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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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großen, Hunderttausend" umfassenden Stadt zusammenfindet. Unter
den Kaufleuten, in dem, vom Hof und von der Bureaukratie unab¬
hängig gewordenen, höheren Bürgerthume, unter den Fabrikanten, un¬
ter den Juristen, Aerzten u. s. w. hat der Liberalismus einen bedeu¬
tenden Anhang, aber er hört auf, in der unteren Sphäre von Wir¬
kung zu sein. Der Geldbesitz und die Intelligenz vereinigen sich in
ihm, in ihren privilegirten Lebensstellungen, in der Forderung von ab-
stracten, politischen Rechten, bei welchen die Masse sich gar nichts zu
denken weiß. Die Macht des monarchischen und bureaukratischen
Principes in Berlin hemmt den Liberalismus vielfach in seiner freien,
äußeren Entwicklung, er kann deshalb keinen großartigen, sondern nur
einen kleinen Guerillakrieg führen. "

Wir haben hier zwei Gattungen von Liberalismus, einen, der
auf die Periode der Stein, der Hardenberg u. f. w. zurückwill und
einen Liberalismus, einen ganz modernen, der, durch die Erschüt¬
terungen der Julirevolution entwickelt, seit der Negierung des jetzi¬
gen Königs eine immer größere Ausdehnung erhalten hat. Der
zuerst bezeichnete Liberalismus macht sich noch hier und da, trotz vieler
widrigen Einflüsse, in unsern Beamtensphären geltend und er wird
dann specifisch-preußisch; der zweite Liberalismus ist der Liberalismus
unserer Presse, unseres unabhängig gewordenen Geldbesttzeö, unserer
Intelligenz. Er gestaltet sich in den verschiedenartigsten Nuancen und
hat bald eine mehr conservaiive, bald eine mehr radikale Färbung.
Der "gemäßigte" Fortschritt ist das eigentliche Element unseres höhern
Bürgerthumes und Herr Wönigcr war der Mann, welcher einige Zeit
hindurch dieses Gelüste durch seine sogenannten leitenden Artikel in der
vossischen Zeitung auf schvnrednerische Weise zu befriedigen suchte. Für
den in den Radikalismus übergehenden Liberalismus, der den Staat
nach der abstracten Sittlichkeitsidee zu messen pflegt, gibt es, aus poli¬
tisch-polizeilichen Gründen, in Berlin keine Organe und alle derartigen
Bemühungen, z. B. neulich noch der Versuch mit thu vier Monats¬
schriften, in denen die Herren Rutenberg, Zabel, Nauwerck, Mügge
und Volckmar ihre Partei zu sammeln suchten, haben an der Macht
der Preßpolizei scheitern müssen. Der radikale Liberalismus, wenn er
sich nicht in Büchern und Broschüren vernehmen läßt, ist auf die
auswärtige Zeitungspresse hinverwiesen und er verfolgt seinen schwie¬
rigen Weg fortwährend, ohne irre zu werden.

Es fehlt bei uns natürlich auch nicht an durchaus radikalen
Elementen auf dem Gebiete der Politik. Dieser Radikalismus steht


großen, Hunderttausend« umfassenden Stadt zusammenfindet. Unter
den Kaufleuten, in dem, vom Hof und von der Bureaukratie unab¬
hängig gewordenen, höheren Bürgerthume, unter den Fabrikanten, un¬
ter den Juristen, Aerzten u. s. w. hat der Liberalismus einen bedeu¬
tenden Anhang, aber er hört auf, in der unteren Sphäre von Wir¬
kung zu sein. Der Geldbesitz und die Intelligenz vereinigen sich in
ihm, in ihren privilegirten Lebensstellungen, in der Forderung von ab-
stracten, politischen Rechten, bei welchen die Masse sich gar nichts zu
denken weiß. Die Macht des monarchischen und bureaukratischen
Principes in Berlin hemmt den Liberalismus vielfach in seiner freien,
äußeren Entwicklung, er kann deshalb keinen großartigen, sondern nur
einen kleinen Guerillakrieg führen. "

Wir haben hier zwei Gattungen von Liberalismus, einen, der
auf die Periode der Stein, der Hardenberg u. f. w. zurückwill und
einen Liberalismus, einen ganz modernen, der, durch die Erschüt¬
terungen der Julirevolution entwickelt, seit der Negierung des jetzi¬
gen Königs eine immer größere Ausdehnung erhalten hat. Der
zuerst bezeichnete Liberalismus macht sich noch hier und da, trotz vieler
widrigen Einflüsse, in unsern Beamtensphären geltend und er wird
dann specifisch-preußisch; der zweite Liberalismus ist der Liberalismus
unserer Presse, unseres unabhängig gewordenen Geldbesttzeö, unserer
Intelligenz. Er gestaltet sich in den verschiedenartigsten Nuancen und
hat bald eine mehr conservaiive, bald eine mehr radikale Färbung.
Der „gemäßigte" Fortschritt ist das eigentliche Element unseres höhern
Bürgerthumes und Herr Wönigcr war der Mann, welcher einige Zeit
hindurch dieses Gelüste durch seine sogenannten leitenden Artikel in der
vossischen Zeitung auf schvnrednerische Weise zu befriedigen suchte. Für
den in den Radikalismus übergehenden Liberalismus, der den Staat
nach der abstracten Sittlichkeitsidee zu messen pflegt, gibt es, aus poli¬
tisch-polizeilichen Gründen, in Berlin keine Organe und alle derartigen
Bemühungen, z. B. neulich noch der Versuch mit thu vier Monats¬
schriften, in denen die Herren Rutenberg, Zabel, Nauwerck, Mügge
und Volckmar ihre Partei zu sammeln suchten, haben an der Macht
der Preßpolizei scheitern müssen. Der radikale Liberalismus, wenn er
sich nicht in Büchern und Broschüren vernehmen läßt, ist auf die
auswärtige Zeitungspresse hinverwiesen und er verfolgt seinen schwie¬
rigen Weg fortwährend, ohne irre zu werden.

Es fehlt bei uns natürlich auch nicht an durchaus radikalen
Elementen auf dem Gebiete der Politik. Dieser Radikalismus steht


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[0284] großen, Hunderttausend« umfassenden Stadt zusammenfindet. Unter den Kaufleuten, in dem, vom Hof und von der Bureaukratie unab¬ hängig gewordenen, höheren Bürgerthume, unter den Fabrikanten, un¬ ter den Juristen, Aerzten u. s. w. hat der Liberalismus einen bedeu¬ tenden Anhang, aber er hört auf, in der unteren Sphäre von Wir¬ kung zu sein. Der Geldbesitz und die Intelligenz vereinigen sich in ihm, in ihren privilegirten Lebensstellungen, in der Forderung von ab- stracten, politischen Rechten, bei welchen die Masse sich gar nichts zu denken weiß. Die Macht des monarchischen und bureaukratischen Principes in Berlin hemmt den Liberalismus vielfach in seiner freien, äußeren Entwicklung, er kann deshalb keinen großartigen, sondern nur einen kleinen Guerillakrieg führen. " Wir haben hier zwei Gattungen von Liberalismus, einen, der auf die Periode der Stein, der Hardenberg u. f. w. zurückwill und einen Liberalismus, einen ganz modernen, der, durch die Erschüt¬ terungen der Julirevolution entwickelt, seit der Negierung des jetzi¬ gen Königs eine immer größere Ausdehnung erhalten hat. Der zuerst bezeichnete Liberalismus macht sich noch hier und da, trotz vieler widrigen Einflüsse, in unsern Beamtensphären geltend und er wird dann specifisch-preußisch; der zweite Liberalismus ist der Liberalismus unserer Presse, unseres unabhängig gewordenen Geldbesttzeö, unserer Intelligenz. Er gestaltet sich in den verschiedenartigsten Nuancen und hat bald eine mehr conservaiive, bald eine mehr radikale Färbung. Der „gemäßigte" Fortschritt ist das eigentliche Element unseres höhern Bürgerthumes und Herr Wönigcr war der Mann, welcher einige Zeit hindurch dieses Gelüste durch seine sogenannten leitenden Artikel in der vossischen Zeitung auf schvnrednerische Weise zu befriedigen suchte. Für den in den Radikalismus übergehenden Liberalismus, der den Staat nach der abstracten Sittlichkeitsidee zu messen pflegt, gibt es, aus poli¬ tisch-polizeilichen Gründen, in Berlin keine Organe und alle derartigen Bemühungen, z. B. neulich noch der Versuch mit thu vier Monats¬ schriften, in denen die Herren Rutenberg, Zabel, Nauwerck, Mügge und Volckmar ihre Partei zu sammeln suchten, haben an der Macht der Preßpolizei scheitern müssen. Der radikale Liberalismus, wenn er sich nicht in Büchern und Broschüren vernehmen läßt, ist auf die auswärtige Zeitungspresse hinverwiesen und er verfolgt seinen schwie¬ rigen Weg fortwährend, ohne irre zu werden. Es fehlt bei uns natürlich auch nicht an durchaus radikalen Elementen auf dem Gebiete der Politik. Dieser Radikalismus steht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/284>, abgerufen am 24.07.2024.