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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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so der Staatsverwaltung eine That ab, die unser Vaterland in den
Augen der Welt -- vielleicht Rom allein ausgenommen -- bemäkelt
und erniedrigt hat.

Alles dies ist bei uns vielfältig dem einfachen Bauer so bekannt
wie dem Gebildeten; man lächelt wehmüthig über dieses ständische
Wirken, selbst der wenig regsame Witz der Bürger von Innsbruck hat
schon zum Oeftern an den "Landständen" sich so erheiternd als treffend
geübt. Es lebt in unserm Volke das vom Vater auf den Sohn über¬
lieferte Bewußtsein an die alte ständische Verfassung, an das Recht
der Steuerbewilligung und des mitentscheidenden Beirathes in den
Landesangelegenheiten. Der allzu grelle Abstand zwischen ehemals und
jetzt wird schmerzlich empfunden und vergeblich sucht man im Verhalten
der tyrolischen Bevölkerung einen Erklärungsgrund zu der bedauer¬
lichen Wandlung. Das treue Land, seinem geliebten Fürstenhause
durch die Gewalt der Zeitereignisse abgedrungen, hatte sich auf dessen
Mahnung im Jahre 1809 muthig für die Wiederherstellung der unter¬
drückten alten Ordnung erhoben und, anfangs aus eigener Kraft
siegreich, war es mit und für seinen frühern Herrscherstamm gefallen.
Freudig trieb es im Jahre 18l3 die Dränger aus seinen Marken und
warf sich mit vollster Innigkeit dem ersehnten Kaiser Franz an die
Vaterbrust. Durfte der treue Sohn nicht den liebreichsten Empfang
zuverlässig hoffen? Hatte er auch auf Belohnung seiner kindlichen
Anhänglichkeit nie gerechnet, weil er nur einem edlen Triebe mit Ver-
schmähung eigennütziger Rücksichten gehorchte, so hielt er sich doch der
altgewohnten, im Laufe der Jahrhunderte besessenen Rechte ohne Frage
versichert 5).

Und selbst als er gewahr wurde, daß gebieterische Umstände die
Erfüllung dieser Erwartung hindern, ergab er sich mit der Selbstver-
läugnung eines guten Kindes in die Fügung des stets verehrten Kai¬
sers Franz mit dem Troste der Ueberzeugung, der milde und gerechte
Sinn der österreichischen Regierung werde das von den Verhältnissen
geforderte Opfer durch Anderes huldvoll ersetzen.

Tyrol hatte unter der bairischen, italienischen und illyrischen Herr¬
schaft seine Einheit verloren und große Lasten getragen. Der empfind-



*) Die gedruckte Bekanntmachung vom ZI. December 1813 sprach sich aus,
wie folgt- "Tyrol hat den alten Ruhm in der Geschichte dieses Feldzuges behauptet.
Der Augenblick, wo dem Lande die Früchte seiner Anstrengungen zu Theil wer¬
den können, ist nicht mehr entfernt."

so der Staatsverwaltung eine That ab, die unser Vaterland in den
Augen der Welt — vielleicht Rom allein ausgenommen — bemäkelt
und erniedrigt hat.

Alles dies ist bei uns vielfältig dem einfachen Bauer so bekannt
wie dem Gebildeten; man lächelt wehmüthig über dieses ständische
Wirken, selbst der wenig regsame Witz der Bürger von Innsbruck hat
schon zum Oeftern an den „Landständen" sich so erheiternd als treffend
geübt. Es lebt in unserm Volke das vom Vater auf den Sohn über¬
lieferte Bewußtsein an die alte ständische Verfassung, an das Recht
der Steuerbewilligung und des mitentscheidenden Beirathes in den
Landesangelegenheiten. Der allzu grelle Abstand zwischen ehemals und
jetzt wird schmerzlich empfunden und vergeblich sucht man im Verhalten
der tyrolischen Bevölkerung einen Erklärungsgrund zu der bedauer¬
lichen Wandlung. Das treue Land, seinem geliebten Fürstenhause
durch die Gewalt der Zeitereignisse abgedrungen, hatte sich auf dessen
Mahnung im Jahre 1809 muthig für die Wiederherstellung der unter¬
drückten alten Ordnung erhoben und, anfangs aus eigener Kraft
siegreich, war es mit und für seinen frühern Herrscherstamm gefallen.
Freudig trieb es im Jahre 18l3 die Dränger aus seinen Marken und
warf sich mit vollster Innigkeit dem ersehnten Kaiser Franz an die
Vaterbrust. Durfte der treue Sohn nicht den liebreichsten Empfang
zuverlässig hoffen? Hatte er auch auf Belohnung seiner kindlichen
Anhänglichkeit nie gerechnet, weil er nur einem edlen Triebe mit Ver-
schmähung eigennütziger Rücksichten gehorchte, so hielt er sich doch der
altgewohnten, im Laufe der Jahrhunderte besessenen Rechte ohne Frage
versichert 5).

Und selbst als er gewahr wurde, daß gebieterische Umstände die
Erfüllung dieser Erwartung hindern, ergab er sich mit der Selbstver-
läugnung eines guten Kindes in die Fügung des stets verehrten Kai¬
sers Franz mit dem Troste der Ueberzeugung, der milde und gerechte
Sinn der österreichischen Regierung werde das von den Verhältnissen
geforderte Opfer durch Anderes huldvoll ersetzen.

Tyrol hatte unter der bairischen, italienischen und illyrischen Herr¬
schaft seine Einheit verloren und große Lasten getragen. Der empfind-



*) Die gedruckte Bekanntmachung vom ZI. December 1813 sprach sich aus,
wie folgt- „Tyrol hat den alten Ruhm in der Geschichte dieses Feldzuges behauptet.
Der Augenblick, wo dem Lande die Früchte seiner Anstrengungen zu Theil wer¬
den können, ist nicht mehr entfernt."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/413>, abgerufen am 24.07.2024.