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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Diener; wie und was jener will, muß gelehrt werden. Der Bezirks-
Schulaufseher, meistens der Dechant der Gegend, ist Eines Sinnes
mit dem Seelsorger, und der bei den öffentlichen Prüfungen miterschei¬
nende Beamte des Landgerichts ist weder in der Lage noch aufgefor¬
dert, seine Erinnerungen rücksichtlich der Fortschritte der Jugend und
der Mängel im Unterrichte und in der Behandlung der Kinder geltend
zu machen. Kommt auch hier und da eine den mißlichen Stand der
Schule mehr andeutende als schildernde Erinnerung an's Licht, so hat
die oberste geistliche Schulbehörde, zu welcher der geistliche Rath am
Tische des Guberniums mitzählt, mehrfache Mittel, ein solches Auf¬
tauchen des feindlichen Geistes der Zeit niederzudrücken. Die Geist¬
lichkeit hat in den ältesten Zeiten wie heut zu Tage die Ueberzeugung
festgehalten, daß die Unterweisung der heranwachsenden Bürger nicht
anders als im Geiste der herrschenden Religion gedeihen dürfe. Da¬
her war sie stets mit Eifer bestrebt, sich zum Meister der Schulen zu
machen. In der Gegenwart bietet Frankreich die Erklärung zu diesem
Satze. Man sollte nun glauben, die Priesterschaft würde sich jeder
Gelegenheit bemächtigen, aus ihrer Mitte thunlich viele Schulkanzeln
zu besetzen. Allein bei uns sehen wir grade das Gegentheil. Der
junge Priester, welcher, aus der höhern Bildungsanstalt in die Seel¬
sorge tretend, so Vieles zur Verbesserung des Unterrichtes thun könnte,
darf sich unmittelbar nicht weiter mit der Schule befassen, als die
Sorgfalt für genaue Kenntniß der Glaubens- und Sittenwahrheiten
fordert. Dieser Lehrzweig überwuchert denn auch alle andern weit
und bildet ein vorzügliches Hemmniß des Fortschrittes in den übrigen
Fächern. Der Schüler wird im Uebermaße mit dem Auswendiglernen
des Katechismus, der kleinen, mittlern und großen Ausgabe, beschäftigt,
sein Gedächtniß überfüllt sich mit Fragen und Antworten des P. Ca-
nisius über sehr viele Dinge, die der Kinderverstaud nimmer zu fassen
vermag, und das jugendliche Gemüth empfindet nachgerade einen
Widerwillen am Lernen, ja selbst am Gegenstände, des Katechismus
-- wohl schwerlich zum Besten des Glaubens und der Sitten. Hierin
liegt auch ein wirksamer Grund, warum die Sommerschulen und der
Wiederholungsunterricht so wenig Anklang finden und höchst magere
Frucht tragen. Sollte es bei solchen Umständen leichte Arbeit sein,
das lautgewordene böswillige Gerücht zu widerlegen, man sähe von
gewisser Seite das allmälige Verkümmern der Lese- und Schreibkennt¬
nisse unter der Menge mit gleichem Wohlgefallen als das Hinsterben
mancher Wissenschaft und Kunst sammt der sie noch haltenden Presse?


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Diener; wie und was jener will, muß gelehrt werden. Der Bezirks-
Schulaufseher, meistens der Dechant der Gegend, ist Eines Sinnes
mit dem Seelsorger, und der bei den öffentlichen Prüfungen miterschei¬
nende Beamte des Landgerichts ist weder in der Lage noch aufgefor¬
dert, seine Erinnerungen rücksichtlich der Fortschritte der Jugend und
der Mängel im Unterrichte und in der Behandlung der Kinder geltend
zu machen. Kommt auch hier und da eine den mißlichen Stand der
Schule mehr andeutende als schildernde Erinnerung an's Licht, so hat
die oberste geistliche Schulbehörde, zu welcher der geistliche Rath am
Tische des Guberniums mitzählt, mehrfache Mittel, ein solches Auf¬
tauchen des feindlichen Geistes der Zeit niederzudrücken. Die Geist¬
lichkeit hat in den ältesten Zeiten wie heut zu Tage die Ueberzeugung
festgehalten, daß die Unterweisung der heranwachsenden Bürger nicht
anders als im Geiste der herrschenden Religion gedeihen dürfe. Da¬
her war sie stets mit Eifer bestrebt, sich zum Meister der Schulen zu
machen. In der Gegenwart bietet Frankreich die Erklärung zu diesem
Satze. Man sollte nun glauben, die Priesterschaft würde sich jeder
Gelegenheit bemächtigen, aus ihrer Mitte thunlich viele Schulkanzeln
zu besetzen. Allein bei uns sehen wir grade das Gegentheil. Der
junge Priester, welcher, aus der höhern Bildungsanstalt in die Seel¬
sorge tretend, so Vieles zur Verbesserung des Unterrichtes thun könnte,
darf sich unmittelbar nicht weiter mit der Schule befassen, als die
Sorgfalt für genaue Kenntniß der Glaubens- und Sittenwahrheiten
fordert. Dieser Lehrzweig überwuchert denn auch alle andern weit
und bildet ein vorzügliches Hemmniß des Fortschrittes in den übrigen
Fächern. Der Schüler wird im Uebermaße mit dem Auswendiglernen
des Katechismus, der kleinen, mittlern und großen Ausgabe, beschäftigt,
sein Gedächtniß überfüllt sich mit Fragen und Antworten des P. Ca-
nisius über sehr viele Dinge, die der Kinderverstaud nimmer zu fassen
vermag, und das jugendliche Gemüth empfindet nachgerade einen
Widerwillen am Lernen, ja selbst am Gegenstände, des Katechismus
— wohl schwerlich zum Besten des Glaubens und der Sitten. Hierin
liegt auch ein wirksamer Grund, warum die Sommerschulen und der
Wiederholungsunterricht so wenig Anklang finden und höchst magere
Frucht tragen. Sollte es bei solchen Umständen leichte Arbeit sein,
das lautgewordene böswillige Gerücht zu widerlegen, man sähe von
gewisser Seite das allmälige Verkümmern der Lese- und Schreibkennt¬
nisse unter der Menge mit gleichem Wohlgefallen als das Hinsterben
mancher Wissenschaft und Kunst sammt der sie noch haltenden Presse?


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[0409] Diener; wie und was jener will, muß gelehrt werden. Der Bezirks- Schulaufseher, meistens der Dechant der Gegend, ist Eines Sinnes mit dem Seelsorger, und der bei den öffentlichen Prüfungen miterschei¬ nende Beamte des Landgerichts ist weder in der Lage noch aufgefor¬ dert, seine Erinnerungen rücksichtlich der Fortschritte der Jugend und der Mängel im Unterrichte und in der Behandlung der Kinder geltend zu machen. Kommt auch hier und da eine den mißlichen Stand der Schule mehr andeutende als schildernde Erinnerung an's Licht, so hat die oberste geistliche Schulbehörde, zu welcher der geistliche Rath am Tische des Guberniums mitzählt, mehrfache Mittel, ein solches Auf¬ tauchen des feindlichen Geistes der Zeit niederzudrücken. Die Geist¬ lichkeit hat in den ältesten Zeiten wie heut zu Tage die Ueberzeugung festgehalten, daß die Unterweisung der heranwachsenden Bürger nicht anders als im Geiste der herrschenden Religion gedeihen dürfe. Da¬ her war sie stets mit Eifer bestrebt, sich zum Meister der Schulen zu machen. In der Gegenwart bietet Frankreich die Erklärung zu diesem Satze. Man sollte nun glauben, die Priesterschaft würde sich jeder Gelegenheit bemächtigen, aus ihrer Mitte thunlich viele Schulkanzeln zu besetzen. Allein bei uns sehen wir grade das Gegentheil. Der junge Priester, welcher, aus der höhern Bildungsanstalt in die Seel¬ sorge tretend, so Vieles zur Verbesserung des Unterrichtes thun könnte, darf sich unmittelbar nicht weiter mit der Schule befassen, als die Sorgfalt für genaue Kenntniß der Glaubens- und Sittenwahrheiten fordert. Dieser Lehrzweig überwuchert denn auch alle andern weit und bildet ein vorzügliches Hemmniß des Fortschrittes in den übrigen Fächern. Der Schüler wird im Uebermaße mit dem Auswendiglernen des Katechismus, der kleinen, mittlern und großen Ausgabe, beschäftigt, sein Gedächtniß überfüllt sich mit Fragen und Antworten des P. Ca- nisius über sehr viele Dinge, die der Kinderverstaud nimmer zu fassen vermag, und das jugendliche Gemüth empfindet nachgerade einen Widerwillen am Lernen, ja selbst am Gegenstände, des Katechismus — wohl schwerlich zum Besten des Glaubens und der Sitten. Hierin liegt auch ein wirksamer Grund, warum die Sommerschulen und der Wiederholungsunterricht so wenig Anklang finden und höchst magere Frucht tragen. Sollte es bei solchen Umständen leichte Arbeit sein, das lautgewordene böswillige Gerücht zu widerlegen, man sähe von gewisser Seite das allmälige Verkümmern der Lese- und Schreibkennt¬ nisse unter der Menge mit gleichem Wohlgefallen als das Hinsterben mancher Wissenschaft und Kunst sammt der sie noch haltenden Presse? 54-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/409>, abgerufen am 24.07.2024.