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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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schule zu verlassen. Namentlich das Letztere mag ihn bestimmt haben;
das Schicksal seiner Kunstgenossen, die bei allem Eifer von keinem Mä-
cen gehoben wurden, sondern für ihren Erwerb in der blutarmen Zeit
mit allen Kräften wie Tagelöhner arbeiten mußten, lag ihm am Her¬
zen und vielleicht hofft er ihnen zu nützen, wen" er durch seinen Ab¬
gang die Nothwendigkeit der Theilnahme des Staates an den Interessen
seiner Kunstschule herbeiführt. Diese Nothwendigkeit tritt denn mich
schon jetzt in höchster Potenz ein, da der Abgang Lessing's leider den
Verlust mehrerer anderer Häupter unserer Schule nach sich zieht.
Adolph Schrödter, der Schwager Lessing's, folgt ihm nach Frankfurt;
er ist ein Haupt in der Genremalerei, die Academie verliert also auch
an ihm ein bedeutendes Mitglied. Derselbe Fall tritt ein bei Hasen¬
clever, wenn dieser seinen Entschluß, nach München überzusiedeln, aus¬
führt, ebenso bei Ritter und Hühner. Steinbrück und Plüddemann sind
bereits nach Berlin gewandert, Jordan gedenkt ebenfalls dahin zu ge¬
hen, und Lentze, der blos Lessing's wegen nach Düsseldorf gekommen,
kehrt nach Amerika in seine Heimath zurück. Selbst Sohn, der als
Professor der Academie fungirt, soll seine Stelle aufgeben und eben¬
falls nach Frankfurt gehen wollen.

Dem in die Verhältnisse der hiesigen Schule nicht eingeweihten
auswärtigen Laien dürste diese große Veränderung, eines einzigen Man¬
nes wegen, auffallend erscheinen; man wird entgegnen: Cornelius ging
nach Berlin und München behielt dennoch seine andern Künstler, Cor¬
nelius war ja doch in München Director und Lessing nicht einmal
Professor in Düsseldorf. Wir entgegnen: Lessing war, obschon nicht
öffentlich und officiell, der Mittelpunkt und das Haupt des künstleri¬
schen Gesammtwirkeus, und seine Gegenwart wie seine Schöpfungen
leiteten das Streben der andern Mitglieder der Düsseldorfer Schule.

Schadow war ihr Stifter, er begründete ihren Ruhm, er leitete
ihre administrativen Interessen bis auf den heutigen Tag, und ist be^
,eilf seit einigen zwanzig Jahren ihr Director. Um aber auch ihr
Mittelpunkt zu bleiben, hätte er einer andern, als der alten, recavitu-
lirenden Kunstrichtung angehören müssen. Seine Schüler bedurften
einer neuen Bahn für ihren jungen und lebensfrischen Geist, die Mehr¬
zahl wollte über die Vorbilder der alten Italiener hinaus, und nur
ein kleiner Theil blieb auf seiner Seite. Lessing machte mit seinen
ersten, romantischen, Bildern den Uebergang von der alten zur neuen
Richtung, und gleich sahen ok Sohn, Hildebrandt, Bendemann, Julius


schule zu verlassen. Namentlich das Letztere mag ihn bestimmt haben;
das Schicksal seiner Kunstgenossen, die bei allem Eifer von keinem Mä-
cen gehoben wurden, sondern für ihren Erwerb in der blutarmen Zeit
mit allen Kräften wie Tagelöhner arbeiten mußten, lag ihm am Her¬
zen und vielleicht hofft er ihnen zu nützen, wen» er durch seinen Ab¬
gang die Nothwendigkeit der Theilnahme des Staates an den Interessen
seiner Kunstschule herbeiführt. Diese Nothwendigkeit tritt denn mich
schon jetzt in höchster Potenz ein, da der Abgang Lessing's leider den
Verlust mehrerer anderer Häupter unserer Schule nach sich zieht.
Adolph Schrödter, der Schwager Lessing's, folgt ihm nach Frankfurt;
er ist ein Haupt in der Genremalerei, die Academie verliert also auch
an ihm ein bedeutendes Mitglied. Derselbe Fall tritt ein bei Hasen¬
clever, wenn dieser seinen Entschluß, nach München überzusiedeln, aus¬
führt, ebenso bei Ritter und Hühner. Steinbrück und Plüddemann sind
bereits nach Berlin gewandert, Jordan gedenkt ebenfalls dahin zu ge¬
hen, und Lentze, der blos Lessing's wegen nach Düsseldorf gekommen,
kehrt nach Amerika in seine Heimath zurück. Selbst Sohn, der als
Professor der Academie fungirt, soll seine Stelle aufgeben und eben¬
falls nach Frankfurt gehen wollen.

Dem in die Verhältnisse der hiesigen Schule nicht eingeweihten
auswärtigen Laien dürste diese große Veränderung, eines einzigen Man¬
nes wegen, auffallend erscheinen; man wird entgegnen: Cornelius ging
nach Berlin und München behielt dennoch seine andern Künstler, Cor¬
nelius war ja doch in München Director und Lessing nicht einmal
Professor in Düsseldorf. Wir entgegnen: Lessing war, obschon nicht
öffentlich und officiell, der Mittelpunkt und das Haupt des künstleri¬
schen Gesammtwirkeus, und seine Gegenwart wie seine Schöpfungen
leiteten das Streben der andern Mitglieder der Düsseldorfer Schule.

Schadow war ihr Stifter, er begründete ihren Ruhm, er leitete
ihre administrativen Interessen bis auf den heutigen Tag, und ist be^
,eilf seit einigen zwanzig Jahren ihr Director. Um aber auch ihr
Mittelpunkt zu bleiben, hätte er einer andern, als der alten, recavitu-
lirenden Kunstrichtung angehören müssen. Seine Schüler bedurften
einer neuen Bahn für ihren jungen und lebensfrischen Geist, die Mehr¬
zahl wollte über die Vorbilder der alten Italiener hinaus, und nur
ein kleiner Theil blieb auf seiner Seite. Lessing machte mit seinen
ersten, romantischen, Bildern den Uebergang von der alten zur neuen
Richtung, und gleich sahen ok Sohn, Hildebrandt, Bendemann, Julius


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[0421] schule zu verlassen. Namentlich das Letztere mag ihn bestimmt haben; das Schicksal seiner Kunstgenossen, die bei allem Eifer von keinem Mä- cen gehoben wurden, sondern für ihren Erwerb in der blutarmen Zeit mit allen Kräften wie Tagelöhner arbeiten mußten, lag ihm am Her¬ zen und vielleicht hofft er ihnen zu nützen, wen» er durch seinen Ab¬ gang die Nothwendigkeit der Theilnahme des Staates an den Interessen seiner Kunstschule herbeiführt. Diese Nothwendigkeit tritt denn mich schon jetzt in höchster Potenz ein, da der Abgang Lessing's leider den Verlust mehrerer anderer Häupter unserer Schule nach sich zieht. Adolph Schrödter, der Schwager Lessing's, folgt ihm nach Frankfurt; er ist ein Haupt in der Genremalerei, die Academie verliert also auch an ihm ein bedeutendes Mitglied. Derselbe Fall tritt ein bei Hasen¬ clever, wenn dieser seinen Entschluß, nach München überzusiedeln, aus¬ führt, ebenso bei Ritter und Hühner. Steinbrück und Plüddemann sind bereits nach Berlin gewandert, Jordan gedenkt ebenfalls dahin zu ge¬ hen, und Lentze, der blos Lessing's wegen nach Düsseldorf gekommen, kehrt nach Amerika in seine Heimath zurück. Selbst Sohn, der als Professor der Academie fungirt, soll seine Stelle aufgeben und eben¬ falls nach Frankfurt gehen wollen. Dem in die Verhältnisse der hiesigen Schule nicht eingeweihten auswärtigen Laien dürste diese große Veränderung, eines einzigen Man¬ nes wegen, auffallend erscheinen; man wird entgegnen: Cornelius ging nach Berlin und München behielt dennoch seine andern Künstler, Cor¬ nelius war ja doch in München Director und Lessing nicht einmal Professor in Düsseldorf. Wir entgegnen: Lessing war, obschon nicht öffentlich und officiell, der Mittelpunkt und das Haupt des künstleri¬ schen Gesammtwirkeus, und seine Gegenwart wie seine Schöpfungen leiteten das Streben der andern Mitglieder der Düsseldorfer Schule. Schadow war ihr Stifter, er begründete ihren Ruhm, er leitete ihre administrativen Interessen bis auf den heutigen Tag, und ist be^ ,eilf seit einigen zwanzig Jahren ihr Director. Um aber auch ihr Mittelpunkt zu bleiben, hätte er einer andern, als der alten, recavitu- lirenden Kunstrichtung angehören müssen. Seine Schüler bedurften einer neuen Bahn für ihren jungen und lebensfrischen Geist, die Mehr¬ zahl wollte über die Vorbilder der alten Italiener hinaus, und nur ein kleiner Theil blieb auf seiner Seite. Lessing machte mit seinen ersten, romantischen, Bildern den Uebergang von der alten zur neuen Richtung, und gleich sahen ok Sohn, Hildebrandt, Bendemann, Julius

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/421>, abgerufen am 24.07.2024.