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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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und diese ist, daß die hier anzutreffende Wahrheit, Treue, Frische der Schil¬
derung ihres Gleichen nirgends findet. Obgleich ursprünglich in deut¬
scher Sprache geschrieben, zeigen diese Skizzen eine Bekanntschaft mit
unserm Idiom und unsern Sitten, wie nur ein langer Ausenthalt im
Lande, ein ausdauerndes Studium unserer unzähligen Provinzialdialekte
sie verschaffen kann."

Zur Bekräftigung dieser Behauptungen citirr man den "berühmten
Historiker Mundt", und "Schlegel, den großen, deutschen Kritiker." --

Die Anerkennung des wahren Verdienstes spricht ohne Zweifel sehr
gut für die amerikanischen Journale, aber noch unzweifelhafter verdienst¬
licher wäre ihnen diese Wissenschaft gewesen, wäre sie ohne eine Brillen¬
vorhaltung Seitens der Herrn Schlegel und Mundt erlangt worden. --

So lange man jenseits des Meeres nur das schätzt, was europäi¬
sche Kritiker als schätzenswürdig stempeln, wird man nie zu einem eige¬
nen Geschmack kommen. Man wird in der Beurtheilung des Geschrie¬
benen, wie im Schreiben selbst, ein leeres Echo sein. Hätte das ame¬
rikanische Publicum nicht viel gescheidter gethan, die Werke Sealssielo's
in ihrer ersten englischen Gestalt zu lesen und zu preisen, anstatt daß
es sie jetzt, nach Verlauf mehrerer Zähre in einer Uebersetzung schön
findet? Denn, verhehlen wir's nicht, den meisten Uebersctzern muß man
volle Gerechtigkeit widerfahren lassen und sagen: "sie sahen an Alles,
was sie gemacht hatten, und siehe da, es war sehr schlecht." Und --
ich schreibe dies mit Schamröthe auf den Wangen, -- waren die deut¬
schen Verleger Sealssield's nicht auch viel gescheidter gewesen, wenn sie
die "Lebensbilder aus beiden Hemisphären", "Norden und Süden", "das
Kajütcnbuch, die deutsch-amerikanischen Wahlverwandtschaften", für Ueber¬
setzungen aus dem Englischen ausgegeben hätten? für die übersetzten
Werke eines großen und beliebten amerikanischen Novellisten. Oder noch
klüger von einer beliebten Novellistin? Diese Frage erlaubt nur eine
Antwort für alle diejenigen, welche sich vor dem Heißhunger entsetzt ha¬
ben, mit welchem unser Publicum die Ercaturen der Lady Georgiana
Fullerton verschlungen hat. Besonders die zähe Helene, deren Namen im
Fleisch Middleton ist. --- Wären die Verleger geneigt das Publicum
"mis gleiche Weise wie die Schriftsteller zu behandeln, so hatten sie Seal-
field's Werke betitelt: "Familiengemälde aus beiden Hemisphären" --
"der häusliche Herd am Jacinto" -- "Aus der Gesellschaft in Michi-
gan" -- Alles nach dem Englischen der Lady Ojemine! -- oder auch
nach dem Schwedischen der Frau Friederike Bremer und der nicht weni¬
ger berühmten Frau Emilia Flygare Carlin. Oder sie hatten die
Wittwe Paalzow demüthigst um Uebernahme der Autorschaft gebeten.

, Ich höre zur Entschuldigung dieser Herren sagen, der Name
"Sealsfield", an sich schon fremdländisch, habe sie berechtigt, einen
solchen frommen Betrug als unnöthig zu verabscheuen. Ich lasse mich
durch diesen Einwand durchaus nicht irre machen. Die Romane des
Charles Sealsfield erschienen, ohne den Namen eines Verfassers auf dem
Titelblatt zu tragen. Mußte man nicht voraussetzen, sie seien Erzeug-


und diese ist, daß die hier anzutreffende Wahrheit, Treue, Frische der Schil¬
derung ihres Gleichen nirgends findet. Obgleich ursprünglich in deut¬
scher Sprache geschrieben, zeigen diese Skizzen eine Bekanntschaft mit
unserm Idiom und unsern Sitten, wie nur ein langer Ausenthalt im
Lande, ein ausdauerndes Studium unserer unzähligen Provinzialdialekte
sie verschaffen kann."

Zur Bekräftigung dieser Behauptungen citirr man den „berühmten
Historiker Mundt", und „Schlegel, den großen, deutschen Kritiker." —

Die Anerkennung des wahren Verdienstes spricht ohne Zweifel sehr
gut für die amerikanischen Journale, aber noch unzweifelhafter verdienst¬
licher wäre ihnen diese Wissenschaft gewesen, wäre sie ohne eine Brillen¬
vorhaltung Seitens der Herrn Schlegel und Mundt erlangt worden. —

So lange man jenseits des Meeres nur das schätzt, was europäi¬
sche Kritiker als schätzenswürdig stempeln, wird man nie zu einem eige¬
nen Geschmack kommen. Man wird in der Beurtheilung des Geschrie¬
benen, wie im Schreiben selbst, ein leeres Echo sein. Hätte das ame¬
rikanische Publicum nicht viel gescheidter gethan, die Werke Sealssielo's
in ihrer ersten englischen Gestalt zu lesen und zu preisen, anstatt daß
es sie jetzt, nach Verlauf mehrerer Zähre in einer Uebersetzung schön
findet? Denn, verhehlen wir's nicht, den meisten Uebersctzern muß man
volle Gerechtigkeit widerfahren lassen und sagen: „sie sahen an Alles,
was sie gemacht hatten, und siehe da, es war sehr schlecht." Und —
ich schreibe dies mit Schamröthe auf den Wangen, — waren die deut¬
schen Verleger Sealssield's nicht auch viel gescheidter gewesen, wenn sie
die „Lebensbilder aus beiden Hemisphären", „Norden und Süden", „das
Kajütcnbuch, die deutsch-amerikanischen Wahlverwandtschaften", für Ueber¬
setzungen aus dem Englischen ausgegeben hätten? für die übersetzten
Werke eines großen und beliebten amerikanischen Novellisten. Oder noch
klüger von einer beliebten Novellistin? Diese Frage erlaubt nur eine
Antwort für alle diejenigen, welche sich vor dem Heißhunger entsetzt ha¬
ben, mit welchem unser Publicum die Ercaturen der Lady Georgiana
Fullerton verschlungen hat. Besonders die zähe Helene, deren Namen im
Fleisch Middleton ist. -— Wären die Verleger geneigt das Publicum
«mis gleiche Weise wie die Schriftsteller zu behandeln, so hatten sie Seal-
field's Werke betitelt: „Familiengemälde aus beiden Hemisphären" —
„der häusliche Herd am Jacinto" — „Aus der Gesellschaft in Michi-
gan" — Alles nach dem Englischen der Lady Ojemine! — oder auch
nach dem Schwedischen der Frau Friederike Bremer und der nicht weni¬
ger berühmten Frau Emilia Flygare Carlin. Oder sie hatten die
Wittwe Paalzow demüthigst um Uebernahme der Autorschaft gebeten.

, Ich höre zur Entschuldigung dieser Herren sagen, der Name
„Sealsfield", an sich schon fremdländisch, habe sie berechtigt, einen
solchen frommen Betrug als unnöthig zu verabscheuen. Ich lasse mich
durch diesen Einwand durchaus nicht irre machen. Die Romane des
Charles Sealsfield erschienen, ohne den Namen eines Verfassers auf dem
Titelblatt zu tragen. Mußte man nicht voraussetzen, sie seien Erzeug-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/355>, abgerufen am 24.07.2024.