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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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friedigt und getragen werden, den Meditationen des Künstlers günsti¬
ger sind, und daß die Werke, die sie hervorbringen, den Stempel der
Schönheit vollständiger an sich tragen. Aber darum sind die Perio¬
den der Krisis und der Gährung nicht so unfruchtbar, als man meint,
und eine so sonderbare Entsagung muß uns befremden. Wie! wir
sollen bessere Zeiten abwarten, auf hundert Jahre Poesie und Phan^
laste verabschieden und ihnen mühsam eine neue Stätte bereiten. als
ob diese freien Göttinnen sich an bürgerlichen Vorschriften binden
müßten, als ob sie nicht mitten in der socialen Arbeit der Zeit gün¬
stige Momente finden und dem Ruf des Genius folgen könnten!

Während Gervinus einen Stillstand in der Poesie anrieth und
der kritischen Sichtung der Literatur entsagte, haben andere Kritiker,
die wie er von den feinsten Tendenzen beseelt waren, mit Aufmerksam¬
keit die Anstrengungen der neuen Generation beobachtet. Wir haben
schon früher unsere Sympathien für jene ersten Nummern der halli-
schen Jahrbücher ausgesprochen, wo die ausgezeichnetsten Leistungen in
der literarischen und philosophischen Kritik ans eine streitlustige, gei¬
stesfrische Schaar hinwiesen, ähnlich den Mitarbeitern des "Globe"
unter der Restauration. Herr Arnold Rüge und feine Freunde leiste¬
ten wahre Dienste in den ersten Monaten ihres glänzenden kritischen
Feldzuges; sie machten auf die doppelte Geißel der gleichzeitigen Lite¬
ratur aufmerksam, den Indifferentismus der Hochschulen und die ari¬
stokratischen Frivolitäten der Modeerzähler. Sie weckten die Universi¬
täten aus ihrem Schlaf und züchtigten, wie sich gebührt, die Voltai-
rianer des jungen Deutschlands. Es sind dies wirkliche Verdienste,
welche die Literaturgeschichte ihnen nicht vergessen wird. Warum mu߬
ten sie diese treffliche Richtung so schnell aufgeben? Warum mußte
dieser liberalen und gesunden Kritik so schnell ein intoleranler, eifer¬
süchtiger Sectengeist folgen? Gervinus meinte, mau müsse sich um
eine Literatur, die er verurtheilte, nicht kümmern; er ließ sie aus's Ge-
rathewohl weiter gehen und hielt sie eines guten Raths für unwür¬
dig; die Mitarbeiter der hallischen Jahrbücher warfen sich in's ent¬
gegengesetzte Ertrem: sie hatten den Ehrgeiz, zu herrsche", und so des¬
potisch zu herrschen, daß sie bald alle Producte des Genius an die
trocknen und engen Formeln der jungen hegel'sehen Schule fesseln
wollten. So brachten sie sich selbst um ihren Credit, und die öffent¬
liche Meinung ließ ein Unternehmen fallen (?), das mit Glanz und
Kraft begonnen ward.

Zwischen diesen beiden Systemen, zwischen der stolzen Gleichgil-


friedigt und getragen werden, den Meditationen des Künstlers günsti¬
ger sind, und daß die Werke, die sie hervorbringen, den Stempel der
Schönheit vollständiger an sich tragen. Aber darum sind die Perio¬
den der Krisis und der Gährung nicht so unfruchtbar, als man meint,
und eine so sonderbare Entsagung muß uns befremden. Wie! wir
sollen bessere Zeiten abwarten, auf hundert Jahre Poesie und Phan^
laste verabschieden und ihnen mühsam eine neue Stätte bereiten. als
ob diese freien Göttinnen sich an bürgerlichen Vorschriften binden
müßten, als ob sie nicht mitten in der socialen Arbeit der Zeit gün¬
stige Momente finden und dem Ruf des Genius folgen könnten!

Während Gervinus einen Stillstand in der Poesie anrieth und
der kritischen Sichtung der Literatur entsagte, haben andere Kritiker,
die wie er von den feinsten Tendenzen beseelt waren, mit Aufmerksam¬
keit die Anstrengungen der neuen Generation beobachtet. Wir haben
schon früher unsere Sympathien für jene ersten Nummern der halli-
schen Jahrbücher ausgesprochen, wo die ausgezeichnetsten Leistungen in
der literarischen und philosophischen Kritik ans eine streitlustige, gei¬
stesfrische Schaar hinwiesen, ähnlich den Mitarbeitern des „Globe"
unter der Restauration. Herr Arnold Rüge und feine Freunde leiste¬
ten wahre Dienste in den ersten Monaten ihres glänzenden kritischen
Feldzuges; sie machten auf die doppelte Geißel der gleichzeitigen Lite¬
ratur aufmerksam, den Indifferentismus der Hochschulen und die ari¬
stokratischen Frivolitäten der Modeerzähler. Sie weckten die Universi¬
täten aus ihrem Schlaf und züchtigten, wie sich gebührt, die Voltai-
rianer des jungen Deutschlands. Es sind dies wirkliche Verdienste,
welche die Literaturgeschichte ihnen nicht vergessen wird. Warum mu߬
ten sie diese treffliche Richtung so schnell aufgeben? Warum mußte
dieser liberalen und gesunden Kritik so schnell ein intoleranler, eifer¬
süchtiger Sectengeist folgen? Gervinus meinte, mau müsse sich um
eine Literatur, die er verurtheilte, nicht kümmern; er ließ sie aus's Ge-
rathewohl weiter gehen und hielt sie eines guten Raths für unwür¬
dig; die Mitarbeiter der hallischen Jahrbücher warfen sich in's ent¬
gegengesetzte Ertrem: sie hatten den Ehrgeiz, zu herrsche», und so des¬
potisch zu herrschen, daß sie bald alle Producte des Genius an die
trocknen und engen Formeln der jungen hegel'sehen Schule fesseln
wollten. So brachten sie sich selbst um ihren Credit, und die öffent¬
liche Meinung ließ ein Unternehmen fallen (?), das mit Glanz und
Kraft begonnen ward.

Zwischen diesen beiden Systemen, zwischen der stolzen Gleichgil-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/28>, abgerufen am 24.07.2024.