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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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III.
Aus Wien.

Betrügereien. --- Die Accise und das Volk. -- Gerüchte. -- Main-Donau-Eanal.
-- Dingelstedt. -- Fränkl. --

Ich habe Ihnen geflissentlich über den kleinen Bäckerrummel, der
kürzlich hier in der Leopoldstadt vorgefallen ist nicht geschrieben, weil die
Sache an und für sich viel zu unbedeutend war; der ganze Lärm dauerte keine
Stunde, und als die Feuerspritze ankam, sei es nun, um die erhitzten
Köpfe zu kühlen, oder um sie durch den Vorwand einer anderweitigen
Feuersbrunst von diesem Platze wegzulocken, lief auch Alles auseinander.
Die Handwerksgesellen, welche den Lärm bei dem Bäcker ansingen, und
der Bäcker, dessen Geschäft als ein sogenanntes Polizeigewerbe dieser
Jurisdiction untersteht, werden von dieser Behörde vernommen, und
obgleich das Urtheil noch nicht bestimmt ist, milde wird es wohl kaum
ausfallen, man ist diese Satisfaction dem Volke schuldig , das dieser
Mann auf eine schändliche Art betrogen. Es fehlte an seinem Brode
ungefähr der sechste Theil des Gewichtes, und zudem ist man bei dieser
Gelegenheit, wo dann der Bürgermeister strenge Nachsuchung über Maß
und Gewicht bei den hiesigen Bäckern und Fleischern halten ließ, auch
noch auf ein wohlorganisirtes System der Täuschung aller Aufsicht ge¬
stoßen, indem manche Bäcker ein zweifaches Brod, ein ganz vollwichtiges
für den Fall einer Untersuchung und ein beträchtlich leichteres für den
allgemeinen Verkauf backen. Daß sie das betreffende schwere Brod im
Falle einer plötzlichen Untersuchung dem Commissär geschickt in die Hand
zu spielen verstanden, ist natürlich, um so mehr, da sich auch unsere un¬
teren Beamten auf solche praktische Handgriffe sehr gut verstehen. -- Der
Backer, den man auf so leichtem Ausbacken ertappte, war früher sogar
Zunftvorsteher gewesen, wie mag es der Mann erst damals getrieben
haben!

Seit man nun wieder gesehen hat, wie leicht aufregbar auch unser
Volk in Sachen der Nahrungsmittel ist, man glaubte sie schon ziemlich
an die seit Jahren immer zunehmende Theuerung gewöhnt -- ist neuer¬
dings wieder sehr viel von der Aufhebung der Accise die Rede, der ver¬
haßtesten Steuer, die bei uns besteht, und deren reiner Ertrag bei Wei¬
tem nicht in dem Verhältnisse zu dem dadurch immer mehr steigenden
Mißvergnügen des Volkes ist. Die Accise bringt kaum mehr als x
dessen, was sie dem Volke kostet, dem Staate ein, die anderen drei
Fünftel gehen für Besoldungen des dabei angestellten -Personals und
für Regie auf. Und wegen eines solchen unverhältnißmäßigen Ertrages
wird dem Lande eine Last aufgebürdet, welche, wie schon unzählige Male
bewiesen wurde, am allermeisten den Armen drückt, weswegen dieser auch
am allerersten gleich bereit ist, sich, wo er nur kann, Selbsthilfe zu ver¬
schaffen. Man würde gewiß jede andere Steuer gern und bei angemeft


III.
Aus Wien.

Betrügereien. --- Die Accise und das Volk. — Gerüchte. — Main-Donau-Eanal.
— Dingelstedt. — Fränkl. —

Ich habe Ihnen geflissentlich über den kleinen Bäckerrummel, der
kürzlich hier in der Leopoldstadt vorgefallen ist nicht geschrieben, weil die
Sache an und für sich viel zu unbedeutend war; der ganze Lärm dauerte keine
Stunde, und als die Feuerspritze ankam, sei es nun, um die erhitzten
Köpfe zu kühlen, oder um sie durch den Vorwand einer anderweitigen
Feuersbrunst von diesem Platze wegzulocken, lief auch Alles auseinander.
Die Handwerksgesellen, welche den Lärm bei dem Bäcker ansingen, und
der Bäcker, dessen Geschäft als ein sogenanntes Polizeigewerbe dieser
Jurisdiction untersteht, werden von dieser Behörde vernommen, und
obgleich das Urtheil noch nicht bestimmt ist, milde wird es wohl kaum
ausfallen, man ist diese Satisfaction dem Volke schuldig , das dieser
Mann auf eine schändliche Art betrogen. Es fehlte an seinem Brode
ungefähr der sechste Theil des Gewichtes, und zudem ist man bei dieser
Gelegenheit, wo dann der Bürgermeister strenge Nachsuchung über Maß
und Gewicht bei den hiesigen Bäckern und Fleischern halten ließ, auch
noch auf ein wohlorganisirtes System der Täuschung aller Aufsicht ge¬
stoßen, indem manche Bäcker ein zweifaches Brod, ein ganz vollwichtiges
für den Fall einer Untersuchung und ein beträchtlich leichteres für den
allgemeinen Verkauf backen. Daß sie das betreffende schwere Brod im
Falle einer plötzlichen Untersuchung dem Commissär geschickt in die Hand
zu spielen verstanden, ist natürlich, um so mehr, da sich auch unsere un¬
teren Beamten auf solche praktische Handgriffe sehr gut verstehen. — Der
Backer, den man auf so leichtem Ausbacken ertappte, war früher sogar
Zunftvorsteher gewesen, wie mag es der Mann erst damals getrieben
haben!

Seit man nun wieder gesehen hat, wie leicht aufregbar auch unser
Volk in Sachen der Nahrungsmittel ist, man glaubte sie schon ziemlich
an die seit Jahren immer zunehmende Theuerung gewöhnt — ist neuer¬
dings wieder sehr viel von der Aufhebung der Accise die Rede, der ver¬
haßtesten Steuer, die bei uns besteht, und deren reiner Ertrag bei Wei¬
tem nicht in dem Verhältnisse zu dem dadurch immer mehr steigenden
Mißvergnügen des Volkes ist. Die Accise bringt kaum mehr als x
dessen, was sie dem Volke kostet, dem Staate ein, die anderen drei
Fünftel gehen für Besoldungen des dabei angestellten -Personals und
für Regie auf. Und wegen eines solchen unverhältnißmäßigen Ertrages
wird dem Lande eine Last aufgebürdet, welche, wie schon unzählige Male
bewiesen wurde, am allermeisten den Armen drückt, weswegen dieser auch
am allerersten gleich bereit ist, sich, wo er nur kann, Selbsthilfe zu ver¬
schaffen. Man würde gewiß jede andere Steuer gern und bei angemeft


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[0318] III. Aus Wien. Betrügereien. --- Die Accise und das Volk. — Gerüchte. — Main-Donau-Eanal. — Dingelstedt. — Fränkl. — Ich habe Ihnen geflissentlich über den kleinen Bäckerrummel, der kürzlich hier in der Leopoldstadt vorgefallen ist nicht geschrieben, weil die Sache an und für sich viel zu unbedeutend war; der ganze Lärm dauerte keine Stunde, und als die Feuerspritze ankam, sei es nun, um die erhitzten Köpfe zu kühlen, oder um sie durch den Vorwand einer anderweitigen Feuersbrunst von diesem Platze wegzulocken, lief auch Alles auseinander. Die Handwerksgesellen, welche den Lärm bei dem Bäcker ansingen, und der Bäcker, dessen Geschäft als ein sogenanntes Polizeigewerbe dieser Jurisdiction untersteht, werden von dieser Behörde vernommen, und obgleich das Urtheil noch nicht bestimmt ist, milde wird es wohl kaum ausfallen, man ist diese Satisfaction dem Volke schuldig , das dieser Mann auf eine schändliche Art betrogen. Es fehlte an seinem Brode ungefähr der sechste Theil des Gewichtes, und zudem ist man bei dieser Gelegenheit, wo dann der Bürgermeister strenge Nachsuchung über Maß und Gewicht bei den hiesigen Bäckern und Fleischern halten ließ, auch noch auf ein wohlorganisirtes System der Täuschung aller Aufsicht ge¬ stoßen, indem manche Bäcker ein zweifaches Brod, ein ganz vollwichtiges für den Fall einer Untersuchung und ein beträchtlich leichteres für den allgemeinen Verkauf backen. Daß sie das betreffende schwere Brod im Falle einer plötzlichen Untersuchung dem Commissär geschickt in die Hand zu spielen verstanden, ist natürlich, um so mehr, da sich auch unsere un¬ teren Beamten auf solche praktische Handgriffe sehr gut verstehen. — Der Backer, den man auf so leichtem Ausbacken ertappte, war früher sogar Zunftvorsteher gewesen, wie mag es der Mann erst damals getrieben haben! Seit man nun wieder gesehen hat, wie leicht aufregbar auch unser Volk in Sachen der Nahrungsmittel ist, man glaubte sie schon ziemlich an die seit Jahren immer zunehmende Theuerung gewöhnt — ist neuer¬ dings wieder sehr viel von der Aufhebung der Accise die Rede, der ver¬ haßtesten Steuer, die bei uns besteht, und deren reiner Ertrag bei Wei¬ tem nicht in dem Verhältnisse zu dem dadurch immer mehr steigenden Mißvergnügen des Volkes ist. Die Accise bringt kaum mehr als x dessen, was sie dem Volke kostet, dem Staate ein, die anderen drei Fünftel gehen für Besoldungen des dabei angestellten -Personals und für Regie auf. Und wegen eines solchen unverhältnißmäßigen Ertrages wird dem Lande eine Last aufgebürdet, welche, wie schon unzählige Male bewiesen wurde, am allermeisten den Armen drückt, weswegen dieser auch am allerersten gleich bereit ist, sich, wo er nur kann, Selbsthilfe zu ver¬ schaffen. Man würde gewiß jede andere Steuer gern und bei angemeft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/318>, abgerufen am 04.07.2024.