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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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bach ganz und gar mit den politisch-socialen Reaktionären zusammen,
die anch stets von einem "natürlichen Zustande" reden, als dem Eldo¬
rado des Lebens. Wer das Volk schildern will, der soll nicht mit
dem Volke buhlen und nicht einen blanken Firniß über sein Dasein
thun. Er soll das Volk allerdings in seinen Instinkten und natür¬
lichen Zuständen, welche den Schein der Poesie annehmen, erfassen,
aber er soll ihm auch einen höheren Gehalt, als einen Jnstinct, ge¬
ben. Er soll in seiner Entzweiung mit dem natürlichen Zustande auch
die geistige, die sociale, die sittliche Berechtigung des Volkes zur An¬
erkennung bringen, und das eben hat Auerbach nicht vermocht, er ist
durch und durch Romantiker geblieben.

Das auerbach'sche Genre ist von Süddeutschland ausgegangen.
Die Gemüthlichkeit, die Freude an den Instincten und der Natürlich¬
keit des Volkslebens, ein harmloses, in'S Sentimentale schimmerndes
subjektives Element, die behagliche Romantik läßt es nicht zu einer
socialen Auffassung der NolkSzustände kommen. Man hat es ja nur
mit dem "natürlichen", mit dem "innern" Menschen zu thun. Dage¬
gen bildet sich nun in Norddeutschland eine Richtung der Volkslite-
ratur, welche mit jener süddeutschen nur darin ein Gemeinsames hat,
daß sie ebenfalls nicht unmittelbar für das Volk schreibt, sondern über¬
haupt nur den Zustand des Volkes als das Gebiet ihrer Produk¬
tionen betrachtet. Aber sie, die norddeutsche Richtung, nimmt diesen



Man darf bei dieser Beurtheilung der Auerbach'schen Dichtungen nicht
übersehen, daß es eine Stimme aus Norddeutsch"""" ist, die hier kritisirt. Die
norddeutsche Kritik steht der Auffassuugs- und Gemüthswelt süddeutscher Schrift¬
steller oft so schroff entgegen, daß es Noth thäte, man gäbe bei jeder Kritik den
Ort ihrer Ursprungsweise an, um den Standpunkt derselben und die principielle
Scheidewand zwischen dem Autor und seinem Kritiker von vorn herein anzudeu¬
ten. Ob der wahre Stein der Weisen wirklich nur im deutschen Norden liegt,
ob es wahr ist, basi die süddeutschen Poeten "das Allgemeine über das Beson¬
dere vergessen", ob es wahr ist, daß "die süddeutschen Historiker den norddeut¬
schen an Gelehrsamkeit und unbefangener Auffassung der historischen Wahrheit
nachstehen müssen" (Wergleiche die Briefe von Waitz in Schmidt's Zeitschrift für
Geschichte, Juni 184"), wagen wir in unserer "süddeutschen Beschränktheit" nicht
zu entscheiden. Doch ist es merkwürdig, basi überall, wo die ausländische Kritik
über die Erzeugnisse deutscher Literatur sich ausspricht, sie allenthalben eine ent¬
schiedenere Sympathie für die süddeutschen Autoren an den Tag legt, und um bei
dem vorliegenden Falle stehen zu bleiben, so vergleiche man blos Taillandicr's Ur¬
theil über die "Schwarzwälder Dorfgeschichten" (lievns nos <>eux moncZes 15.
,
D. Red. Frim).
Grenzboten. I". "84". 2"

bach ganz und gar mit den politisch-socialen Reaktionären zusammen,
die anch stets von einem „natürlichen Zustande" reden, als dem Eldo¬
rado des Lebens. Wer das Volk schildern will, der soll nicht mit
dem Volke buhlen und nicht einen blanken Firniß über sein Dasein
thun. Er soll das Volk allerdings in seinen Instinkten und natür¬
lichen Zuständen, welche den Schein der Poesie annehmen, erfassen,
aber er soll ihm auch einen höheren Gehalt, als einen Jnstinct, ge¬
ben. Er soll in seiner Entzweiung mit dem natürlichen Zustande auch
die geistige, die sociale, die sittliche Berechtigung des Volkes zur An¬
erkennung bringen, und das eben hat Auerbach nicht vermocht, er ist
durch und durch Romantiker geblieben.

Das auerbach'sche Genre ist von Süddeutschland ausgegangen.
Die Gemüthlichkeit, die Freude an den Instincten und der Natürlich¬
keit des Volkslebens, ein harmloses, in'S Sentimentale schimmerndes
subjektives Element, die behagliche Romantik läßt es nicht zu einer
socialen Auffassung der NolkSzustände kommen. Man hat es ja nur
mit dem „natürlichen", mit dem „innern" Menschen zu thun. Dage¬
gen bildet sich nun in Norddeutschland eine Richtung der Volkslite-
ratur, welche mit jener süddeutschen nur darin ein Gemeinsames hat,
daß sie ebenfalls nicht unmittelbar für das Volk schreibt, sondern über¬
haupt nur den Zustand des Volkes als das Gebiet ihrer Produk¬
tionen betrachtet. Aber sie, die norddeutsche Richtung, nimmt diesen



Man darf bei dieser Beurtheilung der Auerbach'schen Dichtungen nicht
übersehen, daß es eine Stimme aus Norddeutsch»«»» ist, die hier kritisirt. Die
norddeutsche Kritik steht der Auffassuugs- und Gemüthswelt süddeutscher Schrift¬
steller oft so schroff entgegen, daß es Noth thäte, man gäbe bei jeder Kritik den
Ort ihrer Ursprungsweise an, um den Standpunkt derselben und die principielle
Scheidewand zwischen dem Autor und seinem Kritiker von vorn herein anzudeu¬
ten. Ob der wahre Stein der Weisen wirklich nur im deutschen Norden liegt,
ob es wahr ist, basi die süddeutschen Poeten „das Allgemeine über das Beson¬
dere vergessen", ob es wahr ist, daß „die süddeutschen Historiker den norddeut¬
schen an Gelehrsamkeit und unbefangener Auffassung der historischen Wahrheit
nachstehen müssen" (Wergleiche die Briefe von Waitz in Schmidt's Zeitschrift für
Geschichte, Juni 184«), wagen wir in unserer „süddeutschen Beschränktheit" nicht
zu entscheiden. Doch ist es merkwürdig, basi überall, wo die ausländische Kritik
über die Erzeugnisse deutscher Literatur sich ausspricht, sie allenthalben eine ent¬
schiedenere Sympathie für die süddeutschen Autoren an den Tag legt, und um bei
dem vorliegenden Falle stehen zu bleiben, so vergleiche man blos Taillandicr's Ur¬
theil über die „Schwarzwälder Dorfgeschichten" (lievns nos <>eux moncZes 15.
,
D. Red. Frim).
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[0167] bach ganz und gar mit den politisch-socialen Reaktionären zusammen, die anch stets von einem „natürlichen Zustande" reden, als dem Eldo¬ rado des Lebens. Wer das Volk schildern will, der soll nicht mit dem Volke buhlen und nicht einen blanken Firniß über sein Dasein thun. Er soll das Volk allerdings in seinen Instinkten und natür¬ lichen Zuständen, welche den Schein der Poesie annehmen, erfassen, aber er soll ihm auch einen höheren Gehalt, als einen Jnstinct, ge¬ ben. Er soll in seiner Entzweiung mit dem natürlichen Zustande auch die geistige, die sociale, die sittliche Berechtigung des Volkes zur An¬ erkennung bringen, und das eben hat Auerbach nicht vermocht, er ist durch und durch Romantiker geblieben. Das auerbach'sche Genre ist von Süddeutschland ausgegangen. Die Gemüthlichkeit, die Freude an den Instincten und der Natürlich¬ keit des Volkslebens, ein harmloses, in'S Sentimentale schimmerndes subjektives Element, die behagliche Romantik läßt es nicht zu einer socialen Auffassung der NolkSzustände kommen. Man hat es ja nur mit dem „natürlichen", mit dem „innern" Menschen zu thun. Dage¬ gen bildet sich nun in Norddeutschland eine Richtung der Volkslite- ratur, welche mit jener süddeutschen nur darin ein Gemeinsames hat, daß sie ebenfalls nicht unmittelbar für das Volk schreibt, sondern über¬ haupt nur den Zustand des Volkes als das Gebiet ihrer Produk¬ tionen betrachtet. Aber sie, die norddeutsche Richtung, nimmt diesen Man darf bei dieser Beurtheilung der Auerbach'schen Dichtungen nicht übersehen, daß es eine Stimme aus Norddeutsch»«»» ist, die hier kritisirt. Die norddeutsche Kritik steht der Auffassuugs- und Gemüthswelt süddeutscher Schrift¬ steller oft so schroff entgegen, daß es Noth thäte, man gäbe bei jeder Kritik den Ort ihrer Ursprungsweise an, um den Standpunkt derselben und die principielle Scheidewand zwischen dem Autor und seinem Kritiker von vorn herein anzudeu¬ ten. Ob der wahre Stein der Weisen wirklich nur im deutschen Norden liegt, ob es wahr ist, basi die süddeutschen Poeten „das Allgemeine über das Beson¬ dere vergessen", ob es wahr ist, daß „die süddeutschen Historiker den norddeut¬ schen an Gelehrsamkeit und unbefangener Auffassung der historischen Wahrheit nachstehen müssen" (Wergleiche die Briefe von Waitz in Schmidt's Zeitschrift für Geschichte, Juni 184«), wagen wir in unserer „süddeutschen Beschränktheit" nicht zu entscheiden. Doch ist es merkwürdig, basi überall, wo die ausländische Kritik über die Erzeugnisse deutscher Literatur sich ausspricht, sie allenthalben eine ent¬ schiedenere Sympathie für die süddeutschen Autoren an den Tag legt, und um bei dem vorliegenden Falle stehen zu bleiben, so vergleiche man blos Taillandicr's Ur¬ theil über die „Schwarzwälder Dorfgeschichten" (lievns nos <>eux moncZes 15. , D. Red. Frim). Grenzboten. I». »84«. 2»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/167>, abgerufen am 24.07.2024.