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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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starb früh, ebenso Cäsar, Pascal, der tiefsinnige französische Denker
war noch nicht vierzig, Byron war sechsunddreis-ig, Schiller sechsund¬
vierzig Jahre alt, als er starb; die Frau van Stcwl war in frühster
Jngend schon berühmt. -- Meine Großmutter ist siebenzig Jahre alt
geworden, und sie starb unberühmt. -- Sie hat keine socialen Ro¬
mane wie Madame Düdevant, kein Königöbuch geschrieben wie Bet¬
tina von Arnim; sie hat keine berühmte Gemälde gefertigt wie Ange¬
lika Kaufmann. -- Wenn Gott nicht mehr von ihr weiß als die
Welt, so ist sie vergessen. Aber nein! sie ist nicht vergesse". Ihr An¬
denken lebt fort in ihren Kindern und Enkeln ; es lebt fort in mir.
So leicht wird die Erinnerung an ihre Liebe, an ihr bescheidenes Walten,
an ihr runzelvolles Gesicht, an ihren gekrümmten Rücken, an ihr mil¬
des Lächeln nicht in meinem Gedächtnisse erlöschen. --

Ihr Leben floß geräuschlos hin wie der Bach auf weichem Sande
im Schatten; es ist dem Dasein eines Veilchens zu vergleichen, das
in einem stillen Thale der Erde entkeimt, einige Zeit blühet und duf¬
tet, sich der Sonne erfreut und des Schattens, und allmälig wellt
und stirbt. --

Meine Großmutter war in ihrer Jugend ein Bauermädchen, wel¬
ches im Sommer auf die Wiesen ging nach Grase, das die Kühe
fütterte, das beim Melken die schönsten Volkslieder mit Heller Stimme
sang, in der Ernte oft mit den Arbeitern auf das Feld ging und das
Getreide ebenso gut zu mähen verstand, wie der beste Knecht. -- Als
sie sich später mit einem jungen Burschen verheirathete, war sie eine
hübsche Bauersfrau. --

Doch dies Alles erzähle ich, wie schon bemerkt, nur nach dem
Berichte ihrer Altersgenossen; ich selbst habe sie nur als ein bejahrtes
Mütterchen gekannt, die täglich mit dem Morgenroth aufstand, in den
Stall ging, um ihre Kuh und ihre zwei Ziegen zu melken, hierauf ihr
frugales Frühstück zu sich nahm, und, sobald die Glocke erscholl, ihr
Gebetbuch nahm und in die Kirche zur Messe ging. --

Großmama war sehr fromm, und der Glaube an Gott, besonders
aber an die Mutter Gottes, die Engel und das Fortleben nach dem
Tode waren ihr das Höchste im Leben. Von der Zeit an, wo sie auf
den Auszug gegangen, hatte sie keinen Tag die Messe versäumt, wenn
sie nicht krank gewesen. -- Das Unwohlsein mußte aber schon bedeu¬
tend sein; ein leichter Schnupfen, Kopfweh und andere kleine Uebel,
die eine zarte Modedame Tage lang an's Zimmer fesseln, waren nicht
im Stande sie von dem Besuche des Gotteshauses abzuhalten. --


starb früh, ebenso Cäsar, Pascal, der tiefsinnige französische Denker
war noch nicht vierzig, Byron war sechsunddreis-ig, Schiller sechsund¬
vierzig Jahre alt, als er starb; die Frau van Stcwl war in frühster
Jngend schon berühmt. — Meine Großmutter ist siebenzig Jahre alt
geworden, und sie starb unberühmt. — Sie hat keine socialen Ro¬
mane wie Madame Düdevant, kein Königöbuch geschrieben wie Bet¬
tina von Arnim; sie hat keine berühmte Gemälde gefertigt wie Ange¬
lika Kaufmann. — Wenn Gott nicht mehr von ihr weiß als die
Welt, so ist sie vergessen. Aber nein! sie ist nicht vergesse». Ihr An¬
denken lebt fort in ihren Kindern und Enkeln ; es lebt fort in mir.
So leicht wird die Erinnerung an ihre Liebe, an ihr bescheidenes Walten,
an ihr runzelvolles Gesicht, an ihren gekrümmten Rücken, an ihr mil¬
des Lächeln nicht in meinem Gedächtnisse erlöschen. —

Ihr Leben floß geräuschlos hin wie der Bach auf weichem Sande
im Schatten; es ist dem Dasein eines Veilchens zu vergleichen, das
in einem stillen Thale der Erde entkeimt, einige Zeit blühet und duf¬
tet, sich der Sonne erfreut und des Schattens, und allmälig wellt
und stirbt. —

Meine Großmutter war in ihrer Jugend ein Bauermädchen, wel¬
ches im Sommer auf die Wiesen ging nach Grase, das die Kühe
fütterte, das beim Melken die schönsten Volkslieder mit Heller Stimme
sang, in der Ernte oft mit den Arbeitern auf das Feld ging und das
Getreide ebenso gut zu mähen verstand, wie der beste Knecht. — Als
sie sich später mit einem jungen Burschen verheirathete, war sie eine
hübsche Bauersfrau. —

Doch dies Alles erzähle ich, wie schon bemerkt, nur nach dem
Berichte ihrer Altersgenossen; ich selbst habe sie nur als ein bejahrtes
Mütterchen gekannt, die täglich mit dem Morgenroth aufstand, in den
Stall ging, um ihre Kuh und ihre zwei Ziegen zu melken, hierauf ihr
frugales Frühstück zu sich nahm, und, sobald die Glocke erscholl, ihr
Gebetbuch nahm und in die Kirche zur Messe ging. —

Großmama war sehr fromm, und der Glaube an Gott, besonders
aber an die Mutter Gottes, die Engel und das Fortleben nach dem
Tode waren ihr das Höchste im Leben. Von der Zeit an, wo sie auf
den Auszug gegangen, hatte sie keinen Tag die Messe versäumt, wenn
sie nicht krank gewesen. — Das Unwohlsein mußte aber schon bedeu¬
tend sein; ein leichter Schnupfen, Kopfweh und andere kleine Uebel,
die eine zarte Modedame Tage lang an's Zimmer fesseln, waren nicht
im Stande sie von dem Besuche des Gotteshauses abzuhalten. —


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[0301] starb früh, ebenso Cäsar, Pascal, der tiefsinnige französische Denker war noch nicht vierzig, Byron war sechsunddreis-ig, Schiller sechsund¬ vierzig Jahre alt, als er starb; die Frau van Stcwl war in frühster Jngend schon berühmt. — Meine Großmutter ist siebenzig Jahre alt geworden, und sie starb unberühmt. — Sie hat keine socialen Ro¬ mane wie Madame Düdevant, kein Königöbuch geschrieben wie Bet¬ tina von Arnim; sie hat keine berühmte Gemälde gefertigt wie Ange¬ lika Kaufmann. — Wenn Gott nicht mehr von ihr weiß als die Welt, so ist sie vergessen. Aber nein! sie ist nicht vergesse». Ihr An¬ denken lebt fort in ihren Kindern und Enkeln ; es lebt fort in mir. So leicht wird die Erinnerung an ihre Liebe, an ihr bescheidenes Walten, an ihr runzelvolles Gesicht, an ihren gekrümmten Rücken, an ihr mil¬ des Lächeln nicht in meinem Gedächtnisse erlöschen. — Ihr Leben floß geräuschlos hin wie der Bach auf weichem Sande im Schatten; es ist dem Dasein eines Veilchens zu vergleichen, das in einem stillen Thale der Erde entkeimt, einige Zeit blühet und duf¬ tet, sich der Sonne erfreut und des Schattens, und allmälig wellt und stirbt. — Meine Großmutter war in ihrer Jugend ein Bauermädchen, wel¬ ches im Sommer auf die Wiesen ging nach Grase, das die Kühe fütterte, das beim Melken die schönsten Volkslieder mit Heller Stimme sang, in der Ernte oft mit den Arbeitern auf das Feld ging und das Getreide ebenso gut zu mähen verstand, wie der beste Knecht. — Als sie sich später mit einem jungen Burschen verheirathete, war sie eine hübsche Bauersfrau. — Doch dies Alles erzähle ich, wie schon bemerkt, nur nach dem Berichte ihrer Altersgenossen; ich selbst habe sie nur als ein bejahrtes Mütterchen gekannt, die täglich mit dem Morgenroth aufstand, in den Stall ging, um ihre Kuh und ihre zwei Ziegen zu melken, hierauf ihr frugales Frühstück zu sich nahm, und, sobald die Glocke erscholl, ihr Gebetbuch nahm und in die Kirche zur Messe ging. — Großmama war sehr fromm, und der Glaube an Gott, besonders aber an die Mutter Gottes, die Engel und das Fortleben nach dem Tode waren ihr das Höchste im Leben. Von der Zeit an, wo sie auf den Auszug gegangen, hatte sie keinen Tag die Messe versäumt, wenn sie nicht krank gewesen. — Das Unwohlsein mußte aber schon bedeu¬ tend sein; ein leichter Schnupfen, Kopfweh und andere kleine Uebel, die eine zarte Modedame Tage lang an's Zimmer fesseln, waren nicht im Stande sie von dem Besuche des Gotteshauses abzuhalten. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/301>, abgerufen am 24.07.2024.