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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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des Schlosses und vom hohen Thurm herab begrüßte Martin die Nacht
mit einem einfachen Gesänge. Ich war entzückt, Alles sprach mit tau¬
send überredender Zungen zu meinem Herzen, daß die goldene Zeit
der Romantik noch nicht verschwunden. Dürftig sog ich die klare
Abendluft ein, die durch die offenen Fenster mir zuströmte, ich fühlte
mich so erhoben, so glücklich, daß ich plötzlich wie ein .Trunkener die
weiche Hand des Fräuleins faßte, sie innig warm drückte und in die
Worte ausbrach: "Ewig unvergeßlich wird er mir bleiben, dieser zau¬
berhaft schöne Abend, der meine Phantasie mit längst schlafen gegan¬
genen Bildern bevölkert, ewig unvergeßlich auch sie, die holde Fee, die
mich in diesen magischen Spiegel blicken ließ!" Und eben war ich im
Begriff, diese kleine weiche Hand an meine brennenden Lippen zu drücken,
als wie eine geisterhafte Mahnung der tiefe Ton des Horns an der
Felswand heraufzitterte. Wir blickten uns fragend an, Katharina er-
röthete und während wir stumm uns gegenübersaßen, wallten die wun¬
dersamen Töne in dem kleinen dunklen Gemach auf und nieder. Unsere
Lippen waren regungslos und immer süßer, immer lockender, immer
klagender ward die Melodie und immer lauter klopften dabei unsere
Herzen. Da ich sah, daß meine Freundin durch meine Gegenwart in
die größte Verlegenheit gebracht wurde, hielt ich es für meine Pflicht,
das Schweigen zuerst zu brechen: "Soll er ewig klagen?" rief ich,
"soll er ohne Antwort harren? soll die süße Melodie unbefriedigt ver¬
stummen? soll der Arme ohne einen Rosenstrauß am Hut einsam
über den einsamen See fahren?"

"Wie? Sie wissen ---", lispelte sie erröthend.

"Ja, mein Fräulein," erwiderte ich, "ich war so kühn, zweimal
zu lauschen und zweimal jenen nächtlichen Kläger zu beneiden."

"Beneiden!" rief sie, "o! wenn Sie wüßten -- beweinen möch¬
ten Sie ihn, beneiden hieße einem traurigen Schicksal Hohn sprechen!
"Aber lassen Sie uns hinaustreten!

Ich bot dem Fräulein meinen Arm, wir begaben uns auf den
Balcon und schauten hinab auf den glänzenden See zu unsern Füßen
und auf das kleine Boot, von dessen Ende sehnsüchtige Blicke herauf¬
gesendet wurden. Katharina trug keinen Strauß am Busen und das
Lied klang doch so flehend herauf, daß es sogar mir, dem Gleichgilti-
gen, fast das Herz zerbrach. Da riß sie plötzlich den schwarzen Shawl
von ihren schönen Schultern, bog sich weit über die steinerne Brüstung
und langsam, wie ein flatterndes Band, sank er hinab in die klare


des Schlosses und vom hohen Thurm herab begrüßte Martin die Nacht
mit einem einfachen Gesänge. Ich war entzückt, Alles sprach mit tau¬
send überredender Zungen zu meinem Herzen, daß die goldene Zeit
der Romantik noch nicht verschwunden. Dürftig sog ich die klare
Abendluft ein, die durch die offenen Fenster mir zuströmte, ich fühlte
mich so erhoben, so glücklich, daß ich plötzlich wie ein .Trunkener die
weiche Hand des Fräuleins faßte, sie innig warm drückte und in die
Worte ausbrach: „Ewig unvergeßlich wird er mir bleiben, dieser zau¬
berhaft schöne Abend, der meine Phantasie mit längst schlafen gegan¬
genen Bildern bevölkert, ewig unvergeßlich auch sie, die holde Fee, die
mich in diesen magischen Spiegel blicken ließ!" Und eben war ich im
Begriff, diese kleine weiche Hand an meine brennenden Lippen zu drücken,
als wie eine geisterhafte Mahnung der tiefe Ton des Horns an der
Felswand heraufzitterte. Wir blickten uns fragend an, Katharina er-
röthete und während wir stumm uns gegenübersaßen, wallten die wun¬
dersamen Töne in dem kleinen dunklen Gemach auf und nieder. Unsere
Lippen waren regungslos und immer süßer, immer lockender, immer
klagender ward die Melodie und immer lauter klopften dabei unsere
Herzen. Da ich sah, daß meine Freundin durch meine Gegenwart in
die größte Verlegenheit gebracht wurde, hielt ich es für meine Pflicht,
das Schweigen zuerst zu brechen: „Soll er ewig klagen?" rief ich,
„soll er ohne Antwort harren? soll die süße Melodie unbefriedigt ver¬
stummen? soll der Arme ohne einen Rosenstrauß am Hut einsam
über den einsamen See fahren?"

„Wie? Sie wissen —-", lispelte sie erröthend.

„Ja, mein Fräulein," erwiderte ich, „ich war so kühn, zweimal
zu lauschen und zweimal jenen nächtlichen Kläger zu beneiden."

„Beneiden!" rief sie, „o! wenn Sie wüßten — beweinen möch¬
ten Sie ihn, beneiden hieße einem traurigen Schicksal Hohn sprechen!
„Aber lassen Sie uns hinaustreten!

Ich bot dem Fräulein meinen Arm, wir begaben uns auf den
Balcon und schauten hinab auf den glänzenden See zu unsern Füßen
und auf das kleine Boot, von dessen Ende sehnsüchtige Blicke herauf¬
gesendet wurden. Katharina trug keinen Strauß am Busen und das
Lied klang doch so flehend herauf, daß es sogar mir, dem Gleichgilti-
gen, fast das Herz zerbrach. Da riß sie plötzlich den schwarzen Shawl
von ihren schönen Schultern, bog sich weit über die steinerne Brüstung
und langsam, wie ein flatterndes Band, sank er hinab in die klare


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/158>, abgerufen am 24.07.2024.