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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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In der Nähe des Neckar angekommen, wird die Locomotive vom Zuge
abgelöset und dieser mit Hilfe der Conductcure und einer Menge dort
beschäftigter Arbeiter im langsamsten Tempo über eine ganz schmale,
46 -- 56 Fuß hoch über den Neckar hingehende, hölzerne Brücke von
ziemlicher Länge geschoben, bei welcher Operation das hölzerne Gerüst
unaufhörlich knarrt und kracht, was, bei allem Vertrauen auf die Kunst
der Techniker, bei schwachnervigen Reisenden (besonders, da Alles mit
einer gewissen Stille und Feierlichkeit vor sich geht!) ein bängliches Ge¬
fühl zu erwecken, nicht unterlassen kann.

Daß, wo drei Staaten eine Bahn einrichten, nicht Alles glatt ab¬
gehen konnte, ist leicht einzusehen; -- indessen sollen hier, durch die
Persönlichkeiten der Bevollmächtigten, vornehmlich eines der drei Regie¬
rungen, arge Scenen vorgekommen sein, so daß es verlautete, die andern
Abgesandten hätten sich geweigert, ferner mit diesem zu conferiren. Na¬
türlich sind die Einzelnheiten nicht zu allgemeiner Kunde gekommen; so
viel weiß man indeß, daß Hessen-Darmstadt beharrlich auf der Zweigbahn
nach Offenbach und der Absonderung eines Specialzuges nach diesem
Städtchen vor dem Eintritt in den Frankfurter Bahnhof bestand und
dieses Verlangen durchsetzte, obschon die Bahn sich voraussichtlich nicht
bedeutend rentiren wird; daß, weil der Darmstädter Bahnhof endlich zum
Mittelpunkte der Bahn erwählt war und ihm die Aufbewahrung der
Reserve - Wagen, die Werkstätten für Reparaturen u. s. w. zugetheilt
worden waren, die Bürger der Hauptstadt eine neue Aera für ihre bis
jetzt von den Reisenden etwas vernachlässigte Residenz herangebrochen
glaubten, und meinten, der letzte von Heidelberg kommende Zug müsse
nun bei ihnen anhalten und nicht bis Frankfurt gehen (ein Weg,
der in 56 Minuten zurückgelegt wird), damit die Reisenden Gelegenheit
hätten, die trefflichen Betten Darmstadt's kennen zu lernen. Indessen
wurde diesem Gesuche nicht willfahrt, und nur ein Localzug, der Mor¬
gens von Darmstadt nach Frankfurt abgeht und Abends von hier dort¬
hin zurückkehrt, wurde eingerichtet.

Was die Unfälle des 16. August betrifft, so könnte derjenige, der
an das Eingreifen dämonischer Machte glaubt, volle Nahrung finden,
da man auf diesen Tag (einen Sonntag) eine Vermehrung der Züge
eingerichtet hatte und die beiden Fälle das Ansehen von Warnung
und Strafe erhielten. Wie schon gesagt, befindet sich der provisorische
Bahnhof auf der Zweigbahn nach Offenbach, jenseit Sachsenhauser. Nun
mündet diese Zweigbahn in einer nicht Darmstadt, sondern dem Mains,
d. h. der neuen Brücke und dem neuen diesseit d-s Maines gelegenen
Bahnhofe zugewendeten Curve in die Hauptbahn ein; man ist demnach
gezwungen, in einer Richtung auf die Hauptbahn ein- und in der ent¬
gegengesetzten weiter zu fahren. Die Locomotive muß daher an dieser
verhängnißvollen Stelle ihren Platz an dem einen Ende des Zuges ver¬
lassen und den am andern einnehmen. Bei dieser Manipulation geschah
es am Morgen des 16., daß die Locomotive nicht eingehalten werden
konnte und von dem ziemlich hohen Damme herunterstürzte, wobei


In der Nähe des Neckar angekommen, wird die Locomotive vom Zuge
abgelöset und dieser mit Hilfe der Conductcure und einer Menge dort
beschäftigter Arbeiter im langsamsten Tempo über eine ganz schmale,
46 — 56 Fuß hoch über den Neckar hingehende, hölzerne Brücke von
ziemlicher Länge geschoben, bei welcher Operation das hölzerne Gerüst
unaufhörlich knarrt und kracht, was, bei allem Vertrauen auf die Kunst
der Techniker, bei schwachnervigen Reisenden (besonders, da Alles mit
einer gewissen Stille und Feierlichkeit vor sich geht!) ein bängliches Ge¬
fühl zu erwecken, nicht unterlassen kann.

Daß, wo drei Staaten eine Bahn einrichten, nicht Alles glatt ab¬
gehen konnte, ist leicht einzusehen; — indessen sollen hier, durch die
Persönlichkeiten der Bevollmächtigten, vornehmlich eines der drei Regie¬
rungen, arge Scenen vorgekommen sein, so daß es verlautete, die andern
Abgesandten hätten sich geweigert, ferner mit diesem zu conferiren. Na¬
türlich sind die Einzelnheiten nicht zu allgemeiner Kunde gekommen; so
viel weiß man indeß, daß Hessen-Darmstadt beharrlich auf der Zweigbahn
nach Offenbach und der Absonderung eines Specialzuges nach diesem
Städtchen vor dem Eintritt in den Frankfurter Bahnhof bestand und
dieses Verlangen durchsetzte, obschon die Bahn sich voraussichtlich nicht
bedeutend rentiren wird; daß, weil der Darmstädter Bahnhof endlich zum
Mittelpunkte der Bahn erwählt war und ihm die Aufbewahrung der
Reserve - Wagen, die Werkstätten für Reparaturen u. s. w. zugetheilt
worden waren, die Bürger der Hauptstadt eine neue Aera für ihre bis
jetzt von den Reisenden etwas vernachlässigte Residenz herangebrochen
glaubten, und meinten, der letzte von Heidelberg kommende Zug müsse
nun bei ihnen anhalten und nicht bis Frankfurt gehen (ein Weg,
der in 56 Minuten zurückgelegt wird), damit die Reisenden Gelegenheit
hätten, die trefflichen Betten Darmstadt's kennen zu lernen. Indessen
wurde diesem Gesuche nicht willfahrt, und nur ein Localzug, der Mor¬
gens von Darmstadt nach Frankfurt abgeht und Abends von hier dort¬
hin zurückkehrt, wurde eingerichtet.

Was die Unfälle des 16. August betrifft, so könnte derjenige, der
an das Eingreifen dämonischer Machte glaubt, volle Nahrung finden,
da man auf diesen Tag (einen Sonntag) eine Vermehrung der Züge
eingerichtet hatte und die beiden Fälle das Ansehen von Warnung
und Strafe erhielten. Wie schon gesagt, befindet sich der provisorische
Bahnhof auf der Zweigbahn nach Offenbach, jenseit Sachsenhauser. Nun
mündet diese Zweigbahn in einer nicht Darmstadt, sondern dem Mains,
d. h. der neuen Brücke und dem neuen diesseit d-s Maines gelegenen
Bahnhofe zugewendeten Curve in die Hauptbahn ein; man ist demnach
gezwungen, in einer Richtung auf die Hauptbahn ein- und in der ent¬
gegengesetzten weiter zu fahren. Die Locomotive muß daher an dieser
verhängnißvollen Stelle ihren Platz an dem einen Ende des Zuges ver¬
lassen und den am andern einnehmen. Bei dieser Manipulation geschah
es am Morgen des 16., daß die Locomotive nicht eingehalten werden
konnte und von dem ziemlich hohen Damme herunterstürzte, wobei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/402>, abgerufen am 04.07.2024.