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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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In Mitte" solcher Verirrungen poetischer Geister, wie wohl thut
es einem Dichter zu begegnen, der wieder ein Mal zur Einfachheit zu¬
rückkehrt und den einfachen Apparat seiner Poesie eben mit Poesie zu
handhaben weiß. Ein solcher Poet ist Gottfried Keller, ein
Schweizer. Wahrlich, es fehlt ihm weder an politischer, noch an phi¬
losophischer Bildung; aber er hat es verschmäht, mit beiden in seinen
Gedichten zu prunken. Wo er auf Politik und Religion zu sprechen
kommt, da nimmt er plötzlich einen volkstümlichen Ton an wie in
dem Refrain des Jesuitenliedes:

Ja, weine nur, du armes Kind,
Bom Gotthard weht "in scharfer Wind,
Sie kommen, die Jesuiten!

und vermeidet durch denselben jedes Coquettiren mit der Zeit, singt aber
doch frei heraus Alles, was er auf seinem treuen Schweizer!)erzen hat.

Keller hat manches schöne erotische Lied gedichtet und reizende
Naturschilderungen entworfen. Er zeichnet in kühnen Umrissen seine
Geliebte, die blauen Wiesen und den dunkeln Forst, und oft wird sein
Griffel so keck, wie der seines Freundes, des Malers, von dem er
singt:

Seine Verse sind überaus wohllautend. Zuweilen bemerkt man
in Keller's Gedichten leise Spuren vou einem Einflüsse Herweghs,
jedoch seltsamer Weise in den politischen am wenigsten. Das Gedicht:
Ich ging an grünen Bergcshag (S. 133) erinnert z. B. an Herweghs:
"Mein einz'ger Reichthum ist mein Lied," aber es zeichnet sich vor
demselben aus durch eine vollkommnere Einheit des Gedankens mit
dem Bilde.

Keller erzählt in diesem Gedichte seinem Liebchen, wie sein Gott
"in des Bergs frischjugendgrüner Eichensaat" zu ihm getreten sei:

Es traf mich seines Auges Strahl
Wie warmer Sonnenschein im Mai,
Und als er meinen Namen sprach,
Erhob mein Haupt sich stolz und frei:
Ich wuchs und blühte rasch empor.
Daß ich mir selbst ein Wunder schien.
Und wandelte mit leichtem Schritt
An Gottes hehrer Seite hin.

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In Mitte» solcher Verirrungen poetischer Geister, wie wohl thut
es einem Dichter zu begegnen, der wieder ein Mal zur Einfachheit zu¬
rückkehrt und den einfachen Apparat seiner Poesie eben mit Poesie zu
handhaben weiß. Ein solcher Poet ist Gottfried Keller, ein
Schweizer. Wahrlich, es fehlt ihm weder an politischer, noch an phi¬
losophischer Bildung; aber er hat es verschmäht, mit beiden in seinen
Gedichten zu prunken. Wo er auf Politik und Religion zu sprechen
kommt, da nimmt er plötzlich einen volkstümlichen Ton an wie in
dem Refrain des Jesuitenliedes:

Ja, weine nur, du armes Kind,
Bom Gotthard weht «in scharfer Wind,
Sie kommen, die Jesuiten!

und vermeidet durch denselben jedes Coquettiren mit der Zeit, singt aber
doch frei heraus Alles, was er auf seinem treuen Schweizer!)erzen hat.

Keller hat manches schöne erotische Lied gedichtet und reizende
Naturschilderungen entworfen. Er zeichnet in kühnen Umrissen seine
Geliebte, die blauen Wiesen und den dunkeln Forst, und oft wird sein
Griffel so keck, wie der seines Freundes, des Malers, von dem er
singt:

Seine Verse sind überaus wohllautend. Zuweilen bemerkt man
in Keller's Gedichten leise Spuren vou einem Einflüsse Herweghs,
jedoch seltsamer Weise in den politischen am wenigsten. Das Gedicht:
Ich ging an grünen Bergcshag (S. 133) erinnert z. B. an Herweghs:
„Mein einz'ger Reichthum ist mein Lied," aber es zeichnet sich vor
demselben aus durch eine vollkommnere Einheit des Gedankens mit
dem Bilde.

Keller erzählt in diesem Gedichte seinem Liebchen, wie sein Gott
„in des Bergs frischjugendgrüner Eichensaat" zu ihm getreten sei:

Es traf mich seines Auges Strahl
Wie warmer Sonnenschein im Mai,
Und als er meinen Namen sprach,
Erhob mein Haupt sich stolz und frei:
Ich wuchs und blühte rasch empor.
Daß ich mir selbst ein Wunder schien.
Und wandelte mit leichtem Schritt
An Gottes hehrer Seite hin.

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[0241] In Mitte» solcher Verirrungen poetischer Geister, wie wohl thut es einem Dichter zu begegnen, der wieder ein Mal zur Einfachheit zu¬ rückkehrt und den einfachen Apparat seiner Poesie eben mit Poesie zu handhaben weiß. Ein solcher Poet ist Gottfried Keller, ein Schweizer. Wahrlich, es fehlt ihm weder an politischer, noch an phi¬ losophischer Bildung; aber er hat es verschmäht, mit beiden in seinen Gedichten zu prunken. Wo er auf Politik und Religion zu sprechen kommt, da nimmt er plötzlich einen volkstümlichen Ton an wie in dem Refrain des Jesuitenliedes: Ja, weine nur, du armes Kind, Bom Gotthard weht «in scharfer Wind, Sie kommen, die Jesuiten! und vermeidet durch denselben jedes Coquettiren mit der Zeit, singt aber doch frei heraus Alles, was er auf seinem treuen Schweizer!)erzen hat. Keller hat manches schöne erotische Lied gedichtet und reizende Naturschilderungen entworfen. Er zeichnet in kühnen Umrissen seine Geliebte, die blauen Wiesen und den dunkeln Forst, und oft wird sein Griffel so keck, wie der seines Freundes, des Malers, von dem er singt: Seine Verse sind überaus wohllautend. Zuweilen bemerkt man in Keller's Gedichten leise Spuren vou einem Einflüsse Herweghs, jedoch seltsamer Weise in den politischen am wenigsten. Das Gedicht: Ich ging an grünen Bergcshag (S. 133) erinnert z. B. an Herweghs: „Mein einz'ger Reichthum ist mein Lied," aber es zeichnet sich vor demselben aus durch eine vollkommnere Einheit des Gedankens mit dem Bilde. Keller erzählt in diesem Gedichte seinem Liebchen, wie sein Gott „in des Bergs frischjugendgrüner Eichensaat" zu ihm getreten sei: Es traf mich seines Auges Strahl Wie warmer Sonnenschein im Mai, Und als er meinen Namen sprach, Erhob mein Haupt sich stolz und frei: Ich wuchs und blühte rasch empor. Daß ich mir selbst ein Wunder schien. Und wandelte mit leichtem Schritt An Gottes hehrer Seite hin. 31-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/241>, abgerufen am 24.07.2024.