Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lant für seinen Platz zwei Schilling (I gGr.) zahlt; in dem ersten wird
nun täglich eine Posse "die falsche Jenny Lind" wiederholt, in dem
zweiten macht eine Jenny Lind im "Nachtlager/" "Nachtwandlerin,"
"Norma" volle Hauser. Man könnte diesen Scandal, dem die Polizei
volle Freiheit läßt, altenglischen Humor nennen, wenn Hamburg nicht
an der Elbe läge. Aber eigenthümlich ist dieser Scandal doch, und ich
bin überzeugt, daß jeder Fremde, der nicht in dieser "großstädtischen In¬
dolenz" als Abfall der hamburgischen Aristokratie groß geworden ist,
sich dabei amüsirt. Der Hamburger Volkston ist im Ganzen ungleich
frischer, kerniger und elastischer als der Berliner und Wiener, wo Alles
doch am Ende auf eine Nuance der Rede- und Sprachweise hinauslauft.
Was aber den Lind-Wucher anbetrifft, die jeden Abend, nicht wie frü¬
her 50, sondern jetzt 100 Louisd'or bekommen soll, so müßte auch da¬
rüber einmal ein ernstes Wort gebracht werden. Wie schröpfen solche
Gäste die ganze Bevölkerung, wie wirken sie auf den Pauperismus zu¬
rück. (?) Man sollte in der That dieses Capitel des Kunsttreibens von
dieser Seite einmal ernstlich beleuchten. Früher, als nur drei Mal die
Woche in großen Städten gespielt werden durste, da konnten die Leute
etwas ersparen, jetzt gibt es alle Tage neue zahllose Reizmittel, die
Theater sind Wucheranstalten für Sängerinnen, Schauspieler, Directoren
und für wahre Seelenerhebung in denselben wird nicht das Geringste
gethan. Die Directoren, Cornet und Mühling, machen ebenso dieses
letzte Jahr ihrer Regie noch andere Geschäfte. Es ist ihnen früher schon
nachgerechnet worden, daß sie bei diesen doppelten Preisen (erster Rang
fast 2 Thlr. pr.) trotz des Honorares jeden Abend 8--900 Thlr. rein
Geld haben. An gleicher Zeit springt im Thalia-Theater tagtäglich das
Price-Kinderballet neben französischen Fadaisen, während daneben hier wie
im Stadttheater Jffland und Consorten floriren. Ich sollte Ihnen nichts
vom Theater einmischen, allein die Hamburger Oeffentlichkeit besteht ei¬
gentlich nur aus Theater-Jammer.

Ferner haben die Earicaturen den sogenannten Volkspoeten und
Pamphletisten Wilhelm Hocker zum Gegenstand gehabt, der einer
durch Actien begründeten europäischen Weinhalle vorstand und in diesen
Tagen einen unerhörten anrüchigen Bankerott machte. Man treibt ihm
jetzt seine Pamphletlust reichlich zu Hause. Hohn und Spott auf allen
Ecken! Das ist nach der "Torhalle," welche nach dem Feuer von ei¬
nem gewissen Musiklehrer Groß in's Leben gebracht wurde, denn das
zweite derartige Gebäude oder Institut, welches mit Schrecken sich auf¬
löst. Ja, es geht trotz der weißen Häusertünche, jetzt bunt her im alten
Hamburg. Das in diesen Tagen stattfindende "Wettrennen" ist auch
schon durch ein angezeigtes "Esel-Wettrennen" mit einem Kameel (Hocker)
an der Spitze, persistirt worden. Auch zum "Wettrudern und -- Wett¬
segeln," zur Förderung der -- Leibesübung.

Die Polizei hat in diesen Tagen zu wiederholten Malen ein Man¬
dat erlassen, welches eine unheimliche, schauerliche Perspektive auf gewisse


lant für seinen Platz zwei Schilling (I gGr.) zahlt; in dem ersten wird
nun täglich eine Posse „die falsche Jenny Lind" wiederholt, in dem
zweiten macht eine Jenny Lind im „Nachtlager/" „Nachtwandlerin,"
„Norma" volle Hauser. Man könnte diesen Scandal, dem die Polizei
volle Freiheit läßt, altenglischen Humor nennen, wenn Hamburg nicht
an der Elbe läge. Aber eigenthümlich ist dieser Scandal doch, und ich
bin überzeugt, daß jeder Fremde, der nicht in dieser „großstädtischen In¬
dolenz" als Abfall der hamburgischen Aristokratie groß geworden ist,
sich dabei amüsirt. Der Hamburger Volkston ist im Ganzen ungleich
frischer, kerniger und elastischer als der Berliner und Wiener, wo Alles
doch am Ende auf eine Nuance der Rede- und Sprachweise hinauslauft.
Was aber den Lind-Wucher anbetrifft, die jeden Abend, nicht wie frü¬
her 50, sondern jetzt 100 Louisd'or bekommen soll, so müßte auch da¬
rüber einmal ein ernstes Wort gebracht werden. Wie schröpfen solche
Gäste die ganze Bevölkerung, wie wirken sie auf den Pauperismus zu¬
rück. (?) Man sollte in der That dieses Capitel des Kunsttreibens von
dieser Seite einmal ernstlich beleuchten. Früher, als nur drei Mal die
Woche in großen Städten gespielt werden durste, da konnten die Leute
etwas ersparen, jetzt gibt es alle Tage neue zahllose Reizmittel, die
Theater sind Wucheranstalten für Sängerinnen, Schauspieler, Directoren
und für wahre Seelenerhebung in denselben wird nicht das Geringste
gethan. Die Directoren, Cornet und Mühling, machen ebenso dieses
letzte Jahr ihrer Regie noch andere Geschäfte. Es ist ihnen früher schon
nachgerechnet worden, daß sie bei diesen doppelten Preisen (erster Rang
fast 2 Thlr. pr.) trotz des Honorares jeden Abend 8—900 Thlr. rein
Geld haben. An gleicher Zeit springt im Thalia-Theater tagtäglich das
Price-Kinderballet neben französischen Fadaisen, während daneben hier wie
im Stadttheater Jffland und Consorten floriren. Ich sollte Ihnen nichts
vom Theater einmischen, allein die Hamburger Oeffentlichkeit besteht ei¬
gentlich nur aus Theater-Jammer.

Ferner haben die Earicaturen den sogenannten Volkspoeten und
Pamphletisten Wilhelm Hocker zum Gegenstand gehabt, der einer
durch Actien begründeten europäischen Weinhalle vorstand und in diesen
Tagen einen unerhörten anrüchigen Bankerott machte. Man treibt ihm
jetzt seine Pamphletlust reichlich zu Hause. Hohn und Spott auf allen
Ecken! Das ist nach der „Torhalle," welche nach dem Feuer von ei¬
nem gewissen Musiklehrer Groß in's Leben gebracht wurde, denn das
zweite derartige Gebäude oder Institut, welches mit Schrecken sich auf¬
löst. Ja, es geht trotz der weißen Häusertünche, jetzt bunt her im alten
Hamburg. Das in diesen Tagen stattfindende „Wettrennen" ist auch
schon durch ein angezeigtes „Esel-Wettrennen" mit einem Kameel (Hocker)
an der Spitze, persistirt worden. Auch zum „Wettrudern und — Wett¬
segeln," zur Förderung der — Leibesübung.

Die Polizei hat in diesen Tagen zu wiederholten Malen ein Man¬
dat erlassen, welches eine unheimliche, schauerliche Perspektive auf gewisse


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183297"/>
            <p xml:id="ID_842" prev="#ID_841"> lant für seinen Platz zwei Schilling (I gGr.) zahlt; in dem ersten wird<lb/>
nun täglich eine Posse &#x201E;die falsche Jenny Lind" wiederholt, in dem<lb/>
zweiten macht eine Jenny Lind im &#x201E;Nachtlager/" &#x201E;Nachtwandlerin,"<lb/>
&#x201E;Norma" volle Hauser. Man könnte diesen Scandal, dem die Polizei<lb/>
volle Freiheit läßt, altenglischen Humor nennen, wenn Hamburg nicht<lb/>
an der Elbe läge. Aber eigenthümlich ist dieser Scandal doch, und ich<lb/>
bin überzeugt, daß jeder Fremde, der nicht in dieser &#x201E;großstädtischen In¬<lb/>
dolenz" als Abfall der hamburgischen Aristokratie groß geworden ist,<lb/>
sich dabei amüsirt. Der Hamburger Volkston ist im Ganzen ungleich<lb/>
frischer, kerniger und elastischer als der Berliner und Wiener, wo Alles<lb/>
doch am Ende auf eine Nuance der Rede- und Sprachweise hinauslauft.<lb/>
Was aber den Lind-Wucher anbetrifft, die jeden Abend, nicht wie frü¬<lb/>
her 50, sondern jetzt 100 Louisd'or bekommen soll, so müßte auch da¬<lb/>
rüber einmal ein ernstes Wort gebracht werden. Wie schröpfen solche<lb/>
Gäste die ganze Bevölkerung, wie wirken sie auf den Pauperismus zu¬<lb/>
rück. (?) Man sollte in der That dieses Capitel des Kunsttreibens von<lb/>
dieser Seite einmal ernstlich beleuchten. Früher, als nur drei Mal die<lb/>
Woche in großen Städten gespielt werden durste, da konnten die Leute<lb/>
etwas ersparen, jetzt gibt es alle Tage neue zahllose Reizmittel, die<lb/>
Theater sind Wucheranstalten für Sängerinnen, Schauspieler, Directoren<lb/>
und für wahre Seelenerhebung in denselben wird nicht das Geringste<lb/>
gethan. Die Directoren, Cornet und Mühling, machen ebenso dieses<lb/>
letzte Jahr ihrer Regie noch andere Geschäfte. Es ist ihnen früher schon<lb/>
nachgerechnet worden, daß sie bei diesen doppelten Preisen (erster Rang<lb/>
fast 2 Thlr. pr.) trotz des Honorares jeden Abend 8&#x2014;900 Thlr. rein<lb/>
Geld haben. An gleicher Zeit springt im Thalia-Theater tagtäglich das<lb/>
Price-Kinderballet neben französischen Fadaisen, während daneben hier wie<lb/>
im Stadttheater Jffland und Consorten floriren. Ich sollte Ihnen nichts<lb/>
vom Theater einmischen, allein die Hamburger Oeffentlichkeit besteht ei¬<lb/>
gentlich nur aus Theater-Jammer.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_843"> Ferner haben die Earicaturen den sogenannten Volkspoeten und<lb/>
Pamphletisten Wilhelm Hocker zum Gegenstand gehabt, der einer<lb/>
durch Actien begründeten europäischen Weinhalle vorstand und in diesen<lb/>
Tagen einen unerhörten anrüchigen Bankerott machte. Man treibt ihm<lb/>
jetzt seine Pamphletlust reichlich zu Hause. Hohn und Spott auf allen<lb/>
Ecken! Das ist nach der &#x201E;Torhalle," welche nach dem Feuer von ei¬<lb/>
nem gewissen Musiklehrer Groß in's Leben gebracht wurde, denn das<lb/>
zweite derartige Gebäude oder Institut, welches mit Schrecken sich auf¬<lb/>
löst. Ja, es geht trotz der weißen Häusertünche, jetzt bunt her im alten<lb/>
Hamburg. Das in diesen Tagen stattfindende &#x201E;Wettrennen" ist auch<lb/>
schon durch ein angezeigtes &#x201E;Esel-Wettrennen" mit einem Kameel (Hocker)<lb/>
an der Spitze, persistirt worden. Auch zum &#x201E;Wettrudern und &#x2014; Wett¬<lb/>
segeln," zur Förderung der &#x2014; Leibesübung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_844" next="#ID_845"> Die Polizei hat in diesen Tagen zu wiederholten Malen ein Man¬<lb/>
dat erlassen, welches eine unheimliche, schauerliche Perspektive auf gewisse</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] lant für seinen Platz zwei Schilling (I gGr.) zahlt; in dem ersten wird nun täglich eine Posse „die falsche Jenny Lind" wiederholt, in dem zweiten macht eine Jenny Lind im „Nachtlager/" „Nachtwandlerin," „Norma" volle Hauser. Man könnte diesen Scandal, dem die Polizei volle Freiheit läßt, altenglischen Humor nennen, wenn Hamburg nicht an der Elbe läge. Aber eigenthümlich ist dieser Scandal doch, und ich bin überzeugt, daß jeder Fremde, der nicht in dieser „großstädtischen In¬ dolenz" als Abfall der hamburgischen Aristokratie groß geworden ist, sich dabei amüsirt. Der Hamburger Volkston ist im Ganzen ungleich frischer, kerniger und elastischer als der Berliner und Wiener, wo Alles doch am Ende auf eine Nuance der Rede- und Sprachweise hinauslauft. Was aber den Lind-Wucher anbetrifft, die jeden Abend, nicht wie frü¬ her 50, sondern jetzt 100 Louisd'or bekommen soll, so müßte auch da¬ rüber einmal ein ernstes Wort gebracht werden. Wie schröpfen solche Gäste die ganze Bevölkerung, wie wirken sie auf den Pauperismus zu¬ rück. (?) Man sollte in der That dieses Capitel des Kunsttreibens von dieser Seite einmal ernstlich beleuchten. Früher, als nur drei Mal die Woche in großen Städten gespielt werden durste, da konnten die Leute etwas ersparen, jetzt gibt es alle Tage neue zahllose Reizmittel, die Theater sind Wucheranstalten für Sängerinnen, Schauspieler, Directoren und für wahre Seelenerhebung in denselben wird nicht das Geringste gethan. Die Directoren, Cornet und Mühling, machen ebenso dieses letzte Jahr ihrer Regie noch andere Geschäfte. Es ist ihnen früher schon nachgerechnet worden, daß sie bei diesen doppelten Preisen (erster Rang fast 2 Thlr. pr.) trotz des Honorares jeden Abend 8—900 Thlr. rein Geld haben. An gleicher Zeit springt im Thalia-Theater tagtäglich das Price-Kinderballet neben französischen Fadaisen, während daneben hier wie im Stadttheater Jffland und Consorten floriren. Ich sollte Ihnen nichts vom Theater einmischen, allein die Hamburger Oeffentlichkeit besteht ei¬ gentlich nur aus Theater-Jammer. Ferner haben die Earicaturen den sogenannten Volkspoeten und Pamphletisten Wilhelm Hocker zum Gegenstand gehabt, der einer durch Actien begründeten europäischen Weinhalle vorstand und in diesen Tagen einen unerhörten anrüchigen Bankerott machte. Man treibt ihm jetzt seine Pamphletlust reichlich zu Hause. Hohn und Spott auf allen Ecken! Das ist nach der „Torhalle," welche nach dem Feuer von ei¬ nem gewissen Musiklehrer Groß in's Leben gebracht wurde, denn das zweite derartige Gebäude oder Institut, welches mit Schrecken sich auf¬ löst. Ja, es geht trotz der weißen Häusertünche, jetzt bunt her im alten Hamburg. Das in diesen Tagen stattfindende „Wettrennen" ist auch schon durch ein angezeigtes „Esel-Wettrennen" mit einem Kameel (Hocker) an der Spitze, persistirt worden. Auch zum „Wettrudern und — Wett¬ segeln," zur Förderung der — Leibesübung. Die Polizei hat in diesen Tagen zu wiederholten Malen ein Man¬ dat erlassen, welches eine unheimliche, schauerliche Perspektive auf gewisse

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/276>, abgerufen am 24.07.2024.