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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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zu Hilft rufen, es entwickelte sich eine ebenso unpolitische Erneute,
wie jetzt in Eöln, und es setzte blutige Köpfe.

Ein Pariser, der seit !83le alle Revolutionen und Emeuten in der
Hauptstadt Frankreichs persönlich erlebt, sprach die individuelle Ueberzeu¬
gung aus, daß es ohne das Einschreiten der uniformirten Polizei und
Soldaten nie zu ernsthaften Emeuten kommen könnte. "Das Erscheinen
einer Uniform ist immer das "Signal des Losbrechens" sagt der Fran¬
zose, und die Erfahrung bestätigt allerdings, daß der Volksmuthwille,
wie der ernste Volksunwille fast immer beim Erscheinen un ifo rin i r t e r,
vom Volke besoldeter Menschen, ein bestimmtes Ziel seiner that¬
sächlichen Aeußerung erhält. Es gibt gar verschiedene Gründe, aus denen
ein Mensch vor einem andern Respect hat. Man respectirt z. B. den¬
jenigen, dem man Nahrung, Kleidung und Bildung verdankt, nicht aber
den, dessen Nahrung, Kleidung und Wohnung man baar bezahlt. Man
respectirt den, dem die Natur eine überlegene Macht des Geistes verlie¬
hen, auch den, der durch Muth, Klugheit und Todesverachtung den Feind
des Vaterlandes besiegt; aber nicht den, der seine geistigen und körperli¬
chen Vorzüge noch gar nicht bethätigt hat, und den man auf eigene Ko¬
sten erhält.

Das bekannte Raisonnement gegen die stehenden Heere und die nutz¬
losen Friedenssoldaten macht in solchen Augenblicken immer mit Erbitte¬
rung sich Luft und der gemeine Mann selbst denkt dabei über den Staats¬
haushalt nach. Awar hört er, daß die enormen Summen, die ein Staat
ausbringen muß (d.h. die von der Nation erhoben werden), um sein?
Armee zu besolden und zu erhalten, ja auch wieder im Lande verzehrt wür¬
den. "Das Geld bleibt ja alles im Lande!" Ja! und die frischen Ar¬
beitskräfte von tausend und abertausend jungen, kräftigen Mannern auch,
aber in welcher Form? -- als eine todte Materie! Gesetzt -- sagt das
Volksraisonnemcnt -- ein Gastwirth nimmt einen Menschen in sein Haus
am ersten Tag eines Jahres und gibt ihm sogleich bei seinem Eintritt
Ivvl) Mark. Der Mensch wohnt nun das ganze Jahr in dem Gasthof,
und hat am Schluß des Jahres die 1W0 Mark, die ihm der Wirth ge¬
geben, in dem Gasthof selbst verzehrt. Da hat der Wirth ein sauberes
Geschäft gemacht, nicht wahr? Der Mensch hatte freilich für die I0W
Mark in dem Gasthof etwas thun, dem Wirth einen reellen Nutzen schaf¬
fen sollen, denn er war gesund und stark. Er hatte auch gern etwas
gethan, aber es bot sich ihm das ganze Jahr auch nicht geringste Gele¬
genheit dar, etwas Anderes zu thun, als zu essen und zu trinken, seine
Kleidung sauber zu halten, sich zu rasiren und auszuruhen. Zu Hause,
im heimathlichen Dorfe, im Kreise seiner Familie hätte er allerdings
nützen können, denn sein Vater ist todt, die Mutter alt und schwach und
die Schwestern zu schwerer Arbeit nicht stark und geschickt genug; allein
von dem weit entfernten Gasthof aus konnte er nichts für sie thun, er
mußte dem Gastwirth die I0Vtt Mark zinslos wiedererstatten und seine
frischen, brauchbaren Kräfte brach liegen lassen.


zu Hilft rufen, es entwickelte sich eine ebenso unpolitische Erneute,
wie jetzt in Eöln, und es setzte blutige Köpfe.

Ein Pariser, der seit !83le alle Revolutionen und Emeuten in der
Hauptstadt Frankreichs persönlich erlebt, sprach die individuelle Ueberzeu¬
gung aus, daß es ohne das Einschreiten der uniformirten Polizei und
Soldaten nie zu ernsthaften Emeuten kommen könnte. „Das Erscheinen
einer Uniform ist immer das „Signal des Losbrechens" sagt der Fran¬
zose, und die Erfahrung bestätigt allerdings, daß der Volksmuthwille,
wie der ernste Volksunwille fast immer beim Erscheinen un ifo rin i r t e r,
vom Volke besoldeter Menschen, ein bestimmtes Ziel seiner that¬
sächlichen Aeußerung erhält. Es gibt gar verschiedene Gründe, aus denen
ein Mensch vor einem andern Respect hat. Man respectirt z. B. den¬
jenigen, dem man Nahrung, Kleidung und Bildung verdankt, nicht aber
den, dessen Nahrung, Kleidung und Wohnung man baar bezahlt. Man
respectirt den, dem die Natur eine überlegene Macht des Geistes verlie¬
hen, auch den, der durch Muth, Klugheit und Todesverachtung den Feind
des Vaterlandes besiegt; aber nicht den, der seine geistigen und körperli¬
chen Vorzüge noch gar nicht bethätigt hat, und den man auf eigene Ko¬
sten erhält.

Das bekannte Raisonnement gegen die stehenden Heere und die nutz¬
losen Friedenssoldaten macht in solchen Augenblicken immer mit Erbitte¬
rung sich Luft und der gemeine Mann selbst denkt dabei über den Staats¬
haushalt nach. Awar hört er, daß die enormen Summen, die ein Staat
ausbringen muß (d.h. die von der Nation erhoben werden), um sein?
Armee zu besolden und zu erhalten, ja auch wieder im Lande verzehrt wür¬
den. „Das Geld bleibt ja alles im Lande!" Ja! und die frischen Ar¬
beitskräfte von tausend und abertausend jungen, kräftigen Mannern auch,
aber in welcher Form? — als eine todte Materie! Gesetzt — sagt das
Volksraisonnemcnt — ein Gastwirth nimmt einen Menschen in sein Haus
am ersten Tag eines Jahres und gibt ihm sogleich bei seinem Eintritt
Ivvl) Mark. Der Mensch wohnt nun das ganze Jahr in dem Gasthof,
und hat am Schluß des Jahres die 1W0 Mark, die ihm der Wirth ge¬
geben, in dem Gasthof selbst verzehrt. Da hat der Wirth ein sauberes
Geschäft gemacht, nicht wahr? Der Mensch hatte freilich für die I0W
Mark in dem Gasthof etwas thun, dem Wirth einen reellen Nutzen schaf¬
fen sollen, denn er war gesund und stark. Er hatte auch gern etwas
gethan, aber es bot sich ihm das ganze Jahr auch nicht geringste Gele¬
genheit dar, etwas Anderes zu thun, als zu essen und zu trinken, seine
Kleidung sauber zu halten, sich zu rasiren und auszuruhen. Zu Hause,
im heimathlichen Dorfe, im Kreise seiner Familie hätte er allerdings
nützen können, denn sein Vater ist todt, die Mutter alt und schwach und
die Schwestern zu schwerer Arbeit nicht stark und geschickt genug; allein
von dem weit entfernten Gasthof aus konnte er nichts für sie thun, er
mußte dem Gastwirth die I0Vtt Mark zinslos wiedererstatten und seine
frischen, brauchbaren Kräfte brach liegen lassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/316>, abgerufen am 04.07.2024.