr! Meine Lage ist verzweifelt; ich will ihr durch einen verzweifelten Streich ein Ende machen!" Bayard trat entschlossen in des Direktors Eabinet, legte sein Manuscript auf das Schreibepult und steckte das von Scribe ein. Dann kehrte er in das Vorzimmer zurück und erwartete daselbst die Rückkehr des Direktors, dem er nun das Scribe'sche Stück als sein eigenes Werk überreichte. Nach einer kurzen, mit kalten Höflichkeiten ausgefüllten Audienz ging er davon, indem er seine Karte und Adresse zurückließ. Welcher Schmerz, aber auch Freude hätte er empfunden, wenn er unsichtbar in einem Winkel des Directions-Cabinets der nun folgenden Scene hätte beiwohnen können! Durch den Austausch der Manu¬ skripte getäuscht, legte der Director Bayard's Karte zuScribe's Ma¬ nuskript und warf beide verdrießlich in eine große Mappe, in das ge¬ meinschaftliche Grab der jungen Literatur. Nachdem er.diese erste Pflicht erfüllt, rollte er rasch das auf dem Schreibepulte liegende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/429>, abgerufen am 24.07.2024.