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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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auch meine Großeltem und den Kaplan Kauder. So oft ein Necrea-
tionstag war, eilte ich aus den Thoren der Stadt in's Freie, aber im¬
mer in der Richtung, nach welcher meine Heimach lag. Namentlich
war es ein sandiger Hügel, welchen ich gern bestieg, weil er mir eine
weite Aussicht in's flache Land gestattete. Ich stand auf der Spitze
desselben, wenn die Abendröthe am Himmel ging, und der erste Stern
ans den Wolken lächelte. Da zufällig meine Heimath auch nach We¬
sten lag, so schaute ich so lange in das flammende Roth, bis meine
Augen ansingen zu schmerzen. Oftmals wenn ich so lange hinstarrte,
kam es mir vor, als ob sich das liebe Dorf in dem brennenden Hori¬
zonte abzeichnete; ich glaubte dann den Kirchthurm zu sehen, das Haus
meiner Eltern, die Pappeln und Espen, den treuen Nero, der eben des
Nachbars Gänse aus dem Garten jagte u. s. w. Nach solchen Spa¬
ziergängen schlich ich jedes Mal traurig in die Stadt, las noch ein we¬
nig in Zumpt und legte mich hierauf zu Bette. --

Mit welcher Sehnsucht erwartete ich jedes Mal die Ferien! So
oft ich die Großmutter als Studente, -- so nannte sie mich immer --
besuchte, bewirthete sie mich prächtig. Sie sagte gewöhnlich, wenn ich
das erste Mal zu ihr kam: "Nun muß ich wohl wieder einmal den
Tiegel auf die Beine setzen. --" Es ist dies eine figürliche Redens¬
art, welche man übersetzen kann in: "Nun muß ich wohl wieder ein¬
mal Pfannkuchen backen. --" Und das that sie denn auch wirklich
und ich ließ mir die Delikatessen auf'ö Beste schmecken. Wenn ich wie¬
der von ihr Abschied nahm, um in die Gymnasialstadt zu reisen, so gab
sie mir jedes Mal einen Thaler.

Zwei und ein halbes Jahr waren mir verflossen auf dem Gym¬
nasium. Die Osterferien begannen und ich reiste nach Hause. Als
ich in die Wohnung der Eltern trat, fand ich die Mutter in Thränen
und auch den Vater sehr traurig.

"Was gibt es? was fehlt Euch? was ist vorgefallen?" -- Das
waren meine ersten Fragen und ich durfte nicht lange auf Antwort
warten. --

"Der Großvater ist gestorben," sagte die Mutter, -- "und es ist
gut, daß Du grade kommst. So kannst Du ihm doch das letzte Ge¬
leite geben." --

Es war am Pälmsonntage, als Großpapa begraben wurde. Das
Wetter schön und die Luft ungewöhnlich mild für eine so frühe Jah¬
reszeit. Es folgten der Leiche viele Weinende)'ein Zeichen, daß der


auch meine Großeltem und den Kaplan Kauder. So oft ein Necrea-
tionstag war, eilte ich aus den Thoren der Stadt in's Freie, aber im¬
mer in der Richtung, nach welcher meine Heimach lag. Namentlich
war es ein sandiger Hügel, welchen ich gern bestieg, weil er mir eine
weite Aussicht in's flache Land gestattete. Ich stand auf der Spitze
desselben, wenn die Abendröthe am Himmel ging, und der erste Stern
ans den Wolken lächelte. Da zufällig meine Heimath auch nach We¬
sten lag, so schaute ich so lange in das flammende Roth, bis meine
Augen ansingen zu schmerzen. Oftmals wenn ich so lange hinstarrte,
kam es mir vor, als ob sich das liebe Dorf in dem brennenden Hori¬
zonte abzeichnete; ich glaubte dann den Kirchthurm zu sehen, das Haus
meiner Eltern, die Pappeln und Espen, den treuen Nero, der eben des
Nachbars Gänse aus dem Garten jagte u. s. w. Nach solchen Spa¬
ziergängen schlich ich jedes Mal traurig in die Stadt, las noch ein we¬
nig in Zumpt und legte mich hierauf zu Bette. —

Mit welcher Sehnsucht erwartete ich jedes Mal die Ferien! So
oft ich die Großmutter als Studente, — so nannte sie mich immer —
besuchte, bewirthete sie mich prächtig. Sie sagte gewöhnlich, wenn ich
das erste Mal zu ihr kam: „Nun muß ich wohl wieder einmal den
Tiegel auf die Beine setzen. —" Es ist dies eine figürliche Redens¬
art, welche man übersetzen kann in: „Nun muß ich wohl wieder ein¬
mal Pfannkuchen backen. —" Und das that sie denn auch wirklich
und ich ließ mir die Delikatessen auf'ö Beste schmecken. Wenn ich wie¬
der von ihr Abschied nahm, um in die Gymnasialstadt zu reisen, so gab
sie mir jedes Mal einen Thaler.

Zwei und ein halbes Jahr waren mir verflossen auf dem Gym¬
nasium. Die Osterferien begannen und ich reiste nach Hause. Als
ich in die Wohnung der Eltern trat, fand ich die Mutter in Thränen
und auch den Vater sehr traurig.

„Was gibt es? was fehlt Euch? was ist vorgefallen?" — Das
waren meine ersten Fragen und ich durfte nicht lange auf Antwort
warten. —

„Der Großvater ist gestorben," sagte die Mutter, — „und es ist
gut, daß Du grade kommst. So kannst Du ihm doch das letzte Ge¬
leite geben." —

Es war am Pälmsonntage, als Großpapa begraben wurde. Das
Wetter schön und die Luft ungewöhnlich mild für eine so frühe Jah¬
reszeit. Es folgten der Leiche viele Weinende)'ein Zeichen, daß der


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[0308] auch meine Großeltem und den Kaplan Kauder. So oft ein Necrea- tionstag war, eilte ich aus den Thoren der Stadt in's Freie, aber im¬ mer in der Richtung, nach welcher meine Heimach lag. Namentlich war es ein sandiger Hügel, welchen ich gern bestieg, weil er mir eine weite Aussicht in's flache Land gestattete. Ich stand auf der Spitze desselben, wenn die Abendröthe am Himmel ging, und der erste Stern ans den Wolken lächelte. Da zufällig meine Heimath auch nach We¬ sten lag, so schaute ich so lange in das flammende Roth, bis meine Augen ansingen zu schmerzen. Oftmals wenn ich so lange hinstarrte, kam es mir vor, als ob sich das liebe Dorf in dem brennenden Hori¬ zonte abzeichnete; ich glaubte dann den Kirchthurm zu sehen, das Haus meiner Eltern, die Pappeln und Espen, den treuen Nero, der eben des Nachbars Gänse aus dem Garten jagte u. s. w. Nach solchen Spa¬ ziergängen schlich ich jedes Mal traurig in die Stadt, las noch ein we¬ nig in Zumpt und legte mich hierauf zu Bette. — Mit welcher Sehnsucht erwartete ich jedes Mal die Ferien! So oft ich die Großmutter als Studente, — so nannte sie mich immer — besuchte, bewirthete sie mich prächtig. Sie sagte gewöhnlich, wenn ich das erste Mal zu ihr kam: „Nun muß ich wohl wieder einmal den Tiegel auf die Beine setzen. —" Es ist dies eine figürliche Redens¬ art, welche man übersetzen kann in: „Nun muß ich wohl wieder ein¬ mal Pfannkuchen backen. —" Und das that sie denn auch wirklich und ich ließ mir die Delikatessen auf'ö Beste schmecken. Wenn ich wie¬ der von ihr Abschied nahm, um in die Gymnasialstadt zu reisen, so gab sie mir jedes Mal einen Thaler. Zwei und ein halbes Jahr waren mir verflossen auf dem Gym¬ nasium. Die Osterferien begannen und ich reiste nach Hause. Als ich in die Wohnung der Eltern trat, fand ich die Mutter in Thränen und auch den Vater sehr traurig. „Was gibt es? was fehlt Euch? was ist vorgefallen?" — Das waren meine ersten Fragen und ich durfte nicht lange auf Antwort warten. — „Der Großvater ist gestorben," sagte die Mutter, — „und es ist gut, daß Du grade kommst. So kannst Du ihm doch das letzte Ge¬ leite geben." — Es war am Pälmsonntage, als Großpapa begraben wurde. Das Wetter schön und die Luft ungewöhnlich mild für eine so frühe Jah¬ reszeit. Es folgten der Leiche viele Weinende)'ein Zeichen, daß der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/308>, abgerufen am 23.06.2024.