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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Regierung die Concession für ein neues Reglement der Tagesordnung
beim Landtage nachsuchen mußten, von dem über die Hälfte der Punkte
nicht gestattet wurden und von dem gebliebenen Theil das einfache
Zugeständniß, daß kein Redner willkürlich vom Vorsitzenden Landtags¬
marschall unterbrochen werden darfund daß die Abstimmung, nicht wenn
er den Schluß der Debatte verlangt, geschehen müsse, sondern erst
wenn sie die Majorität wünscht, ist doch diese einfachste aller parla¬
mentarischen Regeln als eine Art Triumph betrachtet worden. Eine
ständische Körperschaft, die so von vorn anfangen muß, die so Schritt
für Schritt ihr wohlbegründetes, besiegeltes und beschworenes Recht
dem Centralisationsund Alleinregierungsgelüsten der Büreaukratie
abgewinnen muß, kann natürlicher Weise nicht sogleich das ganze Haus
mit Dach und Giebel herstellen. Aber bereits die nächste Zeit wird
es beweisen, von welchem edlen, muthvollen und wahrhaft patriotischen
Geiste die niedervsterrcichische Ständeschaft beseelt ist und wie sie ihre
Rechte nicht etwa im bornirten Interesse eines egoistischen Tory-Ari¬
stokratismus zu beleben sucht, sondern Hand in Hand mit dem wah¬
ren Interesse des ganzen Landes, vor Allem aber des Ackerbauers und
des Proletariats. Eine Denkschrift, welche die niederösterreichischen
Stände Sr. Majestät dem Kaiser durch den vor einigen Wochen ver¬
storbenen Grafen Goi;ß überreichen ließ -- es war die letzte landstän-
difche That des greisen Landmarschalls legt dem Auge des Mo¬
narchen die bedründetsten Beschwerden der Ständeschaft mit freimüthi¬
gen Worten vor, daß dieses Actenstück als eins der merkwürdigsten zu
betrachten ist, was seit Jahren zwischen den Unterthanen und der Re¬
gierung gewechselt wurde. Vielleicht ist es mir später gegönnt, eine
Analyse dieser merkwürdigen Denkschrift mitzutheilen. Da dies Acten¬
stück in den Händen Sr. Majestät des Kaisers sich befindet, so wäre
es ungeziemend, den nähern Inhalt desselben zu veröffentlichen. Die
beiden Hauptpunkte desselben sind: die Reklamation des alten
Rechts der Steuerbewilligung und des Beiraths bei in¬
nern Angelegenheiten. Um jedoch einen Einblick in die Bewe¬
gung, in den Geschäftsgang und in den Geist der niederösterreichi¬
schen Ständeversammlung zu eröffnen, finde hier die Landtagserklärung
der Stände vom Jahre 1844 einen Platz. Da dieses Actenstück ge¬
wissermaßen bereits der Geschichte angehört und die Veranlassung zu
den gegenwärtigen Schritten gab, so glaube ich um so weniger eine
Indiskretion durch seine Veröffentlichung zu begehen, als dasselbe zu¬
fällig in meine Hände gerathen ist.


Regierung die Concession für ein neues Reglement der Tagesordnung
beim Landtage nachsuchen mußten, von dem über die Hälfte der Punkte
nicht gestattet wurden und von dem gebliebenen Theil das einfache
Zugeständniß, daß kein Redner willkürlich vom Vorsitzenden Landtags¬
marschall unterbrochen werden darfund daß die Abstimmung, nicht wenn
er den Schluß der Debatte verlangt, geschehen müsse, sondern erst
wenn sie die Majorität wünscht, ist doch diese einfachste aller parla¬
mentarischen Regeln als eine Art Triumph betrachtet worden. Eine
ständische Körperschaft, die so von vorn anfangen muß, die so Schritt
für Schritt ihr wohlbegründetes, besiegeltes und beschworenes Recht
dem Centralisationsund Alleinregierungsgelüsten der Büreaukratie
abgewinnen muß, kann natürlicher Weise nicht sogleich das ganze Haus
mit Dach und Giebel herstellen. Aber bereits die nächste Zeit wird
es beweisen, von welchem edlen, muthvollen und wahrhaft patriotischen
Geiste die niedervsterrcichische Ständeschaft beseelt ist und wie sie ihre
Rechte nicht etwa im bornirten Interesse eines egoistischen Tory-Ari¬
stokratismus zu beleben sucht, sondern Hand in Hand mit dem wah¬
ren Interesse des ganzen Landes, vor Allem aber des Ackerbauers und
des Proletariats. Eine Denkschrift, welche die niederösterreichischen
Stände Sr. Majestät dem Kaiser durch den vor einigen Wochen ver¬
storbenen Grafen Goi;ß überreichen ließ — es war die letzte landstän-
difche That des greisen Landmarschalls legt dem Auge des Mo¬
narchen die bedründetsten Beschwerden der Ständeschaft mit freimüthi¬
gen Worten vor, daß dieses Actenstück als eins der merkwürdigsten zu
betrachten ist, was seit Jahren zwischen den Unterthanen und der Re¬
gierung gewechselt wurde. Vielleicht ist es mir später gegönnt, eine
Analyse dieser merkwürdigen Denkschrift mitzutheilen. Da dies Acten¬
stück in den Händen Sr. Majestät des Kaisers sich befindet, so wäre
es ungeziemend, den nähern Inhalt desselben zu veröffentlichen. Die
beiden Hauptpunkte desselben sind: die Reklamation des alten
Rechts der Steuerbewilligung und des Beiraths bei in¬
nern Angelegenheiten. Um jedoch einen Einblick in die Bewe¬
gung, in den Geschäftsgang und in den Geist der niederösterreichi¬
schen Ständeversammlung zu eröffnen, finde hier die Landtagserklärung
der Stände vom Jahre 1844 einen Platz. Da dieses Actenstück ge¬
wissermaßen bereits der Geschichte angehört und die Veranlassung zu
den gegenwärtigen Schritten gab, so glaube ich um so weniger eine
Indiskretion durch seine Veröffentlichung zu begehen, als dasselbe zu¬
fällig in meine Hände gerathen ist.


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[0336] Regierung die Concession für ein neues Reglement der Tagesordnung beim Landtage nachsuchen mußten, von dem über die Hälfte der Punkte nicht gestattet wurden und von dem gebliebenen Theil das einfache Zugeständniß, daß kein Redner willkürlich vom Vorsitzenden Landtags¬ marschall unterbrochen werden darfund daß die Abstimmung, nicht wenn er den Schluß der Debatte verlangt, geschehen müsse, sondern erst wenn sie die Majorität wünscht, ist doch diese einfachste aller parla¬ mentarischen Regeln als eine Art Triumph betrachtet worden. Eine ständische Körperschaft, die so von vorn anfangen muß, die so Schritt für Schritt ihr wohlbegründetes, besiegeltes und beschworenes Recht dem Centralisationsund Alleinregierungsgelüsten der Büreaukratie abgewinnen muß, kann natürlicher Weise nicht sogleich das ganze Haus mit Dach und Giebel herstellen. Aber bereits die nächste Zeit wird es beweisen, von welchem edlen, muthvollen und wahrhaft patriotischen Geiste die niedervsterrcichische Ständeschaft beseelt ist und wie sie ihre Rechte nicht etwa im bornirten Interesse eines egoistischen Tory-Ari¬ stokratismus zu beleben sucht, sondern Hand in Hand mit dem wah¬ ren Interesse des ganzen Landes, vor Allem aber des Ackerbauers und des Proletariats. Eine Denkschrift, welche die niederösterreichischen Stände Sr. Majestät dem Kaiser durch den vor einigen Wochen ver¬ storbenen Grafen Goi;ß überreichen ließ — es war die letzte landstän- difche That des greisen Landmarschalls legt dem Auge des Mo¬ narchen die bedründetsten Beschwerden der Ständeschaft mit freimüthi¬ gen Worten vor, daß dieses Actenstück als eins der merkwürdigsten zu betrachten ist, was seit Jahren zwischen den Unterthanen und der Re¬ gierung gewechselt wurde. Vielleicht ist es mir später gegönnt, eine Analyse dieser merkwürdigen Denkschrift mitzutheilen. Da dies Acten¬ stück in den Händen Sr. Majestät des Kaisers sich befindet, so wäre es ungeziemend, den nähern Inhalt desselben zu veröffentlichen. Die beiden Hauptpunkte desselben sind: die Reklamation des alten Rechts der Steuerbewilligung und des Beiraths bei in¬ nern Angelegenheiten. Um jedoch einen Einblick in die Bewe¬ gung, in den Geschäftsgang und in den Geist der niederösterreichi¬ schen Ständeversammlung zu eröffnen, finde hier die Landtagserklärung der Stände vom Jahre 1844 einen Platz. Da dieses Actenstück ge¬ wissermaßen bereits der Geschichte angehört und die Veranlassung zu den gegenwärtigen Schritten gab, so glaube ich um so weniger eine Indiskretion durch seine Veröffentlichung zu begehen, als dasselbe zu¬ fällig in meine Hände gerathen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/336>, abgerufen am 24.07.2024.